Kölner Jazzprofessorin im Interview„Da sind doch manche auf dem Holzweg“

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Anette von Eichel

Anette von Eichel

  • Anette von Eichel (geb. 1971) ist Jazz-Sängerin. Sie studierte in Den Haag bei Rachel Gould und Jeanne Lee, singt in vielen kleinen und großen Ensembles.
  • Seit 2010 ist sie Professorin für Jazz-Gesang und Ensemble, sowie Prodekanin an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln.
  • Im Interview spricht sie über die Coronapolitik und Studieren in der Pandemie.

Frau von Eichel, eigentlich wollten wir über Ihre Musik reden, auch über Ihre Arbeit an der Kölner Hochschule für Musik und Tanz, wo Sie Jazz-Gesang und Ensembles unterrichten. Aber die Coronakrise hat sich wieder zugespitzt. Dass das kulturelle Leben wieder auf Stopp gesetzt ist, geht mir sogar jetzt beim Sprechen auf die Stimme. Ich finde die Situation schwierig und möchte mit den Politiker*innen nicht tauschen. Die Suche nach einem Weg aus der Krisensituation ist ein Ringen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt, und da fürchte ich, sind doch manche auf dem Holzweg. Nicht alle begreifen, dass kulturelle Werte eine Gesellschaft zusammenhalten. Im Moment wird Kultur als Unterhaltung und Freizeit verstanden, und darauf könne man verzichten. Dabei sind Theater-, Kino- und Konzertbesuche viel mehr! Es ist ein nahezu körperliches Erlebnis, wenn man Kultur miteinander teilt und gemeinsam empfindet.

Es wird im Moment wieder viel diskutiert…

Corona legt sich wie ein Brennglas über vieles und offenbart Zustände, die gar nicht oder nur schlecht funktionieren. Prinzipiell wird Kultur in Deutschland als wichtig eingeschätzt, auch von der Politik. Wobei ich den Politikern nachsehe, dass sie am Anfang hier auch Fehler gemacht haben, aus denen sie aber hoffentlich jetzt lernen, etwa in Bezug auf den Unternehmerlohn für die freie Kulturszene. Das wird auch wichtig in der Beurteilung der ausgezahlten Hilfen im Frühjahr. Im Nachhinein sollte man niemandem ankreiden, dass er von dem Geld die Miete bezahlt hat.

Gleichwohl bleiben viele Musikerinnen und Musiker überfordert.

Dass die Kulturszene aus so vielen Selbstständigen besteht, hängt damit zusammen, dass in festen Strukturen wie auch an Musikschulen Festanstellungen schrittweise abgeschafft wurden. Die Leute kamen in Honorarsituationen, was bis jetzt funktionierte. Wir reden aber über eine Kulturbranche mit hunderttausenden Menschen, die unternehmerisch das Risiko selbst tragen und jetzt oft ganz unten in der Verwertungskette stehen, was die finanziellen Programme angeht.

Können Sie auch als Musikpädagogin reagieren?

Die Situation bewegt sich in Wellen. Was die Arbeit an der Hochschule betrifft, sind wir wieder auf dem Stand von Ende Juni, nachdem es zwischendurch Hoffnung gab, dass im Wintersemester auch größere Ensembles wieder spielen können. Gerade hat das neue Studienjahr begonnen, viele junge Menschen kommen in dieser Situation frisch nach Köln.

Die wissenschaftlichen und theoretischen Seminare müssen wieder online funktionieren, während wir den künstlerischen Einzelunterricht und den Unterricht mit kleinen Ensembles aufrechterhalten wollen, sodass tatsächlich noch Musik gemacht werden kann. Alle größeren Ensembles, Big Band, Orchester, große Chöre, können nicht in der regulären Form stattfinden.

Wie gehen die Studierenden derzeit mit der Situation um?

Es ist schwierig für viele, dabei haben sie sich im Sommersemester tapfer geschlagen. Ich mache mit einem Kollegen immer eine Erstjahresvorlesung für die Studierenden im Fachbereich Jazz Pop, im Sommersemester war sie komplett online. Es war im Lockdown schön, wenigstens auf dem Monitor in winzigen Kacheln die Gesichter der jungen Leute zu sehen, sie waren hoch motiviert, auch weil es für sie wichtig war, sich als Gruppe überhaupt zu sehen.

Solche Momente haben aber zwei Seiten: Man ist gemeinsam auf dem Bildschirm und zugleich einsam in seinem Zimmer. Hinzu kommt, dass das gemeinsame Musizieren im Sommersemester weggebrochen ist, aber auch die Jobs, etwa in Kneipen oder Konzerten, mit denen die Studierenden oft ihr Leben teilfinanzieren.

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Ihre neue CD besteht aus eigenen Kompositionen und Texten. Zuvor sangen Sie auch Stücke aus der europäischen Schlager-, Revue- und Chanson-Tradition. Welche Bedeutung hat das für Sie?

Ich wähle mein Repertoire immer auf Resonanzen hin. Ich höre Musik, und sie ruft etwas in mir hervor, auf das ich mich beziehen kann. An Komponisten wie Hollaender, Sascha Distel oder auch Kurt Weill beeindruckt mich die europäische Tradition genauso wie das, was der amerikanische Jazz-Einfluss daraus macht. Zudem interessieren mich die bewegten Biografien hinter den Songs. Allein wenn man sich vergegenwärtigt, wie Michael Jary den homosexuellen Liedtexter Bruno Balz vor dem Abtransport ins Konzentrationslager rettete, ahnt man, welche Überlebenskünstler Musiker sein können und mussten.

In gewisser Weise schufen Hollaender oder Theo Mackeben eine widerständige Musik, die unsere besten Qualitäten als Menschen hervorhebt. Insofern ist das, was Musiker*innen tun, durchaus politisch. Gerade der Jazz mit seiner Interkulturalität, seinen vielfältigen Formen der Kommunikation, dem Spiel mit Regeln und Regelbrüchen zeigt, wie man respektvoll miteinander umgehen kann.

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