Der Kölnische Kunstverein zeigt frische Werke von Amelie von Wulffen und Jonas Lipps - mit Gaststars wie Heidi oder dem Bausparfuchs.
Kölnischer KunstvereinSo lassen wir uns die Kindheit gern verderben

Blick in die Ausstellung von Amelie von Wulffen im Kölnischen Kunstverein
Copyright: Mareike Tocha
Die hüfthohe Biene Maja, die verschämt in einer Honiglache sitzt, hatte ihren ersten Auftritt vor vier Jahren mitten in der Corona-Pandemie. Allzu viele Besucher dürfte Amelie von Wulffens Pappmaché-Figur damals in den Berliner Kunst-Werken nicht gehabt haben, was der inkontinenten Trickfilmheldin sicherlich ganz recht war – nicht aber der Künstlerin, die sich durch die Weltläufe um eine Werkschau betrogen sah.
Jetzt sitzt Maja wieder in ihrer gelben Acrylpfütze, als etwas versteckter Höhepunkt einer Ausstellung im Kölnischen Kunstverein. Sie schaut immer noch bedröppelt auf ihr Malheur, das offenbar erfunden wurde, um dem Publikum etwaige Heile-Kindheits-Erinnerungen zu verderben. Dabei können wir doch ebenso wenig wie unsere Lieblingsbiene dafür, dass Maja-Erfinder Waldemar Bonsels ein Nazi war.
Wulffens Figuren sind halb Monster und halb Monstranzen
Die dunklen Geheimnisse der deutschen Nachkriegsgesellschaft sind das große Thema Amelie von Wulffens, die, 1966 ins bayrische Bildungsbürgertum geboren, ihren gezügelten Weltekel mittlerweile bevorzugt mit den kulturhistorischen Prägungen ihrer Altersklasse abgleicht. Außer der Biene Maja begegnen uns im Kunstverein auch Heidi und der Geißenpeter, Fix und Foxi und E. O. Plauens Vater und Sohn – lauter Botschafter einer Kindheit, die allenfalls mit schlechtem Gewissen Anspruch auf Unbeschwertheit erheben kann und denen Wulffen mit leicht krakeligem Strich auf großen Vorhangbildern huldigt. Fix und Foxi, das weiß heute jedes erwachsene Kind, waren die Ausgeburten eines Antisemiten, und Erich Ohser alias E. O. Plauen, ein aufrechter Demokrat, erhängte sich in seiner Zelle, um einer Verurteilung durch den NS-Volksgerichtshof zu entgehen.
Ohsers Suizid hat Wulffen auf einem Gemälde festgehalten, ansonsten deutet sie ihre erinnerungspolitische Botschaft eher in Bildtiteln wie „braune Biene/fiese Füchse“ an. So richtig traut sich die Künstlerin nicht an die Abgründe der verklärten Trickfilm-Seligkeit, ihre nur leicht verfremdeten Cartoon-Versionen wirken eher versöhnlich. Ähnliches gilt für Familienbildnisse wie „Verwandtschaft, klein“, ein in beinahe klassischer Manier gepinseltes Gemälde, auf dem sich Wulffen im Kreise einer offensichtlich aus lauter Einzelbildern zusammengesetzten Großfamilie zeigt. So brillant gemalt dieses Sinnbild familiärer Entfremdung ist – es tut niemandem weh.

Zeichnungen von Jonas Lipps im Kölnischen Kunstverein
Copyright: Mareike Tocha
Aber muss Kunst unbedingt wehtun – ist die Welt nicht schlimm genug? Selbst die zehn „apokalyptischen Fliegen“, die Wulffen aus Austern, Draht und Papiermaché gebastelt hat, tragen den äußeren Schrecken nicht ins Innere des Kunstvereins. Sie gehören zu einer eher amüsanten Prozession tragischer Gestalten, die statt Gesichtern Leinwände auf ihren Schultern balancieren, auf denen Motive aus der Kunstgeschichte, von Frans Hals oder Francisco de Goya, verewigt sind. Mancher dieser groben Kerle kann unter der Last der Kunstgeschichte nur noch kriechen, andere lümmeln dagegen bequem auf Stühlen herum. Schlechter hat es diejenigen getroffen, die Zigarettenstummeln ähneln oder zur buckligen Verwandtschaft von Pixars Mike Glotzkowski zu gehören scheinen.
