Kölner Comedy-Autor Tarkan Bagci„Wenn man Gags schreibt, sind vielleicht 100 Müll und einer ist okay“

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Comedy-Autor, Podcaster und Moderator Tarkan Bagci trägt ein blaues T-Shirt und blickt in die Kamera.

Tarkan Bagci ist Comedy-Autor, Podcaster und Moderator. Gerade ist sein drittes Buch erschienen, der Roman „Heartbreak“.

Tarkan Bagci ist Comedy-Autor, Moderator und Podcaster. Im Interview spricht er darüber, warum Gags zu schreiben ein schmerzhafter Prozess ist.

Herr Bagci, in Ihrem neuen Roman „Heartbreak“ geht es um durchaus schwere Themen: Depressionen, Ghosting, Panikattacken. Das hätten vermutlich viele von einem Comedy-Autor erst mal nicht erwartet.

Ich finde die Trennung von lustig und traurig künstlich. So nehme ich das Leben nicht wahr. Mal lache ich, mal weine ich, mach mache ich beides gleichzeitig. Selten ist etwas nur lustig oder nur traurig. Deswegen ist das ein wilder Genre-Mix geworden. Trotzdem schlägt man das Buch hoffentlich zu und hat ein gutes Gefühl.

Wie haben Sie sich dem Thema Depressionen angenähert?

Ich habe keine Depressionen, aber ich habe Menschen in meinem Umfeld, die betroffen sind. Mein Grund, darüber zu schreiben, war, dass ich es besser verstehen wollte, also ein fast schon journalistischer Ansatz. Ich fühlte mich den emotionalen Fakten verpflichtet. Ich wollte das Innenleben authentisch darstellen. Ich habe dann gemerkt, wie wenig ich darüber wusste und wie alltäglich sie aber gleichzeitig sind. Ich habe mehr Freunde, die Depressionen haben, als Freunde, die rauchen. Aber selten darf eine Figur in den Medien Depressionen haben, die sie aber nicht definieren. Ich möchte dazu beitragen, das zu normalisieren.

Es waren in der jüngeren Vergangenheit häufiger Comedians, die das Thema in die Öffentlichkeit gebracht haben: Torsten Sträter, Kurt Krömer, Maxi Gstettenbauer.

Das ist sehr wichtig. Und mein Buch soll dem nicht entgegenstehen, sondern ergänzend sein. Aber alle diese Menschen haben einen ungewöhnlichen Alltag. Wenn ein Künstler sagt, er hat Angst davor, auf die Bühne zu gehen, ist das ja auch eine beängstigende Situation. Das Verständnis dafür, dass man auch Panikgefühle haben kann, wenn es nur darum geht, eine Mail zu schreiben, hat mir in der öffentlichen Wahrnehmung gefehlt. Es sind vermeintlich Nichtigkeiten, aber das macht das Gefühl nicht kleiner.

Es geht auch um Tom, einen aufstrebenden jungen Musiker und Schauspieler, dessen Erfolg auch auf seiner Reichweite in den Social Media beruht. Ein Thema, das Sie selbst auch beschäftigt?

Ja, das Buch ist in einer Zeit entstanden, in der meine Social-Media-Reichweite gewachsen ist. Damit kam viel Verantwortung, mit der ich nicht gerechnet habe. Je mehr Reichweite ich habe, desto mehr Türen stehen mir als Moderator offen, das ist einfach so. Was das für den Kulturstandort Deutschland heißt, ist eine andere Frage.  Bevor ich dachte, ich brauche Reichweite bei Social Media, bin ich einfach durchs Leben gelaufen und habe Sonnenuntergänge genossen. Aber seitdem kann ich nichts genießen, ohne den Druck zu haben, das zu verwerten. Das hat mich völlig überrannt. Ich wollte klären, wie wichtig das wirklich ist.

Social Media macht seine ganz eigenen Stars. Sie moderieren auch im Fernsehen. Wie sollte dieses Medium damit umgehen?

Das ergänzt sich nicht gegenseitig, sondern das Fernsehen biedert sich total an. Das finde ich schwierig. Das, was Reichweite generiert, wird von Algorithmen bestimmt. Sie geben vor, was ankommt. Wenn ich weiß, der Algorithmus bevorzugt Videos, die nicht länger als 60 Sekunden sind, dann mache ich die. Fernsehen hingegen kann sagen, wir haben Geld und Ausdauer, wie machen von etwas 20 Folgen, senden das, und dann werden schon Leute darauf aufmerksam.

Aber das Fernsehen hat diese Ausdauer zu selten?

Ja, und ich finde das problematisch. Nicht das, was die größte Reichweite hat, ist das, was man ausschließlich fördern sollte. Es geht ja auch nie um die Qualität der Reichweite. Es ist nicht so, dass automatisch das wertvoller ist, was zehn Millionen Menschen gesehen haben. Aber so schauen wir in der Fernsehlandschaft da drauf. Es fehlt das Bewusstsein dafür, dass Kunst- und Kulturförderung ein Selbstzweck ist. Aber ihr habt uns als Generation beigebracht, dass Reichweite Gold ist; das Wertvollste und ein Kulturgut. So wurde ich von den Medien erzogen.

Es geht in Ihrem Roman auch darum, dass Tom nach einem Vorfall gecancelt wird.

Ich finde diese Debatte wahnsinnig anstrengend. Ich habe mich gefragt, ob das eine reale Gefahr ist. Ich habe mir die Aufgabe gestellt, etwas zu finden, was Tom passiert, das dazu führt, dass er gecancelt wird. Das war schwer, so richtig gecancelt wird doch eigentlich niemand, wobei es mir da um den Wortsinn geht, dass eine Person von heute auf morgen für immer aus der Öffentlichkeit verbannt wird. Ich habe aber eine gute Lösung gefunden, denke ich.

