Krimispaß am Schauspiel KölnSie spielt im „Tatort“ Kommissarin, er war Kommissar und wollte lieber spielen

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Schauspielerin Ines Marie Westernströer trägt einen blauen Hoodie, Friedhelm Friebe einen dunkelblauen Pullover über grünem Hemd. Beide lächeln.

Ines Marie Westernströer spielt im „Tatort“ eine Kommissarin, der Kölner Kommissar Friedhelm Friebe hat zur Schauspielerei gewechselt.

Ines Marie Westernströer und Friedhelm Friebe feiern im Köln-Mülheimer Depot 2 Premiere mit der Komödie „Soko Tatort“. Ein Gespräch über TV-Krimis und die Wirklichkeit dahinter. 

Ines Marie Westernströer, Friedhelm Friebe, Sie feiern am Donnerstag am Schauspiel Köln Premiere mit „Soko Tatort“, einem neuen Stück über die Krimilust der Deutschen. Wie ist das entstanden?

Ines Marie Westernströer: Wir haben in den ersten Wochen der Proben viel am Tisch gesessen, intensiv über verschiedenste Themen gesprochen, die Polizei und Justizsysteme betreffend. Und Nele Stuhler, die Regisseurin und Autorin, hat daraus eine Komödie über eine Kriminaltheatertruppe gemacht, in deren Proben ein Mord passiert, der dann aufgeklärt werden muss. Es ist also ein lustvoller, komödiantischer Abend, Nele schreibt extrem lustig und pointiert. Aber sie benutzt die Komödie auch als Folie, um über diese schweren und schwierigen Themen wie zum Beispiel Polizeigewalt nachzudenken.

Friedhelm Friebe: Ich konnte natürlich an vielen Stellen meine Erfahrung einbringen und wir hatten auch noch Gäste eingeladen, eine Bezirksdienst-Polizistin, eine Kriminologin. Am Ende war ich überrascht, wie viele Details aus diesen Gesprächen Nele Stuhler ihrem Skript untergebracht hat.

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Herr Friebe, Sie haben von 1976 bis 2019 als Kriminalbeamter im Kölner Polizeipräsidium gearbeitet, eine lange Strecke. Wenn Sie nach der Arbeit einen Fernsehkrimi gucken, wie realistisch wird die Ermittlungsarbeit dort dargestellt?

Friebe: Ich habe kein Faible für Krimis. Aber meiner Lebensgefährtin zuliebe schaue ich sonntagabends schon mal den „Tatort“. Da gibt es nur zwei Varianten. Entweder denke ich mir: Mein Gott, was für ein abgehobenes Zeug! Oder: Das hat zwar mit der Polizeipraxis überhaupt nichts zu tun, aber die Story hat mich trotzdem gepackt. Nele hat mich gefragt, ob das denn wirklich so sei, dass die Kriminalbeamten rund um die Uhr erreichbar sind und arbeiten. Ich war jahrelang Kommissionsleiter. Auch bei der Polizei gibt es das Ideal, eine Balance zwischen Beruf und Familie hinzubekommen. Da gab es oft die Schwierigkeit, dass eine dringende Ermittlungshandlung gemacht werden muss und dann sagen mir die Mitarbeiter, ich kann nicht, ich muss mein Kind von der Schule abholen. Oder, wenn wir man nächsten Morgen jemanden verhaften müssen: Aber bitte nicht vor acht, ich muss erst mein Kind zum Kindergarten bringen.

Welches Ermittlerteam kommt denn der Realität noch am nächsten?

Friebe: Also ich würde sagen, die Kölner, die sind schon relativ nah.

Die Kölner„Tatort“-Kommissaresind der Realität schon relativ nah.
Friedhelm Friebe

Frau Westernströer, Sie haben jetzt fünf Saarland-„Tatorts“ abgedreht. Wird man als „Tatort“-Kommissarin eigentlich von Experten gebrieft?

Westernströer: Nur von Fall zu Fall. Wir hatten zum Beispiel einmal eine Szene, in der wir zu dritt ein Haus stürmen mussten, in dem sich eine potenziell gefährliche Person befand. Da hatten wir ein Training, wie man sich professionell Deckung gibt, damit das halbwegs realistisch aussieht. Wir hatten auch Schießtraining und wir arbeiten eng mit der Polizei in Saarbrücken zusammen. Ich habe aber auch während Probenarbeit viel Neues von Friedhelm gelernt. Zum Beispiel, wie man sich bei Verhandlungen mit einem Geiselnehmer verhält. Solche Einblicke von einem echten Kommissar fand ich total bereichernd.

