Anna Schudt über Debattenkultur„Diese Social-Media-Geschichten sind antikommunikativ“

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Anna Schudt spielt Hauptkommissarin Martina Bönisch im Dortmunder "Tatort" und ist in der Serie "Ein Hauch von Amerika" zu sehen"

Frau Schudt, die Serie „Ein Hauch von Amerika“ erzählt, wie die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg als Besatzer in die deutsche Provinz kamen und diese veränderten. Was macht solche historischen Stoffe für Sie als Schauspielerin interessant?

Anna Schudt: Es ist spannend, sich in die Charaktere dieser Menschen hineinzufühlen, die ja auch viel mit uns zu tun haben, weil es unsere Großeltern-Generation ist. Das ist noch sehr nah dran. Man weiß aber nur sehr wenig darüber, weil auch sehr wenig gesprochen wurde in dieser Generation, weil es so eine traumatisierte Generation ist, die nach dem Motto lebte: „Darüber spricht man nicht, dann geht es vorbei.“ Oder: „Man vergisst besser, als dass man aufarbeitet“. Abgesehen davon hatten sie natürlich auch die ganzen Werkzeuge, die wir heute haben, noch nicht.

Diese Verdrängung, die Sie beschreiben, wurde dieser Generation ja von ihren Nachkommen oft zurecht vorgeworfen. Aber brauchte es vielleicht eine gewisse Verdrängung, um nach dem Krieg weitermachen zu können?

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Definitiv. Ein Stück Verdrängung hat mit dem Überleben-Können zu tun. Das ist wichtig. Das ist ja keine bewusste Entscheidung, sondern etwas, das Körper, Seele und Geist so machen, wenn wir mit etwas nicht zurechtkommen. Bei allen Traumata ist erstmal wichtig, dass es dosiert verkraftet werden kann. Und dazu gehört, dass man nicht immer mit dem Gesamtpaket konfrontiert wird. Das schafft man nicht. Da wird man verrückt.

Geschichtsunterricht finden viele langweilig. Historische Filme und Serien sind aber meist sehr erfolgreich. Warum?

Uns allen ist es doch näher, einen spannenden Roman zu lesen als ein Sachbuch. Man kann ein Sachbuch über den Krieg lesen, oder man kann das anhand von Personen, mit denen man sich identifizieren kann, miterleben. Das ist ein großer Reiz an Filmen, Romanen und Geschichten überhaupt, die emotional erzählt sind. Man kann die Sicht einer Figur einnehmen und aus durch deren Augen gucken. Das sind keine harten Fakten, die man auswendig lernen muss. Das ist etwas, das im Herzen passiert. Und das ist für uns alle einfacher und schöner.

Was nehmen Sie denn persönlich aus der Beschäftigung mit dieser Zeit mit?

Für mich ist es interessant, weil ich daraus einen großen Schatz von Fragen ziehe, die ich meinen noch lebenden Eltern stellen kann. Mich fasziniert daran ganz stark, woher wir kommen. Was hat das mit unseren Eltern gemacht? Und was haben unsere Eltern vielleicht deswegen mit uns gemacht? Was gehört uns vielleicht gar nicht von den Dingen, die wir mittragen und weitergeben, obwohl wir das vielleicht gar nicht wollen? In unserer westlichen Welt hängt noch viel an dieser Zeit. Auch unsere Identität, unsere Kreativität. Was dürfen wir, was nicht? Warum sind wir so selten stolz? Die Vergangenheit hat viel mit unserer Identität heute zu tun.

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Sie spielen eine Frau, die sehr hart auftritt und sich sehr an Regeln und gesellschaftlichen Konventionen orientiert. Ist sie eine typische Frau für diese Zeit?

Ich bin immer vorsichtig mit solchen Zuschreibungen. Aber in dieser Figur ist vieles vereint. Sie agiert eher im Hintergrund, aber an ihr kann man viel ablesen, wenn man will. Der Tod des einen Sohnes, das Verschollensein des anderen, die Tochter, die überhaupt nichts mehr damit zu tun haben, sondern einfach nur losziehen und leben will. Damit hatten sicherlich viele Frauen zu tun.

Sie will nur das Beste für ihre Kinder, aber ihr Handeln bewirkt das Gegenteil. Eigentlich ist sie eine tragische Figur, oder?

Ja, sie ist eine sehr tragische Figur. Ich habe versucht, sie als Liebende zu spielen. Das war meine Form des Umgangs damit. Man muss immer fragen: Woher kommt das? Das ist eine Frau, die versucht, sich anzupassen. Sie ist keine politische Kämpferin, sie ist eine Mitläuferin, die sich an den Gegebenheiten orientiert, die versucht, sich ihrem Mann anzupassen. Sie hat den Antisemitismus und Rassismus inhaliert. Nichtsdestotrotz ist sie die Mutter von drei Kindern und will das gut machen. Genau das macht sie tragisch, denn nichts davon funktioniert. Der erste Sohn kommt nicht zurück, der zweite kehrt als Stein heim, und die Tochter geht ihr auch verloren.

