„Film ist Lüge“Wie ein Kölner Location Scout Drehorte für den „Tatort“ findet

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Die Kommissare Freddy Schenk (Dietmar Bär, r.), Max Ballauf (Klaus J. Behrendt, l.) bei Dreharbeiten in Chorweiler vor der markanten Hochhaus-Kulisse.

Köln – Wenn Frank Meter einen Film anschaut, können einem die Schauspieler leid tun, denn der Kölner hat kaum Augen für sie. Ihn interessiert, was im Hintergrund passiert. Wie sieht die Wohnung aus, in der gefilmt wurde, vor welchem Gebäude, in welcher Straße stehen die Darsteller?

Meters Frau hat sich längst daran gewöhnt, dass ihr Mann vor dem Fernseher die Namen der Drehorte murmelt. „Die armen Schauspieler werden von mir nahezu missachtet“, gibt Meter zu. Aber er hat eine gute Erklärung für sein merkwürdiges Verhalten. Der 56-Jährige ist Location Scout. Er sucht für Fernseh- und Kinoproduktionen seit fast 30 Jahren geeignete Drehorte, auch für den „Tatort“ ist er häufig unterwegs.

Meter muss Rollen unterstützen

Steht ein neues Projekt an, liest Meter das Drehbuch und bespricht es mit dem Szenenbildner. „Dabei geht es um Inhalte. Wir sagen zum Beispiel nicht, wir brauchen ein blaues Haus mit drei Etagen, sondern, wir brauchen ein Haus für einen Rechtsanwalt, der aus einer reichen Familie kommt, aber das schwarze Schaf ist.“ Seine Aufgabe sei es, mit den Drehorten die Rollen zu unterstützen, sie auszumalen, ihnen Tiefe zu geben. Genauso wie es Maske und Kostüm machen.

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Der Scout hat Datenbanken zu verschiedenen Motiven angelegt, auf die er zurückgreifen kann. Aber er geht auch immer mit offenen Augen durch die Stadt. „Ich sehe die Welt ganz anders. Ich sehe überall Locations. Die behalte ich im Hinterkopf oder mache mir ein Foto und eine Notiz dazu“, sagt Meter. Und wenn er nichts Passendes in der Hinterhand hat, dann macht er sich auf die Suche und klingelt auch einfach mal an Haustüren, um zu fragen, ob es möglich wäre, dort zu drehen.

Drehort muss mehrere Kriterien erfüllen

Ein geeigneter Drehort müsse dabei mehrere Kriterien erfüllen. „Es gibt immer eine künstlerische Seite, wir wollen die Geschichte erzählen und die Rollen realistisch darstellen. Und dann gibt es die Produktionsseite, die das organisieren und im zeitlichen und finanziellen Rahmen durchführen muss. Da muss man an ausreichend Parkplätze, mögliche Straßensperren, Belästigung der Anwohner denken.“ Auch müsse er den Ton mitdenken. Dreharbeiten neben einer viel befahrenen Güterstrecke seien etwa keine Option.

Meter ist es wichtig, nachhaltig zu arbeiten und die Nerven der Leute nicht über Gebühr zu strapazieren. Er könne den Frust mancher Anwohner durchaus nachvollziehen. „Wenn allerdings jemand beim ersten Mal, wo er 50 Meter weiter parken soll, direkt seinen Anwalt losschickt, verstehe ich das nicht. Das gehört zu einer Großstadt dazu. Und fast jeder konsumiert ja auch die Produkte von Dreharbeiten, dann muss man auch Verständnis haben, dass das irgendwo gedreht werden muss.“

Zu Person und Beruf

Frank Meter, Jahrgang 1964, wuchs in Hilden auf. Er arbeitete zunächst als Lokaljournalist. Seit 1992 ist er als Location Scout tätig. Seit 1995 wohnt er in Köln. Für zahlreiche „Tatort“-Fälle der Kölner, Dortmunder und Münsteraner Ermittlerteams hat er schon die passende Location gesucht und gefunden.