Friebe: Was mich bei den letzten „Tatort“-Folgen, die ich gesehen habe, zunehmend nervt, ist diese persönliche Verquickung der Kommissare in den jeweiligen Fall. Es gibt ja kaum noch eine Folge, wo nicht der ermittelnde Kommissar, oder die ermittelnde Kommissarin mit einem der Zeugen oder Verdächtigen verwandt ist, oder ihn diese verliebt. Und dann, obwohl völlig befangen, unbeirrt weiter die Ermittlungen führt. Das ist so absurd, so an der Polizeirealität vorbei, da bin ich immer kurz davor auszuschalten.

Westernströer: Das mögen allerdings wiederum die nicht-professionellen Zuschauer. Ich finde es total schön, dass ich einerseits diese ganz ernste Kommissarin-Rolle und anderseits dieses Stück hier machen kann, wo wir mit den Klischees des Formats spielen. So etwas wie die Frage „Wo waren sie denn gestern Abend zwischen …“, die ja nun wirklich in jedem Krimi vorkommt, parodieren wir natürlich auch.

Ich finde es total schön, dass ich einerseits diese ganz ernste Kommissarin-Rolle und anderseits dieses Stück hier machen kann, wo wir mit den Klischees des Formats spielen.
Ines Marie Westernströer

Die kommt doch auch in der richtigen Polizeiarbeit vor, oder?

Friebe: In der Wirtschaftskriminalität, das war mein Fachgebiet, eher selten, aber im Mordermittlungsbereich selbstverständlich.

Herr Friebe, Sie haben nach Ihrer Pensionierung eine Schauspielausbildung gemacht. War das ein lang gehegter Wunsch?

Friebe: Eigentlich nicht. Polizisten werden ja mit 62 Jahren pensioniert. Gäbe es diese Altersgrenze nicht, hätte ich weiter als Kriminalbeamter gearbeitet. Mir hat mein Beruf im Wesentlichen Spaß gemacht. Es gab dann eine Initialzündung. Ich habe im Freien Werkstatt Theater eine Inszenierung von Patricia Highsmiths „Der talentierte Mr. Ripley“ gesehen – und hatte plötzlich den Gedanken: Ach, das muss doch geil sein, da vorne zu stehen. Ich habe mehrere Nächte darüber geschlafen, aber der Gedanke immer noch da. Deswegen habe ich dann bei einer Kölner Schauspielschule eine komplette Schauspielausbildung gemacht, Full Time für vier Jahre.

Und Sie haben diese Entscheidung seitdem nicht bereut?

Friebe: Es gab Phasen in der Ausbildung, wo ich gezweifelt habe. Als Kommissar konnte ich weitgehend eigenständig ermitteln, war mein eigener Herr. Auf der Schauspielschule musste ich mir 1000 Kleinigkeiten sagen lassen, simple Verhaltensregeln und jede Menge Kritik. Trotzdem: Es hat mir Spaß gemacht. Letztes Jahr im Sommer habe ich die Ausbildung abgeschlossen und habe jetzt die Freiheit, Theaterprojekte zu machen, die mich interessieren. Ich bin auch Mitglied an der Old School hier im Schauspiel Köln geworden. „Soko Tatort“ ist jetzt das erste Projekt, in dem ich nur mit Profis zusammen arbeite.

Im Internet habe ich eine Liste mit den gerade laufenden deutschen TV-Krimis gefunden. Da kommt man auf eine unglaubliche Zahl: Es sind fast 140 Serien. Was ist das, mit den Deutschen und ihren Krimis?

Westernströer: Es gibt tatsächlich eine unglaubliche Lust auf Krimigeschichten hierzulande. Darüber haben wir auch viel gesprochen, woher das kommt und was das wiederum in den Leuten auslöst und mit der Gesellschaft macht. Auch diese ganzen True-Crime-Formate, bei denen man sich permanent mit einer potenziellen Bedrohung beschäftigt. Beim „Tatort“ ist das Ziel eher, dass man danach gut einschlafen kann. Zu spannend darf es auch nicht sein, am Ende wird die Täterin oder der Täter gefasst. Alles ist geregelt worden, der Staat hat seinen Job gemacht und wir sind sicher. Und am Montag kann man dann mit den Kolleginnen darüber sprechen.

Friebe: Mittlerweile sind fast 60 Prozent der Fernsehproduktionen Krimis.

Und im deutschen Fernsehen ist gerade die Figur des Kommissars extrem wichtig …

Westernströer: … das gehört ja auch zu den Grundlinien des „Tatort“-Konzeptes. Und das hat sich seitdem immer weiter ausgebaut und ist zu so einem Kult-Ding geworden, angefangen mit Schimanski.

