Marius Müller-Westernhagen im Interview„Putin strahlt eine große Gefährlichkeit aus“

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Marius Müller-Westernhagen guckt in die Kamera

Marius Müller-Westernhagen hat den russischen Präsidenten schon persönlich getroffen.

Marius Müller-Westernhagen spricht im Interview darüber, wie seine Eltern geprägt haben, welche Drogen ihn gelockt haben und was er von der „Letzten Generation“ hält. Sein Biograf Friedrich Dönhoff ist beim Gespräch dabei.

Herr Westernhagen, Sie sind als Kind in den Kriegstrümmern von Düsseldorf groß geworden. Weckt der Krieg in der Ukraine Erinnerungen an diese Jahre?

Westernhagen: Nein, aber ich glaube, wenn du in der Zeit aufgewachsen bist und hast noch die unmittelbaren Resultate eines Krieges erlebt und gesehen, erzeugt das natürlich eine größere Sensibilität. Sie haben Wladimir Putin 2004 auf dem 60. Geburtstag von Gerhard Schröder persönlich getroffen.

Wie war Ihr Eindruck?

Westernhagen: Der Mann strahlt schon eine große Gefährlichkeit aus. Man denkt: Wenn der deine Nase nicht mag, lässt er dich einfach verschwinden. Und was mir aufgefallen ist: Er hat seine Frau, die direkt neben ihm stand, nicht vorgestellt. Das macht man normalerweise ja schon. Putin hat mich sehr freundlich begrüßt und mit mir geredet, und normalerweise sagt man ja in einer solchen Situation: Darf ich Ihnen meine Frau vorstellen? Das ist nicht passiert. Und das sind so Kleinigkeiten, die man beobachtet und sich danach seinen Teil denkt.

Herr Dönhoff, als Sie begannen, das Porträt zu schreiben, wussten Sie von Marius Müller-Westernhagen so gut wie gar nichts. Wie kam es zu dieser eher ungewöhnlichen Konstellation?

Dönhoff: Die Idee kam von meinem Verleger Philipp Keel, der sagte: Trefft euch doch mal und schaut, was passiert. Dass ich Marius ohne jegliches Vorurteil begegnen und neu kennenlernen konnte, war die große Chance für dieses Projekt. Das Ganze war ein Experiment, auf das Marius und ich uns eingelassen haben, und das Buch ist das Ergebnis dieses Experiments.

Westernhagen: Philipp Keel wollte halt keinen Autor, der meinen Weg kennt. Und ich möchte, wenn ich an einem solchen Buch mitarbeite, dass etwas entsteht, was ich auch interessant finde.

Sind Ihnen in den Gesprächen mit Friedrich Dönhoff Ereignisse, Erlebnisse, Erfahrungen aus Ihrem Leben und Ihrer Karriere noch mal präsenter geworden?

Westernhagen: Ich habe wahnsinnig viel vergessen, weil ich eigentlich ein fauler Mensch bin. Aber wenn dann jemand nachfragt und nachfragt und nachfragt, erinnert du dich wieder intensiver. Doch meine Bedeutung sehe ich einfach nicht. Ich hätte mir manchmal gewünscht, dass Friedrich noch viel strenger mit mir umgeht. Die Zeiten, in denen ich die Dinge angestellt habe, die nicht so ehrenhaft waren, kennt er ja gar nicht.

Welche sind das denn?

Westernhagen: Natürlich begeht man während einer Karriere Fehler, und die Gefahr, sich verführen zu lassen, sich selbst zu verlieren, besteht natürlich. Aber Gott sei Dank habe ich eine Menge in meinem Leben nachgedacht und versucht, sehr viel zu reflektieren und zu fragen: Was passiert da mit dir? Für mich lautete immer eine Leitfrage: Macht dich das, wozu du dich gerade entscheidest, glücklicher? Wenn nicht, gibt es nur einen, der das ändern kann: Das bist du selbst. Daraus folgen natürlich Konsequenzen, mit denen man dann klarkommen muss.

Sie sprachen von der Gefahr, sich verführen zu lassen. Was heißt das konkret? Haben Sie Drogen genommen?

Westernhagen: Nein, mit Drogen hatte ich nie Probleme. Ich behalte gern die Kontrolle. Für mich war es während der Zeit der Stadionkonzerte so, dass ich vor mir selbst fliehen, nach mir selbst suchen musste. Es ging von der Kreativität her nicht weiter, es wurde immer geschmackloser, immer mehr Verpackung und immer weniger Inhalt. Deshalb habe ich mich Ende der Neunzigerjahre auch bewusst dafür entschieden, mit den Stadionkonzerten aufzuhören. Aber heute bedeutet es mir sehr viel, wenn Menschen zu mir kommen und sagen: Ich war damals bei dir im Konzert, und das werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Das ist mehr wert als Millionen auf dem Konto, viel mehr. Das macht dich im Endeffekt glücklich.

