Der werbliche MakelOliviero Toscani hat Fotografien auf dem Neumarkt installiert

Lesezeit 3 Minuten
Auf dem Kölner Neumarkt stehen große Betonsockel, auf denen Porträts von diversen Menschen sind, die in die Kamera schauen. Die Sockel dienen unten auch als Bänke. Hinter einem Porträt strahlt die Sonne.

„Die Deutschen des 21. Jahrhunderts“ sind bis zum 18. April auf dem Neumarkt zu sehen.

Auf dem Kölner Neumarkt kann ab sofort Fotografie betrachtet werden. Oliviero Toscani stellt dort „Die Deutschen des 21. Jahrhunderts“ aus.

Die gute Nachricht zuerst: Auf dem Kölner Neumarkt kann ab sofort Fotografie betrachtet werden. Unter freiem Himmel und bei freiem Eintritt. Auf 50, fast drei Meter hohen Betonstelen sind noch bis zum 18. April 100 überlebensgroße Porträts zu sehen. Angefertigt hat sie der bekannte Fotograf und Werbefachman Oliviero Toscani im vergangenen Jahr in verschiedenen Städten in Deutschland.

Finanziell unterstützt wird die Ausstellung von der Generali Deutschland, die sie auch schon in Berlin und München gezeigt hat. Die massiven Stelen, auf denen die Porträts zu sehen sind, sind Spezialanfertigen, wiegen jeweils eineinhalb Tonnen und kippen sogar bei Windstärke 8 nicht um.

Zudem ist der Sockel breit genug, um sich darauf hinzusetzen. Damit lädt die neue Ausstellung nicht nur zum Schauen, sondern auch zum Verweilen ein und kann als Startschuss der bevorstehenden Veränderungen gesehen werden, die auf dem Neumarkt stattfinden sollen. Diese reichen von der Reaktivierung der Brunnenanlage über den Bau eines Gastronomie-Pavillons bis zur „Verbesserung der Mobilität für Fußgänger“, wie Oberbürgermeisterin Henriette Reker am Donnerstag bei der Eröffnung mitteilte. Und eben auch Ausstellungen sollen hier regelmäßig gezeigt werden.

Alles zum Thema Neumarkt

Hommage an August Sander

Die nun gezeigten Fotografien von Toscani passen deshalb hervorragend nach Köln und in den öffentlichen Raum des Neumarkts, weil sich der mittlerweile 81-jährige Italiener ganz explizit an einer Fotografie-Legende orientiert, die eng mit der Domstadt verbunden ist: August Sander. Der hatte mit seinem Werk „Menschen des 20. Jahrhunderts“ eine der wichtigsten und einflussreichsten künstlerischen Arbeiten in der Fotografiegeschichte geschaffen. Toscani, der bereits mehrfach öffentlich beteuert hat, dass August Sander „der große Meister meines Lebens“ sei, nannte seine neuen Porträts dann auch „Die Deutschen des 21. Jahrhunderts“.

Doch genau diese Reminiszenz ist das große Problem. Toscani, der in den 1980er Jahren mit seiner Werbung für die Modefirma Benetton regelmäßig für Skandale sorgte, hat sich inhaltlich kaum und technisch und gestalterisch nicht einmal ansatzweise an Sanders sensibles und vielschichtiges Hauptwerk orientiert, sondern sich 800 Menschen auf der Straße herausgesucht und diese vor einem weißen Studio-Hintergrund fotografiert. Also im Grunde genau so, wie er es auch für seine Benetton-Werbung gemacht hat.

Oliviero Toscani mit Foto-Aufstellung auf dem Neumarkt

Entsprechend hübsch, makellos, ethnisch divers, großstädtisch, politisch korrekt und werblich sehen die Porträts, die nun etwas willkürlich verteilt auf dem Neumarkt stehen, auch aus – würde man das entsprechende Logo auf sie platzieren, gingen sie glatt als Kampagne der Modemarke durch.

Zur Erinnerung: Toscani hatte vor 40 Jahren Kinder und Erwachsene aus allen Teilen der Welt gemeinsam fotografiert und damit nicht nur für Mode, sondern auch für Vielfalt und Toleranz geworben. Unter dem Deckmantel der Kunst und der guten Sache eignet er sich nun jedoch das Werk Sanders an. Tatsächlich zitiert Toscani aber nicht August Sander, sondern bloß sich selbst.

Dabei ist es vielleicht noch nicht einmal das größte Problem, dass der Mailänder alle Personen vor dem gleichen neutralen Hintergrund fotografiert hat. Der Makel an dieser Arbeit ist die Haltung dahinter. Oliviero Toscani wusste bereits ganz genau, was er mit seinen Bildern aussagen will, bevor er auch nur eine einzige Person fotografiert hat: „Deutschland ist divers, freundlich und tolerant.“ Das ist die Botschaft. Aber mit Botschaften macht man Werbung, keine Kunst. Auch, wenn sie noch so gut gemeint sind.

KStA abonnieren