Die gehen für die Rechte der Hunde auf die Straße, aber wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken, ist ihnen das egal
Tarkan Bagci über Menschen, die ihn wegen seiner Herkunft im Internet beleidigen

Man verrät nicht zu viel, wenn man sagt, es geht um einen Vorfall mit einem Hund.

Wenn ich als jemand mit einem türkischen Namen Rassismus abbekomme, dann im Internet von fremden Menschen. Wenn ich auf deren Profilbilder gehe, haben die eins gemeinsam: Viele, die mich beleidigen, lieben Tiere. Die gehen für die Rechte der Hunde auf die Straße, aber wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken, ist ihnen das egal. Das war mal ein Sketch, den ich vorgeschlagen habe, der aber nirgendwo genommen wurde: Flüchtende verkleiden sich als Hunde, damit sie gerettet werden. Der Humor war wohl zu schwarz.

In Ihrem Buch nennt sich die Hauptfigur schlicht Tom, um seinen Migrationshintergrund zu verbergen. Haben Sie selbst auch mal überlegt, Ihren Namen zu ändern?

Ich habe gemerkt, wie viele Menschen um mich herum einen Migrationshintergrund haben, von denen ich es nicht wusste, weil sie ihn verstecken, vor allem in den Medien. Ich kann das einerseits verstehen, andererseits sorgt es für weniger Sichtbarkeit. Deshalb habe ich für mich entschieden, keinen Künstlernamen zu wählen. Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, wer ich wirklich bin. Ich habe gesagt, ich bin deutsch, so wie alle um mich herum. Aber mir ist klar geworden, es gibt Facetten von Deutschsein. Und meine türkische Familie und die Einwanderungsgeschichte gehören dazu. Das macht mich nicht weniger deutsch.

Sie sagen, der Migrationshintergrund hatte Einfluss auf Ihre Karriere, weil Ihre Eltern und Großeltern Ihnen so viel ermöglicht haben, dass Sie sie nicht enttäuschen wollten.

Meine Familie war vor zwei Generationen noch bettelarm. Sie hat sich diesen sozialen Aufstieg mit Blut, Schweiß und Tränen erkämpft. Ich bin seit langem der erste gewesen, der sich frei aussuchen konnte, was er macht. Dieses Privileg war mir sehr bewusst, weil es so neu war. Da wollte ich niemanden enttäuschen.

Sie sind in Bielefeld aufgewachsen, da ist die Unterhaltungsbranche weit weg. Wann war Ihnen klar, dass Sie dahin wollen?

Das dachte ich nie. Es war ein langer, schmerzhafter Prozess. Ich wollte schreiben, da ist das Naheliegende Journalismus. Bei einem Praktikum beim Deutschlandfunk merkte ich aber, ich bin fehl am Platz. Meine Leidenschaft fürs faktenbasierte Schreiben reichte nicht. Meine Leidenschaft ist das Zwischenmenschliche. Ich hatte eine Riesenkrise und habe aus Trotz und Nihilismus heraus gesagt, dann schreib ich jetzt Unsinn. Darauf ist beim Campus-Radio jemand aufmerksam geworden, der in der Unterhaltungsbranche geschrieben hat. Er hat mich gefragt, ob es nichts für mich wäre, Gag-Autor zu sein. So fing das an.

Es gibt kein Talent, das sich bis zu einem gewissen Grad nicht durch harte Arbeit kompensieren lässt
Tarkan Bagci

Wann weiß man denn, dass man lustig genug ist, um das zum Beruf zu machen?

Das ist ein Marathon. Wenn man Gags schreibt, sind vielleicht 100 Müll und einer ist okay. Und der versendet sich dann auch noch sofort. Es belohnt einen nicht. Man muss den Schmerz durchwaten. Man kommt nicht weit damit, zu sagen, ich bin wahnsinnig lustig. Es ist eher der Spaß am Prozess. Man muss Ausdauer haben.

Man muss es einfach immer und immer wieder versuchen?

Ja, Talent ist nichts anderes als die Rate, in der man in etwas besser wird. Es gibt kein Talent, das sich bis zu einem gewissen Grad nicht durch harte Arbeit kompensieren lässt.

Wie viel Comedy-Potenzial hat denn eigentlich Köln?

Sehr viel. Aber da ist es fast drüber. Das ist zu einfach. Das ist wie Gags über Donald Trump zu machen. Wie soll das gehen? Was ist zum Beispiel das Konzept hinter der Venloer Straße? Ich habe das Gefühl, das ist ein soziales Experiment, wann Fahrradfahrer und Autofahrer anfangen, sich gegenseitig umzubringen. Und die Eskalationsstufe wird von der Stadt immer höhergeschraubt.


Tarkan Bagci (28) studierte Kommunikationswissenschaften und arbeitet als Autor für diverse Comedy-Formate, mit u.a. Maren Kroymann und Carolin Kebekus. Er macht den erfolgreichen Podcast „Gefühlte Fakten“ mit Christian Huber. Bagci moderiert er die WDR-Sendung „Wissen macht Ah!“ und die ZDF-Doku-Reihe „Grauzone“. Er lebt in Köln.

Gerade ist sein zweiter Roman erschienen: „Heartbreak“, dtv, 304 Seiten, 22 Euro. Am 17.09., 20 Uhr, startet Bagci seine Lesereise im Kölner Artheater.

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