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Kölner PhilharmonieSimon Rattle zeigt sein musikalisches Zuhause

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Sir Simon Rattle

Der Dirigent Sir Simon Rattle ist 1955 in Liverpool geboren.

Bruckners 7. Sinfonie hat ihn zu Weltruhm geführt. Simon Rattle und das London Symphony Orchestra haben sie in Köln aufgeführt. Doch musikalisch ist Rattle andernorts beheimatet.

Simon Rattle und Anton Bruckner - das ist keine Verbindung, die sich unmittelbar aufdrängt. Hier der ungemein nahbare, das augenzwinkernde Understatement pflegende, noch jenseits der 60 mit unverminderter Jugendfrische musizierende Brite, dort der erzkatholische Linzer Domorganist, der eigenbrötlerische, von neurotischen Zwangsstörungen heimgesuchte Schöpfer monumentaler sinfonischer Sakralgebäude.

Nun ist Rattle in Sachen Bruckner keineswegs unerfahren, hat mit einem Fassungs-Vergleich der „Vierten“ (letztes Jahr in Köln) und einer komplettierten „Neunten“ auch jüngste Erkenntnisse der Forschung künstlerisch umgesetzt. Aber es ist doch eher der populäre, mehrheitsfähige Bruckner, den er auf die Agenda setzt, nicht etwa die in Timing und Spannungsverlauf so schwer zu realisierenden frühen Sinfonien, von denen sich die echten Bruckner-Spezialisten angestachelt fühlen.

Rattle ist noch bis zum nächsten Jahr Chefdirigent des London Symphony Orchestra

In der Kölner Philharmonie stand nun die Sinfonie Nr. 7 auf dem Programm, mit der 1884 Bruckners Weltruhm einsetzte. Simon Rattle hat sie bereits in den 90er Jahren auf CD eingespielt, damals noch in Birmingham. Mit den Berliner Philharmonikern hat er sie gleichfalls aufgeführt, und nun auch mit dem London Symphony Orchestra, dem er noch bis 2023 als Chefdirigent vorsteht. Der Londoner Bruckner hat mit dem Berliner naturgemäß wenig zu tun - hier hört man nicht den aus der Mitte leuchtenden Bronzeklang der deutschen Orchestertraditionen, sondern einen auf Brillanz und lockere Fülle angelegten Universal-Sound, der sich dem gesamten Kanon der europäischen Orchestermusik von Mozart bis zur Moderne andient.

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So wirkte auch diese mit stehenden Ovationen bedachte „Siebte“ eher durch die hohe Professionalität der britischen Musiker als durch den spezifischen Charakter der Interpretation. Ein solches Streicher-Pianissimo, das körperhaft und stabil bis in den letzten Winkel des Raumes dringt, muss man erst mal hinbekommen. Die solistischen Holzbläser ragten wie klingende Leuchttürme aus dem Tutti; in druckloser Expansion strömte das Blech, einschließlich der berühmten vier „Wagner-Tuben“, die dem erschütternden Adagio seine Tiefendimension geben.

Konzert in der Kölner Philharmonie mit Sibelius eröffnet

Fast schien es, als sträube sich Sir Simon, dieses hohe Maß an Klangschönheit und Spielkultur durch allzu harsche Darstellungsmittel zu belasten. Überaus maßvoll und gepflegt vollzogen sich die apokalyptischen Moll-Einbrüche in den Rahmensätzen; auch die bedrohlich insistierenden Rhythmen im Scherzo ließ der Maestro eher niederschwellig pochen. Licht im Klang, weich in den Konturen vermittelte sich so über 70 Minuten hinweg eine freundliche, weitgehend kantenfreie Bruckner-Sicht, bei der nichts störte oder schmerzte.

Mit zwei sinfonischen Dichtungen von Jean Sibelius hatten die Londoner den Abend eröffnet. In den „Okeaniden“ wendet sich der finnische Meister dem Wellenspiel des Meeres zu; in „Tapiola“ beschwört er den heidnischen Gott der nordischen Wälder. Beide Stücke überführen die zugrundeliegenden Naturbilder in musikalische Formideen von geradezu avantgardistischer Kühnheit: Feldstrukturen und Webmuster, die sich wechselseitig überlagern und durchdringen. Simon Rattle entfaltete diese komplexen Partituren mit viel Sinn für den besonderen Reiz des Stacheligen und Unbehauenen: Hier ist er musikalisch wirklich zuhause.

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