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Lars Eidinger im Interview„Man läuft Gefahr, Geschichte zu banalisieren“

Lesezeit 7 Minuten
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Gerd Heidemann (Lars Eidinger) präsentiert die Hitler-Tagebücher.

Herr Eidinger, Sie spielen Theater, wirken in zahlreichen Kino- und Fernsehfilmen mit, arbeiten als DJ – wie schaffen Sie das alles? Also zeitlich, meine ich?

Lars Eidinger: Ich habe mein Leben lang darauf gewartet, in Filmen groß und viel besetzt zu werden. Jetzt wo es sich einlöst liegt es mir fern zu sagen, ich brauche eine Auszeit oder will mich rar machen. Mein Beruf ist meine Leidenschaft, die ich ausleben will. Und wenn man etwas leidenschaftlich betreibt, ist die Energie, die einem zur Verfügung steht, nahezu unerschöpflich.

Energie haben viele, aber Texte zu lernen ist nicht jedermanns Sache.

Das beeindruckt die Leute immer, unterscheidet sich aber nicht groß von der Vorbereitung auf eine Klausur oder Prüfung. Es ist auch nicht die eigentliche Herausforderung des Berufs.

Sondern?

Zum Beispiel sich in so hoher Frequenz in emotionale Ausnahmesituationen zu bringen. Ich habe in „Nahschuss“ jemanden gespielt, der zum Tode verurteilt und hingerichtet wird. Ich habe in „Schwesterlein“ jemanden gespielt, der an Krebs stirbt. Und in „Persischstunden“ einen Offizier in einem Konzentrationslager. Das sind alles extreme Situationen, in die man sich hineinversetzen muss. Die Herausforderung besteht darin, sich darauf einzulassen und treffen zu lassen. Es gibt eine nachvollziehbare Sehnsucht von uns in Sicherheit zu sein. Sich emotional berühren zu lassen gelingt aber nur, wenn man sich aussetzt und angreifbar und schutzlos zeigt. Das kostet jedes Mal aufs Neue Überwindung.

Wie verhält es sich dazu nun mit der Personalie Gerd Heidemann? Spielt man die Rolle möglichst authentisch oder lieber doch nicht? Wie sind da die Absprachen?

Das ist in diesem Fall ziemlich komplex. Einerseits will ich mich nicht einschränken, indem ich mich sklavisch in den Dienst der Realität oder der Historie stelle. Das empfinde ich in gewisser Weise sogar als kunstfeindlich. Dann muss ich keinen Film machen. Die Fiktion erlaubt mir eine größere Freiheit.

Es ist also immer Interpretation?

Genau, ich nehme diese Figur oder diesen Menschen als Ausgangspunkt, und dann interpretiere ich ihn. Ich recherchiere vorher, schaue mir Verhaltungen an oder orientiere mich an einer Tonalität und dann Schöpfe ich aus diesem Pool an Referenzen. Aber nicht im Sinne von Imitation, sondern zitathaft.

Rauchen Sie?

Nein.

Aber im Film qualmen Sie ständig. Wie haben Sie das geschafft?

Das sind Kräuterzigaretten. Die sind nikotinfrei. Ich bin trockener Raucher. Ich habe mal sehr viel geraucht und möchte auf keinen Fall wieder damit anfangen. Ich glaube wenn ich auch nur an einer echten Zigarette ziehen würde, wäre ich wieder gefährdet. Wobei ich glaube, dass es inzwischen sogar verboten ist am Drehort echte Zigaretten zu rauchen, weil dem Rauch ja alle Umstehenden ausgesetzt sind. Und in der Frequenz, wie in den 80er Jahren geraucht wurde, kann man das heutzutage keinem zumuten.

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Im Film erscheint mir Gerd Heidemann als eine sehr verletzliche Figur, die mehr einstecken muss als alle anderen und deshalb Anteilnahme erzwingt. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ich halte ihn für eine sehr ambivalente Persönlichkeit. Ich kann nachvollziehen, wenn man Sympathie für ihn hegt oder sich mit ihm identifiziert. Trotzdem finde ich ihn schwer zu greifen. Zum Beispiel sehe ich seinen Fetisch, Nazi-Devotionalien zu sammeln hochgradig problematisch und wundere mich eher über die Toleranz, die er nichtsdestotrotz erfahren hat.

Wie nähert man sich an eine solche Charakterlandschaft an?

Erstmal finde ich zweitrangig, was ich von Gerd Heidemann halte. Das sollte nicht Teil meiner Darstellung sein. Das muss man ganz klar trennen. Es ist wie im Journalismus. Erstmal geht es darum zu beschreiben, dann kann ich es am Ende vielleicht noch bewerten. Aber wenn meine Bewertung die ganze Zeit mit einfließt, ist die Darstellung verfälscht.

Aber Sie haben doch eine Haltung zu der Rolle.

Mein Anspruch ist es, eine Figur nachvollziehbar zu machen und dem Zuschauer die Möglichkeit zu geben, sich zu identifizieren. Eine Bewertung führt im Gegenteil eher zu einer Distanz. Wenn ich jemanden zeige, der bei einem hochrangigen deutschen Magazin arbeitet, als einer der angesehensten Journalisten des Landes gilt und über seine Sammelleidenschaft von Nazi-Devotionalien über gefälschte Hitlertagebücher stolpert, dann sagt das doch schon sehr viel aus.

