Lucinda Devlin in KölnDie letzten Bilder der Menschheit

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Lucinda Devlins Fotografie Lake Huron zeigt einen Eisberg und Eisschollen auf einem See.

Lucinda Devlins Aufnahme „Lake Huron, 3-4-13, 6-31pm“ (2013)

Lucinda Devlin wurde mit Aufnahmen aus amerikanischen Todeszellen berühmt. In Köln ist jetzt ihre erste europäische Werkschau zu sehen.

Sie habe zunächst herausfinden müssen, sagt Lucinda Devlin, wen man um Erlaubnis fragen kann. Dann schrieb sie Briefe, in denen sie darum bat, die Todeszellen in US-amerikanischen Gefängnissen fotografieren zu dürfen. Viele Strafvollzugsbehörden sagten ihr aus Sicherheitsbedenken ab, einige legten dem Schreiben eigene Aufnahmen bei. Wo man sie einließ, verwickelte Devlins Ehemann die Wärter in Gespräche, damit sich seine Frau in Ruhe umsehen konnte. In Atmore, Alabama, sah sie einen elektrischen Stuhl, den ein Insasse mit dem Kanariengelb von Schulbussen gestrichen hatte. Bei anderer Gelegenheit hörte sie, wie einige Wärter die Todeszelle untereinander als Omega Suite bezeichneten – Omega wie der letzte Buchstabe des griechischen Alphabets.

Lucinda Devlin hat die verschlossenen Türen des Tötens geöffnet

Wie die namenlosen Delinquenten, deren letzte Bestimmungsorte sie abgelichtet hat, wurde Devlin berühmt, weil Teile der Vereinigten Staaten verurteilte Mörder mit dem Tod bestrafen. Es mag Zufall gewesen sein, dass ihre zwischen 1991 und 1998 entstandene Serie „Omega Suites“ ins kollektive Bildgedächtnis aufgenommen wurde, als Hinrichtungen in den USA wieder Konjunktur hatten. Doch es hat der Wahrnehmung ihrer Bilder mit Gewissheit eine moralische Zuspitzung gegeben, die deren Vorzüge gerade verkennt: Sie erörtern nicht, sie dokumentieren.

Devlins betont nüchtern gehaltene Aufnahmen menschenleerer Hinrichtungsstätten sind weder beredte Zeugnisse gesellschaftlich sanktionierten Unrechts, noch kleiden sie die im Bild ausgesparten Geschehnisse in das stumme Einverständnis eines reinen Formalismus‘. Lucinda Devlin hat mit ihrer Kamera einen Blick hinter die verschlossenen Türen staatlichen Tötens eröffnet. Nicht mehr und auch nicht weniger.

Jetzt ist eine Auswahl der „Omega Suites“ in der Kölner Photographischen Sammlung zu sehen – als Teil der ersten Werkschau, die es in Europa für Devlin gibt. Insgesamt neun Serien hat die US-amerikanische Fotografin seit den 1970er Jahren geschaffen, angefangen mit den „Pleasure Grounds“, unter denen sie in Farben ertrinkende Hochzeitssuiten, Tanzflächen oder Peepshow-Boxen zusammenfasste.

Auch diese Vergnügungsparks der menschlichen Zweisamkeit schließen die Menschen aus und bilden ein ausgesprochen tristes Rotlicht-Spalier in die Kölner Ausstellung. Man ahnt die „Omega Suites“ bereits und erschrickt dann doch aufs Neue, weil einen nichts auf die völlige Abwesenheit des Zeremoniellen, auf das fehlende Pathos in ihnen vorbereiten kann. Als staatliche Verrichtung kommt einem das Sterben besonders elend vor.

Lucinda Devlin sichtet die Dinge an der Schnittstelle von Leben und Tod

Lucinda Devlin fotografiert in Farbe und in starren, stets quadratischen Ansichten, die meist nur wenige Einrichtungsgegenstände umfassen. Diese formale Nüchternheit ist Mimikry an der Zweckmäßigkeit ihrer fotografischen Objekte. Wer lange genug hinsieht, kann erkennen, wie die gebaute Funktionalität ihre Metaphorik und damit das in ihr repräsentierte Verhältnis des Menschen zu seinem Körper preisgibt.

Alles habe damit angefangen, sagte Devlin in Köln, dass ihre Mutter früh verstorben sei. Die Hinfälligkeit des Lebens (und der Lust daran) wurde zu ihrem großen Thema, das sie, biografisch grundiert, durch die Abwesenheit des Menschen in ihren Bildern beschwört. Es ist also kein Zufall, dass sie die gekachelten Schulungszimmer amerikanischer Pathologen fotografierte und dass diese Aufnahmen bei ihr kaum von den Behandlungsräumen in deutschen Kurkliniken zu unterscheiden sind. Hier wie dort geht es um die funktionalen wie rituellen Aspekte in der Behandlung und Zurichtung von Körpern.

Im Grunde sammelt Devlin kulturelle Zeichen wie auch Bernd und Hilla Becher, neben August Sander die Säulenheiligen der Photographischen Sammlung. Allerdings tut sie dies an der räumlichen Schnittstelle von Leben und Tod. An den Todeszellen zeigt sie die bühnenhafte Inszenierung, die es „Akteuren“ wie Zuschauern erlaubt, moralisch abgesicherte Rollen einzunehmen. In Operationssälen findet sie das Licht von Altären und in der Duscharmatur einer Kurklinik einen gewundenen Käfig. Auch dies sind Interieurs, die bei Devlin auf das Sterben vorbereiten.

Beinahe allen Serien ist gemein, dass der Betrachter von den Räumen auf ihre Benutzer schließen kann und zugleich das inszenatorische Interesse der Erbauer sichtbar wird. Das ist auch bei den „Habitats“, ihren Bildern aus Zoologischen Gärten, der Fall, die mit den Reservaten der Tierwelt ihr unsichtbares Publikum beschreiben. Die Trostlosigkeit der Terrarien und Wasserbassins ist dabei so unverkennbar, dass man sich fragt, ob auf ihren Bühnen nicht eigentlich das Verschwinden der Natur und damit letztlich der Menschheit dargeboten wird.

Wie ein langer Abschied erscheinen selbst Devlins malerische Bilder von Lake Huron. Sie fotografierte den riesigen See an immer derselben Stelle, aber zu unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten. Der Horizont ist wie mit dem Lineal gezogen und geht mitten durchs Bild, darüber und darunter kippt das Farbenspiel der Natur mitunter ins Abstrakte. Lucinda Devlin schwelgt hier geradezu in Schönheit, aber unter Schmerzen. In geradezu klassischer Manier handeln diese Bilder von Verlust.

„Lucinda Devlin – Frames of Reference“, Photographische Sammlung, SK Stiftung Kultur, Im Mediapark 7, Do.-Di. 14-19 Uhr, 10. März bis 16. Juli. Eröffnung: 9. März, 19 Uhr. Der Katalog zur Ausstellung erscheint im Steidl Verlag und kostet 75 Euro.

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