Nach sechs Jahren Abwesenheit von der Bühne startet Xavier Naidoo in der Lanxess-Arena einen Comeback-Versuch – trotz anhängiger Verfahren wegen Volksverhetzung.
Konzert in KölnWie Xavier Naidoo versucht, in die Mitte der Gesellschaft zurückzukehren

Xavier Naidoo in der ausverkauften Kölner Lanxess-Arena.
Copyright: Rolf Vennenbernd/dpa
Wäre die Bühne die ganze Welt und die Menschen, die sich in der Arena auf sie ausgerichtet haben, deren Gesamtbevölkerung, alles wäre wieder gut. All die Dinge, von denen Xavier Naidoo in „Abschied nehmen“ bekennt, dass er sie nur sagte, weil ihn wieder irgendetwas plagte, sie wären verziehen. Übrig bliebe allein die Musik, gespielt von einer sechsköpfigen, tadellos tighten Band, und die Herzensergießungen des einstigen Konsensstars, der an diesem Dienstagabend in Köln phänomenal bei Stimme war.
„Eigentlich sind wir alle für die Liebe geboren“, singt Naidoo gleich zu Anfang seines ersten Konzerts seit sechs Jahren, und er meint das – das Lied liefert den Titel der Tour – bei seiner Seele. Nach zweieinviertel Stunden wird er dann, badend im warmen Applaus des gerührten Publikums, von einem unfassbaren Erlebnis sprechen. Und mit ein wenig Verwunderung feststellen, dass er „wieder richtig drin“ sei.
Nun ist die Lanxess-Arena aber nur ein winziger Ausschnitt der Welt und dort draußen gibt es viele, die nicht verstehen können oder wollen, warum man den Seelensänger und vormaligen Hasspropheten überhaupt wieder hereinlassen sollte. Vor dreieinhalb Jahren veröffentlichte Naidoo ein dreiminütiges Video, in dem er bekannte: „Ich war von Verschwörungserzählungen geblendet.“ Er habe seine Familie, seine Freunde, seine Fans, Menschen, die ihn verteidigt haben und auch viele andere Menschen mit verstörenden Äußerungen irritiert und provoziert. Für die möchte er sich entschuldigen.
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Marek Lieberberg nennt Naidoo-Kritik absurd und zynisch
Der Konzertveranstalter Marek Lieberberg gehört zu diesen Menschen, die Naidoo noch verteidigten, als sich viele andere längst schockiert und angewidert abgewandt hatten. Und er gehört jetzt auch zu denjenigen Menschen, die die Entschuldigung von Mannheims verlorenem Sohn angenommen haben: Naidoo, sagte Lieberberg der dpa, habe sich mit seinem öffentlichen Bekenntnis zweifelsfrei distanziert. Den Vorwurf, er habe diese Entschuldigung nicht mit Taten untermauert, halte er für „absurd und zynisch“.
Das schrammt, mit Verlaub, gefährlich nahe an der oft bemühten Täter-Opfer-Umkehr. „Absurd und zynisch“ trifft doch wohl eher auf etliche Äußerungen und Liedtexte Naidoo zu. Sie als bloß irritierend oder provozierend abzutun, ist eine unzulässige Verharmlosung, genau wie die denkfaule Formulierung, der Sänger sei „umstritten“. Wer den Holocaust leugnet, ist eben nicht umstritten, der ist ein Holocaustleugner, da bleibt kein Platz zum Streiten.
Prompt postete der Komiker Oliver Pocher – zuverlässig auf der falschen Seite jedes Arguments – am Dienstagabend ein kurzes Video der Kölner Show, versehen mit dem Ausruf „Sie haben versucht zu canceln, aber Talent und Können setzt sich immer durch!“ Aber wer sollten diese „sie“ sein? Wer hat sich denn, noch im alten Jahrtausend, selbst als Rassisten bezeichnet, wer hat mit Reichsbürgern demonstriert, von den Nazis als den eigentlich Linken gesprochen, den rechtsextremen Aktivisten Attila Hildmann nach dessen Flucht in die Türkei einen „blitzgescheiten Unternehmer“ genannt und zusammen mit dem Sänger der ebenfalls rechtsextremen Hooligan-Band Kategorie C ein Lied aufgenommen?

Xavier Naidoo steht beim Auftakt seiner Tour "Bei meiner Seele" auf der Bühne in der ausverkauften Lanxess-Arena.
Copyright: Rolf Vennenbernd/dpa
Der Extremismus-Experte Josef Holnberger nennt im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland Naidoo einen Menschen, der „seit Jahrzehnten ein festes verschwörungsideologisches Weltbild hat“, der während der Pandemie die antisemitische Fälschung „Protokolle der Weisen von Zion“ mit einem Vorwort des NS-Chefideologen Alfred Rosenberg verbreitet und den Inhalten relativ obskurer rechtsterroristischer US-Kanäle ein potenziell riesiges Publikum verschafft habe. Der definitiv einer der Radikaleren auf dem Telegram-Kanal gewesen sei.