In der polizeilichen Praxis gibt es keine Einzelkämpfer wie Schimanski.
Friedhelm Friebe

Friebe: Was gleichzeitig mit der Realität wenig zu tun hat, denn in der polizeilichen Praxis gibt es diese Einzelkämpfer nicht, die würden rausgeschmissen. Ein Kommissionsleiter hat im Wesentlichen die Funktion, Arbeitsaufträge zu verteilen, sich Ergebnisse anzugucken und die Truppe bei Laune zu halten. Aber bestimmt nicht vorzupreschen und alles alleine zu machen.

Vielleicht ist der TV-Kommissar eine Figur, die Ordnung in eine Welt bringt, die droht im Chaos zu versinken.

Westernströer: Ja, aber da haben sie auch noch eine interessante Diskrepanz zur echten Polizeiarbeit. Zu den Schwierigkeiten, die dieses Gewaltmonopol Polizei mit sich bringt, Stichwort Rassismus innerhalb der Polizei, was ja ein Riesenproblem ist. Dagegen ist die Darstellung von Polizei im Fernsehen häufig sehr idealisierend. Kommissar und Kommissarin sind Sympathieträger, mit denen man sich identifiziert. Das spiegelt die Realität nur bedingt wider.

Wie war das im Polizeipräsidium Köln, Herr Friebe, haben Sie da Rassismus erlebt?

Friebe: Ich bin ja über 40 Jahre lang bei der Polizei gewesen. Aus den ersten 20 Jahren erinnere ich mich an diverse rassistische Sprüche, auch an rassistisches Handeln. Was aber damals nicht so empfunden wurde. So in den letzten 10, 20 Jahren ist das in der Öffentlichkeit immer mehr Thema geworden. Die Leute, die das praktizieren, sind sich bewusst, dass das innerhalb der Polizei nicht mehr gewünscht ist, sind aber für sich trotzdem der Meinung, dass man diese Sachen eigentlich völlig anders sehen und anpacken müsste. Was ein bisschen erschreckend ist.

Es gibt keine Überwachung der Polizei, sie hat so eine Art Gewaltmonopol.
Ines Marie Westernströer

Westernströer: Darüber haben wir auch viel gesprochen, dass es keine Überwachung der Polizei gibt, dass die Polizei so eine Art Gewaltmonopol hat. Es sind auch nicht nur diese Sprüche. Sondern auch der Aspekt, wer wird polizeilich kontrolliert. Also Racial Profiling. Da gibt es verschiedenste Statistiken, die das ganz klar belegen: Sobald du schwarz bist, oder eine Person of Colour findest du dich ständig in dieser Situation wieder.

Hat man als „Tatort“-Kommissarin eigentlich Einfluss darauf, wie man in seiner Rolle handelt?

Westernströer: Auf die Geschichten haben wir keinen Einfluss. Ich könnte vielleicht vorschlagen: Lass uns doch mal einen Tatort über Rassismus machen. Aber ob das dann stattfindet, ist natürlich eine Entscheidung der Redaktion. Was ich beeinflussen kann, ist die Entwicklung meiner Figur.

Sie sind ja als erfahrenere Theaterschauspielerin zum „Tatort“ gekommen, wird man danach anders wahrgenommen.

Westernströer: In Saarbrücken werde ich ab und an mal auf der Straße erkannt. Aber wir machen ja nur einen „Tatort“ im Jahr, da hält sich das in Grenzen. Für mich ist das gut so, weil ich ja eben auch Theater spiele und fest engagiert bin und sich das auf diese Weise parallel bewältigen lässt.

Noch einmal zurück zum Probenprozess. Was haben Sie zum Thema gelernt, was sie überrascht hat?

Friebe: Für mich war das die Erkenntnis, dass Polizisten und Schauspieler über das Spielen von Rollen miteinander verknüpft sind. Ein Schauspieler, der auf die Bühne geht und 100, 200 Leuten gegenübersteht, die ihn mit einer bestimmten Erwartungshaltung angucken, das läuft für mich parallel zu der Situation von uniformierten Polizistinnen und Polizisten im Einsatz. Man steigt aus dem Streifenwagen aus, und um einen herum stehen Menschen, die gewisse Erwartungen haben. Man spielt eine Rolle.

Westernströer: Es ist eine ganz intensive Arbeit damit gewesen, ein bisschen wie ein Crashkurs-Seminar über Kriminologie. Friedhelm und ich haben auch schon Nummern ausgetauscht. Wenn ich dann das neue „Tatort“-Drehbuch kriege, kann ich ihn jetzt einfach mal fragen, wie würdest du das an der Stelle machen, als echter Kommissar? Das ist Gold wert.


„Soko Tatort“ feiert am 7. Dezember Premiere im Depot 2, weitere Termine: 16., 21. 12. 2023; 20., 28. 1. 2024, Depot 2

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