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Ich habe bei solchen historischen Serien manchmal das Gefühl, dass viele Zuschauer sie mit einem wohligen Schauer schauen und denken: Wie schlimm doch früher alles war, aber heute ist es ja besser. Sehen Sie diese Gefahr auch? Oder glauben Sie, solche fiktionalen Bearbeitungen regen Menschen an, über unsere heutige Gesellschaft nachzudenken?

Wenn sich das nur einer fragt, hat es sich gelohnt. Wir müssen nicht immer alle Leute erreichen. Aber wir können die richtigen Fragen stellen. Die Debatte über Diversität und strukturellen Rassismus führen wir ja gerade. Ich kann das auch alles nicht beantworten, aber als kreativer Mensch kann ich Fragen stellen, die sich dann vielleicht auch jemand anderes stellt. Dann ist mein Auftrag schon erfüllt.

Überrascht es Sie, mit welcher Heftigkeit die Debatte geführt wird?

Ich glaube, die Vehemenz ist so noch nicht da gewesen, was gut ist. Es ist hochemotional besetzt. Es muss eine Riesenwelle schlagen, die vielleicht auch mal in die falsche Richtung geht oder übertrieben ist, aber wenn sich das legt, wird sich etwas verändert haben. Und ich hoffe, es wird sich zum Richtigen verändert haben. Wir müssen uns verständigen. Das ist wichtig. Das geht nur über Kommunikation. Die aktuelle Debatte ist der Versuch, an Kommunikation ranzukommen, die viele Menschen freier, glücklicher und gleichgestellter macht. Mir geht das nicht auf die Nerven, ich finde das wichtig und richtig. Und die Emotionalität stört mich nicht. Die liegt in der Natur der Sache.

Zur Person

Anna Schudt (47) ist aus zahlreichen TV-Produktionen bekannt. Für ihre Darstellung in „Ein Schnupfen hätte auch gereicht“ gewann sie einen International Emmy. „Ein Hauch von Amerika“ läuft ab 1.12, 20.15 Uhr, im Ersten. Alle Folgen stehen auch in der ARD-Mediathek.

Der neue Dortmunder „Tatort: Masken“ ist am Sonntag um 20.15 Uhr zu sehen. (amb) 

Aber bei Social Media ist die Streitkultur doch oft unterirdisch.

Diese ganzen Social-Media-Geschichten sind antikommunikativ. Man schreibt etwas, dann wird etwas, zum Teil auch anonym, zurückgeschrieben. Das ist etwas komplett anderes, als wenn man jemandem gegenübersitzt und eine energetische Verbindung hat - ohne dass das esoterisch klingen soll. Man sieht und spürt den anderen Menschen und weiß, jetzt hat man jemanden verletzt, getroffen oder auch belustigt. Social Media ist, was das betrifft, Quark. Da darf man nicht diskutieren. Das wird muss sich alles beruhigen. Aber maßgebliche Veränderungen brauchen immer viel Zeit, und die muss man sich gegenseitig geben.

Am Sonntag sind Sie auch im neuen Dortmunder „Tatort“ zu sehen. Darin geht es um so genannte Pick-up-Artisten, also Männer, die versuchen Frauen zu manipulieren, um möglichst viele ins Bett zu bekommen. So richtig weit sind wir also anscheinend immer noch nicht gekommen, oder?

Es liegt immer noch verdammt viel Arbeit vor uns. Weil immer wieder absurde Nebenschauplätze aufgemacht werden, die aber möglicherweise alle aus demselben Pool kommen. Wenn man kein Selbstwertgefühl, keine Achtung und kein Bewusstsein hat, muss man es sich woanders suchen. Und das treibt ungeheure, scheußliche Blüten.

Sie sind seit knapp zehn Jahren Teil des Dortmunder „Tatort“-Teams. Wie fällt Ihr Zwischenfazit aus?

Wir sind ganz stark zusammengewachsen in dieser Zeit. Wir haben sehr viel miteinander erlebt und sind sehr eingespielt. Mit jeder neuen Kollegin, jedem neuen Kollegen kommt ein neues Universum dazu. Gerade passt es sehr gut. Wir sind beim Drehen ein sehr harmonisches Team. Es wird sich bestimmt auch immer wieder verschieben, was die Themen betrifft. Da ist mal der eine, mal die andere im Vordergrund, so dass jeder seinen Platz immer wieder neu definiert und stärker wird.

Ist das der Grund, warum Sie noch dabei sind? Oder denken Sie manchmal darüber nach, wann dieses Kapitel für Sie enden sein soll?

Die Frage stellen wir uns im kreativen Prozess immer wieder. Und das ist auch gut so, sonst würde man da sitzen und denken, das mach ich jetzt bis an mein Lebensende. Das wäre wahnsinnig bequem. Aber bequem sind wir alle nicht. Es ist für den Tatort unheimlich inspirierend, dass wir uns mit dieser Frage beschäftigen. Und im Moment gehen wir alle erfreut in jedes neue Projekt.

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