Gegen alle Widerstände hat es Kim Petras zu internationalen Popruhm gebracht. In Köln feierte sie das mit ihrer Familie. Unsere Konzertkritik.
Konzert im PalladiumKim Petras kehrt im Triumph in die Heimat zurück – und feiert das mit einer Premiere
Wenn dereinst das – schon jetzt überfällige – Biopic über Kim Petras gedreht wird, könnte es mit dieser Szene enden: Die Sängerin steht auf der Bühne des ausverkauften Palladiums, das Publikum jubelt ihr zu, doch sie schaut nach links oben, zur Galerie, auf der sich ihre Familie versammelt hat. Ihre Kölner Show ist eine Rückkehr im Triumph, genau das, was man sich für den Film seines Lebens erträumt.
Petras ist knapp 40 Autominuten von hier aufgewachsen, in der 3000-Seelen-Gemeinde Uckerath, am Rand des Westerwalds. Beziehungsweise an einer Autobahn mitten im Nirgendwo in Deutschland, wie sie es vergangenes Jahr in ihrer Dankesrede bei den Grammys formuliert hat. Da hatte sie zusammen mit Sam Smith für die Single „Unholy“ das vergoldete Grammophon gewonnen, als beste Pop-Duo/Group-Performance, und Smith hatte der Kollegin großzügig den Platz am Mikrofon überlassen, weil sie, wie Petras unter Freudentränen verkündete, die erste trans Frau sei, die diesen Preis gewinnt und dies dank ihrer Mutter, die ihr damals geglaubt habe, dass sie ungeachtet des ihr zugewiesenen Geschlechts ein Mädchen sei.
Kim Petras ist also einen langen, schwierigen Weg gegangen, um an diesem Dienstagabend, nach Stationen in den USA und Mexiko, in London, Brüssel und Paris in ihrer alten Heimat aufzutreten, da reicht es nicht, die richtige Ausfahrt an der A3 zu nehmen, da muss man größer träumen können, als eigentlich erlaubt ist. Man muss allen Ernstes und allen Zynikern zum Trotz an die transformative Kraft von Pop glauben.
Was sich bei Petras freilich nicht in salbungsvollen Selbstverwirklichungs-Hymnen äußert, sondern in einem Stück wie „Coconuts“, einem treibenden Loblied auf ihre Brüste: „Jeder liebt die Zwillinge“, lautet die einzige Textzeile, die wir in einer Familienzeitung zitieren können. Wie das wohl bei der Verwandtschaft ankam?
Kim Petras ist den schwierigen Weg von Uckerath nach Hollywood gegangen
Für die gibt es als Zugabe eine echte Premiere. Zum ersten Mal überhaupt, kündigt Petras an, werde sie ein Lied auf Deutsch singen: „Alles bricht mal entzwei“, presst sie prompt mit waidwunder Emphase hervor, „doch ein Herz kann in eintausend Teile brechen.“ Was für eine schöne Schnulze! Die Menge ist entzückt. „Eintausend Teile“ ist ein Cover der dänischen Sängerin Anne Linnet, einer LGBTQ-Pionierin, die schon in den 1980ern mit ihrer New-Wave-Band Marquis de Sade feministische und lesbische Themen im Songformat behandelt hat. Kim Petras ist als Performerin und Liedermacherin vor allem auch eine eifrige Studentin der Popgeschichte.
Dabei interessiert sie, wie ihre britischen Kollegen des Hyperpop-Genres, gerade das scheinbar Flüchtige, Billige, Oberflächliche der Gebrauchsmusik. So hat sie zum Beispiel zusammen mit Paris Hilton deren Trash-Klassiker „Stars Are Blind“ neu eingesungen. Die Logik dahinter leuchtet ein, man kennt sie ja bereits aus der queeren Camp-Kultur: Das, was sämtliche kapitalistische Verwertungszyklen bereits durchlaufen hat, mit all dem anderen Talmi- und Plastiknippes auf der Müllhalde der Kultur entsorgt wurde, lässt sich abseits des etablierten Kanons mit neuer Bedeutung aufladen.
Den ersten Akt ihrer Werkschau hat Petras ihrem als Mainstream-Debüt gemeinten Album „Feed the Beast“ gewidmet. Mit silberner Maske präsentiert sie sich im eng korsettierten Abendkleid. Die Maske fällt, Petras posiert wie Marlene Dietrich für Josef von Sternberg, zwei Tänzerinnen (mehr werden es nicht) verwandeln das Kleid in einen Minidress, während sich auf der großen LED-Wand Visionen der Hölle mit Kirchenfenstern und Glocken mit Guillotinen abwechseln.
Er möge sie aus ihrer ganz persönlichen Hölle befreien, ihre Dämonen exorzieren, fleht die Sängerin einen unbekannten Boy an. Eine Madonna-Hommage als Auftakt, warum nicht. Er gipfelt im nur kurz angespielten „Unholy“, ihrer US-Nummer-Eins.
Spätere Akte widmen sich ihrem zweiten, eigenwilligeren Album „Problematique“ – Petras streckt sich im Schachbrettmusterdress mit ebensolcher Baskenmütze vor einer riesigen glühenden Zigarettenspitze, zitiert französischen Filter-House und schwört mit Inbrunst „Je t‘adore“ – und frühe Hits wie „Hillside Boys“. „Der nächste Song is about heiße Typen, die mein Herz gebrochen haben“, kiekst Kim Petras im charmanten Deutsch-Englisch, lässt die Goldlamellen ihres Cocktailkleides hüpfen, ihre Stimme ist stark und klar und schrill, nur wenn sie will, sie beendet das Stück mit einem spitzen Schrei.
Dann freut sie sich kurz über ihr erstes ausverkauftes Konzert in der Gegend, in der sie groß geworden ist und das anschließende „Can’t Do Better“ klingt überwältigt und überwältigend zugleich. Am eindrucksvollsten und stimmigsten war freilich der zweite Akt des Konzerts gelungen. Petras hatte ihn ihrer „Slut Pop“-EP gewidmet, mit deren schamlos sexuell aufgeladenen Club-Hits.
Sängerin und Tänzerinnen lassen ihre zu kurzen Schuluniform-Röckchen fliegen, fröhlich hüpfen die Hinterbacken, während Petras das Publikum auffordert, sie wie eine Schlampe zu behandeln, eine Latex-Peitsche schwingt und die eigenen Oralsex-Künste lobt, während ihr ein überlanger Mikrofonständer hingehalten wird.
So schmutzig kann das reine Popglück sein, so devot Selbstermächtigung. Wie dieser subversive Trick funktioniert, auch das weiß man spätestens seit Madonna. Wie schön, dass deren Botschaft einst bis nach Uckerath durchgedrungen ist. Und auf der Galerie tanzt die Familie dazu.