Valérie Knoll, Leiterin des Kunstvereins, sieht in diesen Zwittern aus Monstern und Monstranzen das Unheimliche ins Haus kriechen – allerdings ist es ein Unheimliches, das weder die Kunstgeschichte noch die Populärkultur infiziert. So wenig man seiner Familie entkommen kann, so sehr hängt man in den Medienerfahrungen seiner Kindheit fest. Für manche mag das eine wie das andere ein erschreckender Gedanke sein; bei Wulffen gewinnt man diesen Eindruck aber gerade nicht. Immerhin hat sie das wohl mit der Mehrheit des Publikums gemein.
Jonas Lipps beschäftigt sich mit den infantilen Geistern der Vergangenheit
Im Doppelprogramm des Kunstvereins ist Amelie von Wulffen das Zugpferd für den deutlich weniger bekannten Jonas Lipps. Dessen Werke ziehen sich vom Untergeschoss durchs Treppenhaus bis unters Dach und lassen sich deutlich schwieriger auf einen Nenner bringen als Wulffens Aufführung mit verteilten Rollen. Auch Lipps scheinen die infantilen Geister der Vergangenheit zu beschäftigen – seine Zeichnungen tragen Titel wie „Die Bumseisenbahn“ oder „Schulstunde“, zu seinen Figuren gehören der Riese Gulliver und der flauschige Sparfuchs einer Bausparkasse; letzterer liegt in einem Schneewittchensarg, der auch ein Solarium sein könnte – oder umgekehrt.
Lipps eher naive, teils wie mit dem Lineal gezogene Malweise, ergibt einen reizvollen Kontrast zu den groben Untergründen seiner Bilder. Manche sind auf gefundenen Papierresten gemalt, und eine Bustour von Armdrückern ist beinahe pointillistisch auf Hartfaserplatte getupft. Diese „Dingyang Pfingsttour 2001“ führt an einem Steilhang mit Yin-Yang-Zeichen entlang, im Panoramafenster des Busses sind lediglich die abgespreizten Arme der Sportler zu sehen.
Cartoonhaften Witz haben auch eine „Poco-Schule“ (Poco wie das gleichnamige Billigmöbelhaus) oder eine Straße mit kuriosen Kita-Namen. Ein Aufenthalt in Lüneburg inspirierte Lipps zu einem Bild mit Stieren in Giebelhäuschen und einem Gondoliere (offenbar zählt sich die Heidestadt zu den vielen „Venedigs des Nordens“), ein Schulausflug in Ostdeutschland führt an eine Schleuse, an der Priester die Tore bedienen. Der Titel „Tschäpe-Schleuse“ deutet durch den Gleichklang zu Beate Zschäpe etwas diffus auf politische Hintergründe hin.
Manche von Lipps‘ Zeichnungen haben etwas, ohne dass man sagen könnte, was es ist. Auf einer Schwarz-weiß-Zeichnung, auf der ein Pärchen tatenlos an einem Verbrechen vorübergeht, ist die Miesepetrigkeit der Passanten so gut getroffen, dass man beinahe die eher abstrakte Gewalttat übersieht. Und die Rucksäcke, in denen nicht ausgetragene Zeitungen stecken, gewinnen enorm durch die Anhänger, die an ihnen baumeln: Es sind Latex-Larven, die Lipps von Diddl-Mäusen genommen hat. Auch bei ihm scheint die Erinnerung an die Kindheit ein Paradies zu sein, von dem niemand lassen kann, obwohl oder gerade, weil es etwas unheimlich geworden ist.
„Amelie von Wulffen, Jonas Lipps“, Kölnischer Kunstverein, Hahnenstr. 6, Köln, Di.-So. 11-18 Uhr, bis 14. Dezember 2025.