Zur Person

Lars Eidinger, 1976 in West-Berlin geboren, ist einer der meistgefragten und -beschäftigten deutschen Schauspieler. Seine Bühnenkarriere erlebte in diesem Jahr mit der Darstellung des Jedermann in Salzburg einen weiteren Gipfelpunkt.

Vielseitig ist auch seine Arbeit für Film und Fernsehen. Schillernde Akzente setzte er in diesem Jahr, als er im Kieler „Tatort“ zum dritten Mal als Mörder Kai Korthals auftrat. Ab dem 30. November ist er im Mehrteiler „Faking Hitler“ als Gerd Heidemann bei RTL+ zu sehen.

Also aus einer gesellschaftlichen Haltung heraus?

Es ist ja auch interessant zu untersuchen, wie oft Adolf Hitler in den letzten 40 Jahren die Titelblätter des Stern oder des Spiegel geziert hat, welchen Einfluss das auf die Verkaufszahlen hat und was das über eine Gesellschaft erzählt. Oder die Frage, darf man Adolf Hitler menschlich zeigen. Ich verstehe die Sehnsucht ihn zu dämonisieren und zum Monster zu stilisieren, aber ich wittere darin auch eine Gefahr. Es wäre zu einfach, zu sagen, das waren Unmenschen, die die Macht ergriffen haben. Die Tragik liegt ja gerade darin, dass es Menschen wie du und ich waren.

Also ein Fall von Kollektivschuld?

Die Nationalsozialisten sind von einer Mehrheit gewählt worden, sie haben sich nicht an die Macht geputscht. Und je mehr wir uns in diesen Figuren und diesen Menschen wiedererkennen, desto wichtiger und besser ist das für unsere Entwicklung und unsere Selbsterkenntnis. Auch wenn es schmerzhaft ist und wir uns wünschten, wir könnten es von uns weghalten. Und deshalb versuche ich, mich in diesem Gerd Heidemann wiederzuerkennen. Man muss sich doch klar machen, die Nazis sind von der Mehrheit der Deutschen unterstützt worden.

Aber war das Volk, die Wählerschaft nicht auch belogen und betrogen worden?

Damit macht man es sich zu einfach, wenn man immer von Verführung spricht. Heute wird die AfD auch nicht aus Protest gewählt, sondern weil die Wähler deren Werte teilen. Wer aus meiner Generation weiß denn schon, dass seine Großeltern Nationalsozialisten waren. Rückwirkend wollen alle im Widerstand gewesen sein.

Aber nicht alle hinterfragen oder denken darüber nach.

Wenn ich durch Berlin laufe und ich sehe die vielen Stolpersteine vor den Häusern, die mahnend an deportierten Jüdinnen und Juden erinnern, frage ich mich doch auch, wie es sein kann, das davon niemand etwas bemerkt haben will. Wenn bei uns im Haus jemand plötzlich fehlt merke ich das doch auch. Da wird Geschichte im Nachhinein verklärt und verfälscht.

Andererseits ist der Verführbarkeitswert der NS-Symbole nicht gering zu schätzen. Hollywood setzt bis heute darauf.

Ich denke, man muss diese Symbole immer im konkreten Zusammenhang sehen und sich in jedem Moment bewusst machen, wofür sie stehen. Dann verbietet sich jegliche Form von unreflektierter Faszination und Attraktion. Aber tatsächlich finde ich interessant sich zu fragen, woher rührt diese Faszination und was erzählt sie über uns als Gesellschaft. Natürlich war die Propagandamaschine der Nationalsozialisten mächtig und hatte ihre Wirkung, aber ich störe mich einfach daran, wenn es heißt, Hitler, Göring, Goebbels und Himmler das waren die Nazis, und der Rest, das waren Soldaten, die verführt wurden und für sie gekämpft haben.

Wenn es Hitler-Tagebücher wirklich gegeben hätte – würden Sie die lesen?

Nein, ich habe mir in der Vorbereitung der Rolle auch nicht die Fälschungen angeschaut.

Das geht?

Ich hatte von Seiten des Stern das Angebot, mir in deren Archiv die „originalen“ gefälschten Tagebuch anzusehen und gemerkt dass mich das gar nicht interessiert. Das finde ich auch schwierig. Deshalb überlege ich mir sehr genau, welche Filmangebote ich zu diesem Thema annehme. Weil es ein Thema ist, bei dem man immer Gefahr läuft Geschichte zu banalisieren oder zu verfälschen.

Wie also spielen Sie Heidemann?

Ich stelle ihn dar und versuche meine Sicht auf ihn nicht Teil meiner Interpretation werden zu lassen. Denn dann wäre die Darstellung verfälscht. Ich versuche aus der Logik der Figur zu handeln und sie nachvollziehbar zu machen. Ich möchte sie nicht vorführen, mich davon distanzieren oder mich darüber erheben. Die Wertung überlasse ich dem Zuschauer. Letztendlich erhöht das auch den Konflikt beim Zuschauen, weil ich mich mit den Figuren identifiziere und dem Publikum die Möglichkeit zur Identifikation gebe.