Countertenor Philippe Jaroussky und das Ensemble L’Arpeggiata begeisterten das Publikum in der Kölner Philharmonie.
Kölner PhilharmonieHöfische Lieder und ein umjubelter Beinahe-Striptease

Der französische Countertenor Philippe Jaroussky
Copyright: Simon Fowler
Am Hofe Henri Quatres war man wenig belastet von den Mühen und Nöten der unmittelbaren Daseins-Fürsorge. Auch bis zur Guillotine hatte es noch fast zwei Jahrhunderte Zeit. So konnte sich die aristokratische Gesellschaft mit Muße anderen Themen widmen - dem Tanz und der Jagd etwa, den Freuden und Leiden der Liebe sowie der Klage über jene schönen, aber allzu spröden Schäferinnen, die einfach nicht einsehen mochten, dass das Leben zu kurz sei, um sexuell enthaltsam zu bleiben.
Davon - und von nicht viel mehr - handelten die höfischen Lieder („Airs de cour“), die der französische Countertenor Philippe Jaroussky und das Ensemble L’Arpeggiata in der gut besuchten Philharmonie präsentierten. Auch wenn die französische Monarchie um 1600 noch vergleichsweise sicher im Sattel saß, schwebt doch schon mehr als ein Hauch von Dekadenz um diese überwiegend weichen, in selbstverliebter Melancholie badenden Gesänge.
Philippe Jaroussky liegt diese Musik hörbar am Herzen
Ihre Komponisten heißen Antoine de Boësset, Pierre Guédron oder Etienne Moulinié - Namen, die selbst einem ausgesprochen barock-affinen Publikum wenig sagen dürften. Die Qualität der Stücke ist durchgängig hoch, aber sie bedürfen der aufführungspraktischen Einrichtung, der engagierten Präsentation - für beides war bei dem begeistert aufgenommenen Konzert bestens gesorgt.
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Philippe Jaroussky liegt diese Musik hörbar am Herzen. Er fasst die schlichten Melodien mit liebevollen Verzierungen ein; er schafft in den klar gegliederten Tanzrhythmen Raum für kunstvolle Kadenzen und ausgeschmückte Fermaten. Und weil er das mit ebenso viel vokaler Subtilität wie flammender Überzeugungskraft tut, stellt sich durch alle schönen Belanglosigkeiten hindurch immer wieder emotionale Tiefe ein.
Das Ensemble L’Arpeggiata um die österreichische Theorbistin Christina Pluhar zählt weltweit zu den erfolgreichsten Ensembles für die Musik des 17. Jahrhunderts. Das in allen Positionen exzellent besetzte Team nutzt die großen Freiräume dieser meist nur spärlich notierten Musik für eine geradezu überbordende Improvisations-Praxis; der reiche Einsatz von Zupfinstrumenten und Schlagzeug rückt das Klangbild in eine frappierende Nähe zu Folk, Jazz und Pop. Stilistisch mag das zuweilen anfechtbar sein, aber dieses vitale, saftige Musizieren geht so unmittelbar ins Blut und in die Beine, dass man sich seiner Wirkung kaum entziehen kann.
Später im Programm weitete sich der Blick noch Richtung Italien (Monteverdi, Rossi) und England (Purcell). An der Musizierweise änderte sich dabei nichts, allerdings wurde man auf dem Podium gegen Ende immer übermütiger: Der großartige Zink-Spieler Doron Sherwin mischte Anklänge an Mozarts „alla turca“ und James Bond in seine phantasievollen Improvisationen. Philippe Jaroussky hauchte - cheek to cheek mit der fabelhaft singenden Gambistin Lixsania Fernandez - ein betörendes „Bésame mucho“ ins Mikrophon. Bei Juliette Grecos „Déshabille-moi“ setzte der umjubelte Sänger gar zum Striptease an, der allerdings (vermutlich zum Bedauern weiter Teile im Publikum) bereits beim Sakko endete.