Marius Müller-Westernhagen mit seiner Frau Lindiwe Suttle

Marius Müller-Westernhagen mit seiner Frau Lindiwe Suttle

Das letzte Telegramm Ihres Vaters, der 1963 im Alter von 44 Jahren starb, besteht aus fünf Wörtern: „Demut und Bescheidenheit. Dein Vater“. Hatten Sie diese Worte in der von Ihnen eben geschilderten Zeit im Hinterkopf? Haben sie Ihnen geholfen?

Westernhagen: Ja, so etwas ist immer in deinem Kopf. Immer! Das sind Glaubenssätze, die du vermittelt bekommst. Mein Vater hat mir das immer wieder eingetrichtert: Es gibt Dinge, die du einfach nicht machst, und es gibt andere Dinge, die du mit gutem Gewissen ausprobieren kannst. Die Grenze dazwischen hat er mir vermittelt.

Mein Vater war viel zu zerstört durch den Krieg.
Marius Müller-Westernhagen

Ihr Vater starb, als Sie 14 Jahre alt waren. Was hat er Ihnen bedeutet?

Westernhagen: Eine Menge. Wobei ich ja nie diese Art von Vater erlebt habe, der alles kann, der unglaublich stark ist, der alles im Griff hat. Das war mehr meine Mutter. Mein Vater war viel zu zerstört durch den Krieg. Ich habe eher den Vater erlebt, der wollte, aber nicht mehr konnte. Und dadurch musste ich sehr früh erwachsen werden. Ich musste schon in jungen Jahren über viele Dinge nachdenken, über die sich ein 14-Jähriger normalerweise keine Gedanken machen muss.

Zum Beispiel?

Westernhagen: Ich musste mich mit dem Tod auseinandersetzen, mit der Endlichkeit. Ich habe meinen Vater abgöttisch geliebt, weil er ein ganz, ganz toller und sehr spiritueller Charakter war. Total authentisch, selbst in seinem Suff. Ich habe ihn als sehr geraden Menschen in Erinnerung, der mir viel vermittelt hat in den Jahren, als ich ihn bei mir hatte. Nichtsdestotrotz war ich natürlich sauer, dass er sich so früh verabschiedet hat.

Zur Trauer kam also auch Wut?

Westernhagen: Ja, ich war auch wütend und verwirrt, weil die kindliche Gewissheit zerstört war, dass ein Mensch, der dir nahe ist, niemals stirbt. Mit 14 warst du zu der damaligen Zeit noch ein totales Kind, und du durftest es auch sein. Wobei ich immer ältere Freunde hatte, an denen ich mich orientierte und von denen ich gelernt habe. Im Buch heißt es, Ihr Hit „Johnny Walker“ könnte ein Abschiedslied an Ihren Vater sein.

Ist es das?

Westernhagen: Mein Vater war sicherlich die Inspiration zu dem Lied.

Stört es Sie, dass es solch ein Schunkellied geworden ist?

Westernhagen: Das ist mir lange nicht bewusst gewesen. Erst seitdem ich das gemerkt habe, singe ich es bei meinen Konzerten mittlerweile auf eine ganz andere Art und Weise. Es ist ja eher tragisch als ein jubelndes Trinklied.

Wäre Ihr Vater, der selbst ein anerkannter und erfolgreicher Schauspieler war, stolz auf Ihren Erfolg?

Westernhagen: Ich glaube, er wäre stolz. Im Gegensatz zu meiner Mutter. Sie fand das immer ein bisschen unseriös mit der Musikkarriere. Die hätte lieber gehabt, dass ich in Remscheid den „Hamlet“ spiele. (lacht) Meine Mutter hat mich öfter gefragt: Wie lange willst du das denn noch machen?

Ihre Mutter hat sehr viel Wert auf Disziplin gelegt. Hat Sie das auch geprägt?

Westernhagen: Disziplin war eine andere Sache, die ich auch unabhängig von meiner Mutter früh lernen und beherzigen musste, weil ich ja schon in jungen Jahren als Schauspieler gearbeitet habe. Da war Disziplin eine Voraussetzung. Bis heute leiden meine Musiker sehr darunter. Wir fangen zwar im Studio bei Aufnahmen immer spät an, aber wenn die Kollegen dann nicht pünktlich sind, kann ich schon fuchsig werden. Meine Mutter stammte, wie sie immer sagte, aus einer Offiziersfamilie. Für sie war Disziplin etwas Gutes, auch dafür bin ich ihr dankbar. 

