Für ihre Aufführung von Schumanns „Das Paradies und die Peri“ laufen Dirigent François-Xavier Roth und das Gürzenich-Orchester zu großer Form auf.
„Das Paradies und die Peri“Dirigent Roth und Gürzenich-Orchester spielen in Höchstform

Generalmusikdirektor Francois-Xavier Roth bei einer Probe mit dem Gürzenich Orchester
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Ein oratoriennahes Werk im Abokonzert, und das als einzige Programmnummer – das hat Seltenheitswert. Wenn François-Xavier Roth jetzt mit dem Gürzenich-Orchester Schumanns „Paradies und die Peri“ aufführt, dann liegt das freilich in der Konsequenz seiner langjährigen, auch diskografisch verewigten Befassung mit diesem Komponisten im Rahmen seiner Kölner Kapellmeister-Tätigkeit.
Und Roth macht es im Nachvollzug ähnlich wie der Meister selbst, der einzelne Lebensjahre bestimmten Genres widmete: Auf das Liederjahr 1840 folgten ein sinfonisches Jahr, ein Kammermusikjahr und, 1843, ein Oratorienjahr. Lieder und Kammermusik fallen bei Roth naheliegend aus, aber die Reihenfolge Sinfonie – großangelegtes Vokalwerk hält er mehr oder weniger ein (ohne sich an Schumanns Jahresspannen-Fetischismus zu halten).
Ein großartiges Erlebnis für das Publikum der Philharmonie
Roth hat sich in Strukturen, Klangfarben und Stimmungen von Schumanns Musik intensiv hineingefunden, und nicht zuletzt diese Vertrautheit beschert dem Gürzenich-Publikum auch diesmal ein großartiges Erlebnis. Das Werk hat es ja in sich: Weil es als Solitär in der Kunstlandschaft des 19. Jahrhunderts steht, muss die Interpretation ihre Kriterien an ihm selbst entwickeln, kann sich nicht an etablierten Gattungsmustern orientieren.
Sicher, der zentrale Erlösungsgedanke, verbunden mit dem Fall (hier der Engelsgestalt der Peri) in schuldbedingte Entfremdung und die finale Rückkehr zur ursprünglichen Einheit, ist, wenngleich hier nah- und fernöstlich aufgemacht, europäische Romantik pur. Aber Schumann fügt all das eben in eine eigenwillige Klang- und Formensprache, die volksliedhafte Melodik und Choräle, Oper und Passion, Arie, Ensemble und Chor, Bach- und Händel-Anklänge, auch Erinnerungsmotive integriert, vor allem aber trotz äußerer Nummerneinteilung weithin das Prinzip Durchkomposition realisiert.
François-Xavier Roth läuft zu großer Form auf
Da wird Schumann immer wieder zum Meister des kleinsten Übergangs. Da verändert sich, auch mit Hilfe von subtilen Instrumentationswechseln, sukzessiv die Atmosphäre – etwa wenn durch den locus amoenus der ägyptischen Landschaft auf einmal der Hauch der Pest zieht. Gerade bei solchen Verwandlungen läuft Roth zu großer Form auf, hier vollziehen sich auf engstem Raum mit zwingender Intensität die Veränderungen – ohne dass die berückende poetische Einheit des Ganzen gefährdet würde.
Und bei den großangelegten Schlusssteigerungen des ersten und dritten Teils lässt er sich nicht lange bitten, sie kommen mit großer Vitalität, Kraft und auch spiritueller Würde. Das Orchester zieht tadellos mit, gleich das Vorspiel mit den weichen Horn-Signalen gerät in seiner schwebenden Melancholie zu einem suggestiven Tonbild, das dem Hörer nachdrücklichst die „Tinta“ des Ganzen vermittelt.
Solistin Siobhan Stagg hat eine große emotionale Bandbreite
Auch die Vokalbeiträge begeistern weithin. Das gilt (mit leichten Abstufungen) für die ausgezeichnete Riege der Solisten, die sich stilistisch und klangrednerisch tadellos in das Gesamttableau einfügen, meist den Text gut transportieren und größtenteils mühelos über ein Orchester kommen, dass ob seiner starken Besetzung die Lautstärke nicht ad ultimo drosseln kann.
Siobhan Stagg überzeugt in der Titelpartie mit leichter Höhe und anrührender emotionaler Bandbreite zwischen Depression und Triumph, Marie-Siophie Pollak, Claudia Mahnke, Jan Petryka, Maximilian Schmitt und Florian Boesch tun es ihr jeweils nach den Erfordernissen ihrer Partien nach. Überzeugend auch die Performance von Chorwerk Ruhr dank steter Präsenz, Fülle und Schönheit der Stimmen und der Fähigkeit, den Hebel zwischen lyrischen Farben und quasi barockem Kontrapunkt mühelos umzulegen.