Konzert in KölnKing Krule erhebt die schlechte Laune zur hohen Kunst

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21.10.2023
Köln:
Konzert King Krule im Carlswerk Victoria, Sänger und Gitarrist Archy Marshall klammert sich ans Standmikrofon. Er trägt ein grün-beiges Hemd.

Archy Marshall alias King Krule im Carlswerk Victoria in Köln

Archy Marshall alias King Krule galt vor zehn Jahren als Wunderkind. Im ausverkauften Carlswerk Victoria zeigt er, wie man frühen Ruhm gut überlebt.  

„Fühlt Ihr Euch gut?“, pflegen sich Rockmusiker auf halber Konzertstrecke bei ihrem Publikum zu erkundigen, selbstredend rein rhetorisch, in Erwartung einer entsprechend enthusiastischen Reaktion. Archy Marshall, der unter dem sprechenden Namen King Krule auftritt, wäre nun wirklich der Letzte, der seinen Fans eine solche Frage stellen würde. Konstatiert er doch gleich im ersten Song seines Kölner Sets, naheliegend „Perfecto Miserable“ betitelt: „Ich fühle mich nie gut“

Und das in einem bellenden, manchmal geradezu gewalttätigen Bariton, der so gar nicht zu seiner schlaksigen Statur zu passen scheint, zu seinem auch mit 29 Jahren immer noch bubenhaften Gesicht. Aber perfekt zur musikalischen Begleitung seiner fünfköpfigen Band, mit ihren verhängnisvollen Bassläufen, psychotischen Saxophonsoli und Dalí-artig zerfließenden Gitarrenakkorden. King Krule vermählt punkige Schroffheit mit nachmitternachtlichem Kriminaljazz: Schlecht beleuchtete, regennasse Londoner Straßen, ein plötzlicher Schlag in die Magengrube, so klingt fast jedes Stück und selbst wenn sich die Band mal eine längere Ambient-Passage gönnt, sollte man das nicht als Einladung zur Entspannung missverstehen, es ist der Sound anschwellender Panik.

21.10.2023
Köln:
Konzert King Krule im Carlswerk Victoria
Foto: Martina Goyert

King Krule im Carlswerk Victoria

Nur: Warum fühlt sich dann das Publikum im ausverkauften Carlswerk Victoria dann so verdammt gut? „Archy, Archy“-Rufe durchbrechen regelmäßig die Stille, wenn King Krule nach einem schroffen Exerzitium mal wieder seine Gitarre nachstimmen muss. Als Marshall mit nur 18 Jahren sein Debütalbum „6 Feet Beneath the Moon“ veröffentlichte, bejubelten ihn die Kritiker als gefährdetes Wunderkind. Was eben so passiert, wenn man als junger, labiler Schulverweigerer zu verlorenen Jazz-Akkorden davon träumt, eins mit dem Zement zu werden, nachdem man sich aus dem Fenster gestürzt hat.

Aber Archy Marshall hat sich weder aus dem Fenster geworfen, noch hat er seinen Sound um 180 Grad gewendet, er hat einfach weitergemacht, seine Musik immer weiter verdichtet, nicht zuletzt im Dialog mit dem Publikum. Er hat eine kleine Familie gegründet, hat mit „Seaforth“ einen Song für seine Tochter (eine seiner wenigen Zwischenansagen in Köln) veröffentlicht, an dessen Melancholie man sich beinahe wärmen kann, weil er immerhin vom (verzweifelten) Glauben daran erzählt, den Abstand zwischen zwei Personen überwinden zu können.

Dieses sture Weitermachen im Angesicht des Abgrunds – man denkt an Samuel Becketts berühmtes Mantra „Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern“ – lässt sich nicht zur pressekonformen Erlösungsgeschichte umdichten. Aber genauso fühlt es sich an, das Leben und Überleben im 21. Jahrhundert. Der frühe, an The Clash erinnernde Hit „Easy Easy“ ermuntert zum fröhlichen Herumrempeln, aber die Energie trudelt gleich wieder im erschöpften „If Only It Was Warmth“ aus: „Ich bin so enttäuscht von dir“, wiederholt King Krule darin und verweigert sich der gewohnten Steigerungsdramaturgie. So ist das Leben eben.

Zur Zugabe spielt er mit „Out Getting Ribs“ einen seiner ersten Songs, er hatte ihn noch unter dem Projektnamen Zoo Kid veröffentlicht. Schlurft erst allein auf die Bühne, singt, wie niedergeschlagen und einsam er ist, aber die Menge singt mit und dann fallen auch seine Mitspieler ein, die Klage nimmt Fahrt auf, berührt um ein Haar Jazzrock-Gefilde, bevor Archy Marshall seine Gitarre abschnallt und in den Backstage-Bereich trottet. Die Zeiten sind miserabel, aber für den Moment fühlen wir uns gut.

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