Das Buch behandelt intensiv die ersten Jahre im Leben von Marius Müller-Westernhagen bis zum Durchbruch mit dem Film „Theo gegen den Rest der Welt“, den Alben „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ und „Sekt oder Selters“ und der erfolgreichen Tour 1980. Seine anschließende große Karriere hingegen wird eher kurz beschrieben. Kommt noch ein zweiter Teil?

Dönhoff: Unser Buch ist prallvoll mit Gedanken und Erinnerungen, die Marius wichtig sind. Die Superkarriere mit den vielen Nummer-eins-Alben und ausverkauften Stadionkonzerten ist für ihn keine Zeit der besonderen Erkenntnisse, außer dass der Supererfolg einen Künstler nicht automatisch superglücklich macht. Dagegen erinnert er sich an die rasante Zeit als junger Musiker, der seinen Weg sucht, und das war eine sehr lange Zeit. Erst mit 30 Jahren hat er ihn gefunden, in dem Alter haben viele ihre Karriere schon hinter sich.

Westernhagen: Ich bin froh, dass ich erst mit 30 den Durchbruch geschafft habe. In dem Alter bist du schon ein bisschen gefestigter. Deshalb habe ich auch Boris Becker immer verteidigt bei all seinen Geschichten, die er verzapft hat. Denn wenn du wie er mit 17 Jahren von null auf 100 weltberühmt bist, wer soll das verkraften? Ich hätte es nicht verkraftet.

Können Sie heute die jungen Menschen verstehen, die sich an Straßen festkleben oder Kartoffelbrei auf Kunstwerke werfen?

Westernhagen: Das geht mir zwar ein bisschen zu weit, weil sie damit für sich und ihre Sache keine Sympathie und kein Verständnis erzeugen, aber wenn ich zum Beispiel die Fridays-for-Future-Demonstrationen sehe, diese Tausenden von jungen Leuten, macht mich das wahnsinnig stolz. In meinen Augen sind Leute, die auf die Straße gehen, das Einzige, was außerhalb von Parlamenten Politik bewegen kann. Es ist die Aufgabe der jungen Menschen, Gesellschaften zu verändern. Das hat immer eine wahnsinnige Kraft. Jeder Einzelne ist aufgerufen, diese Gesellschaft mitzugestalten.

Ich möchte auf Tour nicht in einer Blase leben
Marius Müller-Westernhagen

Sie haben vorhin gesagt, Sie mussten vor dem Marius Müller-Westernhagen der Stadionkonzerte fliehen. Warum befremdet dieser Marius Sie heute?

Westernhagen: Was ich nie wollte, ist, stehen zu bleiben. Irgendwann kam bei mir die Zeit, in der ich dachte: Oh, das funktioniert, hier finden mich alle toll, und genau an diesem Punkt wollte ich auf keinen Fall eine Karikatur von mir zeichnen, mit der ich dann den Rest meines Lebens herumlaufe. Ich will immer weiter, besser werden, lernen. Ich will immer versuchen, meine Ansprüche hochzuhalten. Wenn ich ins Studio gehe, ist das für mich bis heute, als würde ich meine allererste Platte produzieren. Ansonsten würde ich lieber mit der Musik aufhören und etwas anderes angehen.

Was kommt als Nächstes?

Westernhagen: Das ist so ein Manko bei mir. Ich muss immer erst eine Sache abschließen. Jetzt war es die Arbeit mit Friedrich an diesem Buch, was Zeit in Anspruch genommen hat. Aber ich merke schon, dass ich mich wieder hinsetzen und Songs schreiben kann.

Und eine Tour?

Westernhagen: Wir hatten lange überlegt, ob wir 2023 auf Tour gehen. Aber wenn ich auf Tournee gehe, möchte ich dabei Spaß haben. Das machen die noch unklare Corona-Lage und die ganzen Auflagen aber schwer. Ich möchte auf Tour nicht in einer Blase leben – und plötzlich hat doch jemand Covid und alles wird umgeschmissen. Gott sei Dank brauche ich den Applaus nicht. Ich genieße ihn, aber ich bin nicht von ihm abhängig. Zitat-Text: Ich bin froh, dass ich erst mit 30 den Durchbruch geschafft habe.

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