Das lässt sich nicht mehr als im Grunde harmloses Geschwurbel abtun und das lässt sich auch nicht mit einem kurzen abgelesenen Statement auf YouTube entschuldigen, in dem Naidoo es sorgsam vermeidet, allzu konkret zu werden. Im Grunde lässt sich das weinerliche Video mit einem Zweizeiler aus seinem Song „Hört Hört“ zusammenfassen: „Meine Stimme hat viele betört, meine Worte haben manche verstört.“ Beim Landgericht Mannheim sind noch zwei Verfahren wegen Volksverhetzung gegen ihn anhängig. Es geht, sagt die Staatsanwaltschaft, um ebenjene Inhalte mit Holocaust leugnenden und antisemitischen Charakter.
Staatsanwaltschaft ermittelt noch wegen Volksverhetzung
In der Tat verstörend ist, wie wenig das viele Menschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz stört, die Kölner Comeback-Show ist mit 16.000 Zuschauern ausverkauft, das zweite Konzert am Mittwochabend ebenfalls und für die im Januar folgende Tour werden immer weitere Zusatzkonzerte angesetzt. Die Produktion ist ultragediegen, die exzellenten Musiker und Musikerinnen, die in Halbkreisen angeordneten Bühnenlichter, die manchmal wie ein aufgeklappter Würfel angeordneten LED-Wände. Die Setlist, die sich größtenteils aus mitsingbaren Klassikern zusammensetzt und jedes kontroverse Stück vermeidet – und Naidoo, der sich äußerlich nahezu unverändert präsentiert. Schlank, mit schwarz-rot-karierter Jacke und obligatorischer Sonnenbrille, nur das Haar, das raspelkurz unter der Schiebermütze hervorlugt, scheint ergraut.
Zwischen den Liedern beteuert er immer wieder, dass er gar nicht gewusst habe, dass man ihn vermisse: „Wir sind nur wegen Euch hier.“ Nur einmal erwähnt er, wie nebenbei, Kommentare, die er gelesen, „Tiktok-Sachen“, die er angeschaut habe, „Mannomann“. Später erklärt er seine lange Abwesenheit damit, dass er sich in den letzten Jahren um seine Familie gekümmert und vergessen habe, dass hier auch noch eine Familie sei. Jetzt wollten diese Lieder wieder raus. „Bisschen Hoffnung brauchen wir ja auch noch. Habt ihr Hoffnung?“ Johlende Zustimmung in der Arena und gleich darauf das nächste Trostlied: „Bitte höre nicht auf zu träumen von einer besseren Welt.“
Wie gesagt, wäre die Arena eine Insel inmitten eines kontextlosen Ozeans, man würde sich nicht schaudernd fragen, was genau sich Xavier Naidoo unter einer besseren Welt vorstellt, man könnte diesen Gottesdienst bedenkenlos mitfeiern. Den penetranten Predigerton und die schiefen Metaphern hatten Kritiker ja schon moniert, bevor sich Naidoo als Herr der Fragwürdigkeiten outete, aber eben auch nur die. Alle anderen hingen, wenn Naidoo ankündigte, dass mal wieder „ein Lied meine Lippen verlässt“ an ebendiesen und sie tun es immer noch und man will ihnen ihre schönen Gefühle dabei nicht absprechen.
Ja, man fängt, angetan von der kollektiven Innigkeit dieser gut zwei Stunden, selbst an, nach Entschuldigungen zu suchen. Hat der 54-Jährige im vergangenen Vierteljahrhundert nicht so gut wie jeden Verschwörungswahnsinn in sich aufgesogen und nachgeplappert? Hat Strafanzeigen wegen der Einführung des Euros gestellt. Hat nicht nur die Existenz der Bundesrepublik angezweifelt, sondern auch die des gesamten Weltraums. In seine Laptopkamera über Kinder geheult, die in diesem Moment gerade aus Folterkellern befreit würden, wo pädophile Satanisten ihr Adrenochrom abschöpfen wollten. Hat die Erde für flach erklärt.
Vielleicht müssen wir uns Xavier Naidoo als den elektrischen Mönch aus dem gleichnamigen Douglas-Adams-Roman vorstellen: Der Roboter arbeitet sich durch eine endlose Reihe unsinniger Glaubensvorstellungen, damit es die Menschen nicht tun müssen. Aber, und hier bricht der Vergleich zusammen, der elektrische Mönch durchlebt seinen Wahnsinn allein auf einem weit entfernten Planeten. Naidoo aber hat jahrzehntelang die ungeheuerlichsten, brandgefährlichen Dinge gepredigt und glaubt nun, mit ein bisschen performativer Reue – so unkonkret, dass alte Weggefährten sich nicht vor den Kopf gestoßen fühlen müssen – in die Mitte der Gesellschaft zurückkehren zu können. Wem hat denn seine Entschuldigung etwas gebracht, außer ihm selbst? Und wenn die Mitte ihn so dankbar wieder annimmt, wie am Dienstabend in Köln, was trägt er dann in sie hinein?

