60. Todestag von Marilyn MonroeGerechtigkeit für ein geschundenes Idol

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Marilyn Monroe in Niagara

Köln – Am 4. August 1962 starb Marilyn Monroe. Was fällt ihnen spontan zu ihr ein? Dass sie eine begnadete Schauspielerin war? Sanft und hochsensibel? Ihre schweren Depressionen und die exzessive Einnahme von Schlafmitteln? Monroes Leidenschaft für Literatur? Ihr Kampf für Gleichberechtigung? Nein, oder?

Im neutralsten Falle wird Marilyn Monroe als größte Ikone des amerikanischen Kinos erinnert, als Legende und Superstar einer vermeintlich goldenen Ära. Allermeistens aber geht es um die hübsche, naive Blondine – das gigantische Sexsymbol. Marilyn Monroe ist als Verkörperung weiblicher Sexualität in die Geschichte eingegangen, die dem tollen Hecht John F. Kennedy ebenso gefiel wie Marlon Brando und Clark Gable, Yves Montand und Tony Curtis.

Von Hitchcock bis Kennedy in einer Männerwelt

Der etwas muffigen Legende nach soll sie Affären mit Dutzenden Prominenten gehabt haben. Mit seinem Satz „Marilyn Monroe war der Sex ins Gesicht geschrieben“ prägte der Regisseur Alfred Hitchcock ein Bild von ihr, das die Männer vieler Generationen von ihr haben sollten. Sie bestätigte es ja auch. In Filmen wie „Blondinen bevorzugt“, „Wie angelt man sich einen Millionär?“ oder „Das verflixte 7. Jahr“ spielte Monroe das naive bis laszive Blondchen, von dessen Image sie nie los kommen sollte – und das die Vorstellung von ihr bis heute prägt. Dass sich das nie wirklich geändert hat, liegt nicht zuletzt an tief verankerten patriarchischen Strukturen.

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Zum Buch

Joyce Carol Oates: „Blond“ Aus dem Englischen übersetzt von Uda Strätling, Sabine Hedinger und Karen Lauer Ecco Verlag, Hamburg, 2021 1024 Seiten

„Blond“ (sic!) heißt ein Roman der amerikanischen Schriftstellerin Joyce Carol Oates, der im Jahr 2021 neu aufgelegt wurde und mit den stereotypisierten und mythologischen Vorstellungen über Marilyn Monroe rigoros aufräumt. Oates geht es nicht um den Superstar MM, sondern um die verletzliche und schwertraumatisierte Norma Jeane Baker (so Monroes bürgerlicher Name), die von brutalen Männern zum Superstar gemacht wurde, um Geld mit ihr zu verdienen und nach Möglichkeit mit ihr ins Bett zu gehen. Es geht um die „Blonde Darstellerin“, die das damalige weiße Schönheitsideal verkörpert, an dem sich die verletzliche Baker messen lassen muss – und an dem die traumatisierte junge Frau in einer Mischung aus Selbsthass, Scham und Zwanghaftigkeit scheitert.

Oates Buch „Blond" auch bei Netflix verfilmt 

Oates, die Fiktion und Biografie bewusst mischt, räumt in ihrem anarchischen Epos mit jahrzehntealten Männervorstellungen auf. Ob Kennedy tatsächlich ein widerlicher Frauenverachter war, der Monroe behandelte wie rohes Fleisch, ob ein zynischer Produzent, der ihr die ersten Hollywood-Rollen verschaffte, sie tatsächlich vergewaltigte, bleibt so offen wie die generelle Frage, welche der vielen vermeintlichen Wahrheiten über Marilyn Monroe wirklich Gehalt hat – darunter auch die, ob sie Suizid beging oder wie im Roman beschrieben von einem Agenten eine Überdosis Schlafmittel erhielt.

Die über 1000 Seiten starke Erzählung, die jüngst von Netflix verfilmt wurde, legt bedrückend nahe, dass die Geschichte einer hochsensiblen, mehrfache missbrauchten Frau, die sinnlich war und traumatisiert, zweifelnd, unsicher, aber gewiss nicht naiv, der Wahrheit weit näher kommt als die über Jahrzehnte tradierten Vorstellungen vom naiven Sexsymbol.

Marilyn Monroe ist immer noch eine Ikone

Wer sich für den Menschen hinter der blondierten Fassade interessiert und für die frauenfeindliche Gesellschaft der 1950er Jahre, sollte dieses Buch unbedingt lesen. Heute tragen wieder viele junge Frauen T-Shirts und Taschen mit Marilyn Monroes Konterfei. „Sie steht für mich für eine große weibliche Energie in einer Zeit, in der Frauen sehr wenig zu sagen hatten“, sagt eine junge Kollegin. „Dazu gehört auch, aber nicht nur ihre sexuelle Energie – als damals starkes Statement, dass nach außen zeigen zu dürfen.“

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Der amerikanische Pop-Superstar Billie Eilish hat sich vor einem Jahr im Monroe-Pin-Up-Stil für ihr Album „Happier than ever“ fotografieren lassen – Eilish vertritt eine Generation, der Achtsamkeit und Gendergerechtigkeit genauso wichtig ist wie persönliche Freiheit und Würde. Eilish hat ihre Fotos mit platinblondem Haar und tiefem Ausschnitt damit begründet, dass es für sie ein Zeichen von Selbstvertrauen sei – und sie schlicht machen könne, was sie wolle.

Marilyn Monroe ist für die Generation Billie und Greta ein Symbol für Emanzipation, in einer immer noch männerdominierten Welt. Auch diese Perspektive mag verklärend sein – gibt Marilyn Monroe aber 60 Jahre nach ihrem Tod eine Würde zurück, die ihr zu Lebzeiten früh genommen wurde. Ähnliches schafft Oates' grandioser Roman.

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