Eine klassische Ausbildung zum Location Scout kann man nicht absolvieren. „Wir sind alle Seiteneinsteiger“, sagt Meter. Als Journalist habe er gut recherchieren und mit einer Kamera umgehen können. „Das braucht man, wenn man Location Scout werden will. Und dann muss man es einfach machen.“ (amb)

Doch nicht immer lässt sich die ideale Film-Location finden. Manchmal gibt es keine Parkplätze, manchmal wollen Besitzer nicht, dass in ihren Räumen gefilmt wird. Wenn ein geeignetes Motiv nicht zu finden ist, muss man der Wirklichkeit ein bisschen nachhelfen. Aus einem Geschäft wird dann eben ein Bestattungsinstitut.

„Es ist relativ einfach, etwas umzugestalten, deshalb wird es oft gemacht. Bei einem Bestattungsinstitut etwa denkt man: schwarz, Kreuz, Sarg, Urne. Wenn man das im Bild hat, ist man schon mal nicht mehr in einer Metzgerei. Ich sage gerne provokant: Film ist Lüge. Wir lügen zum Wohle des Zuschauers und machen uns die Welt, wie sie uns gefällt.“

Köln ist ein dankbarer Motivgeber

Frank Meter kann es deshalb auch nicht so richtig verstehen, warum es manche Zuschauer stört, wenn ein Gebäude in der Realität etwas anderes beheimatet als im Film – oder die Filmemacher einen Drehort in ein anderes Viertel verlegen. Der Location Scout sieht das pragmatisch: „Wenn Leute sagen, das kannst du doch nicht machen, sage ich: Axel Prahl ist auch kein Hauptkommissar, der ist Schauspieler. Wir erzählen eine Geschichte und erschaffen fiktive Welten.“

Sein Wohnort ist für den Wahlkölner in vielerlei Hinsicht ein dankbarer Motivgeber. Die architektonische Landschaft sei sehr vielfältig. „Wir haben sowohl das Alte – wenn auch wenig davon – als auch ganz viel 50er, 60er Jahre und moderne Architektur.“ Aber es gibt auch Anfragen, die ihn ins Schwitzen bringen. „Wenn etwa ein Berliner sagt, er brauche eine große Altbauwohnung, dann weiß ich, dass der ab 250 Quadratmeter aufwärts denkt, weil es die in Berlin wie Sand am Meer gibt. Kennen Sie in Köln eine 250-Quadratmeter-Altbauwohnung? Vermutlich nicht. Ich kenne mittlerweile drei, aber ich habe 30 Jahre gebraucht, um sie zu finden.“

Dreharbeiten oft am Rhein

Und überhaupt, Köln muss ja gar nicht immer Köln sein. „Ich habe in Köln schon Paris, Miami und New York gesucht – und auch gefunden. Wir sind natürlich nicht so doof und sagen, da läuft jemand auf der 5th Avenue, und das drehen wir dann auf der Hohe Straße. Aber eine Bar-Szene, ein Loft oder ein Appartement, das in New York liegt, können wir sehr wohl in Köln drehen.“

Und auch Dortmund und Münster, die beiden anderen Städte, in denen die vom WDR produzierten „Tatorte“ spielen, werden aus Kostengründen für die Dreharbeiten regelmäßig an den Rhein verlegt. Für Frank Meter kein Problem. „Es gibt in jeder großen Stadt Viertel, die eine relativ neutrale Architektur haben. Diese sind miteinander vergleichbar.“

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Genauso wie es in jeder Stadt markante Ecken gebe, die man zeigen müsse, wenn klar sein soll, wo man ist. „In Frankfurt sind es die Messetürme und der Römer, in Hamburg der Michel und die Speicherstadt und in Köln natürlich der Dom, der Rhein und die Brücken. Das sind die Bildmarken der Städte. Wenn man dann aber dreimal um die Ecke geht, ist man in Straßen, die austauschbar sind.“

Wobei das mit dem Dom so eine Sache ist, wie Frank Meter einräumt, der zuletzt für die neue Staffel der Serie „Babylon Berlin“ auf der Suche nach den 30er Jahren war. „Es gibt schon Regisseure, die sagen, ich will den Dom nicht sehen, das ist mir zu plakativ.“ Aber eigentlich ist das eher eine gute Nachricht für den Berufsstand des 56-Jährigen. Denn um den Dom zu finden, braucht man ja nun wirklich keinen Location Scout.

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