In „Mini-Horror“ zeichnet Kieran Joel am Schauspiel Köln gemeinsam mit dem „Import Export Kollektiv“ ein urkomisches bis groteskes Generationenporträt.
„Mini-Horror“ am Schauspiel KölnDer Teufel trägt Schokoriegel

Horrorszenario: Statt der Küchenplatte werden durch die Verkettung ungünstiger Umstände Mini (Feline Przyborowski) und Miki (Ceren Sengülen) von der Monteurin (Ágnes Nagy) an die Wand getackert.
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Erst gibt ihnen die Aussicht auf eine neue Küchenplatte Hoffnung. Während die Welt um sie herum alles andere als in Ordnung ist, geht es Mini und Miki gut, denn sie haben jetzt etwas, auf das sie sich freuen können. Am Tag der Lieferung warten sie ab neun Uhr morgens erst geduldig, dann ungeduldig auf das Produkt, das sie bei einem schwedischen Möbelhersteller bestellt hatten. Doch nichts kommt an und alles entwickelt sich nach und nach zum Albtraum: von der endlosen Warteschleife in der Kundenhotline bis zur Konfrontation eines Mitarbeiters im Möbelhaus. Nichts hilft, die Platte wurde überhaupt nicht produziert und die mitbestellte Montage lässt sich auch nicht mehr stornieren. Und so wird anstelle der Platte schließlich das hilflose junge Paar von der wutentbrannten Monteurin selbst an die Wand getackert.
Kieran Joel und „Import Export“-Kollektiv haben sich zusammengetan
Man kann nur von Glück reden, dass Mini und Miki offenbar viele Leben haben, denn der Ikea-Spuk ist nur der Anfang einer Serie von zunächst harmlosen Situationen, die in zunehmend schlimmeren, surrealen Katastrophen enden. Das Grauen ihres Alltags spielt sich auf einer drehbaren Bühne im Depot 2 ab, die mal das Wohnzimmer, mal Bar oder Café ist. Gespielt werden Mini, Miki und ihre zahlreichen Endgegner von zehn Mitgliedern des „Import Export“-Kollektivs, dem jungen Ensemble am Schauspiel Köln. Mini ist selbstständige Autorin, kommt ursprünglich aus Serbien. Überall und ständig wird sie gefragt, woher sie denn eigentlich komme. Wenn sie nicht schläft, arbeitet sie. Miki kommt aus einer österreichischen Kleinstadt, hat Komparatistik studiert und arbeitet jetzt in einem Büro. Gemeinsam leben sie in Wien und kämpfen mit der Welt, und vor allem sich selbst.
Wie in einem Videospiel setzt Regisseur Kieran Joel die Lebenssituation der beiden nach jedem Level des Fürchterlichen wieder zurück und lässt sie von vorn beginnen. In seiner Bühnenfassung des Prosabands „Mini-Horror“ der serbischen Schriftstellerin Barbi Marković lässt Joel die Perspektive und Mehrsprachigkeit der jungen Schauspielerinnen und Schauspieler einfließen. Das befeuert den sich rasant drehenden Strudel umso mehr, in dem sich allzu Nachvollziehbares mit Surrealem, der Alltag mit Elementen aus Horror und Comic zu einem äußerst unterhaltsamen Generationenporträt vermischen.
Die Gen Z ist zum Scheitern verurteilt
Mini und Miki, versuchen zwar alles, doch an den widersprüchlichen Erwartungen der Gesellschaft können sie nur scheitern. Ohne Kompass irren sie, stellvertretend für die Gen Z, durch die Krisen dieser Zeit und hoffen, sich dabei selbst nicht zu verlieren – was nicht unbedingt gelingt. Selbst an einem perfekten Tag – blauer Himmel, leichte Wolken, keine Prüfung in Sicht – kann Miki einfach nicht entspannen, weil er weiß, dass er genau jetzt am glücklichsten ist und ihm auf jeden Fall etwas Schlechteres bevorsteht. So verkrampft er sich stattdessen in Erwartung des Unangenehmen.
Beim Familienbesuch in Serbien schließt Miki zwar pantomimisch Freundschaft mit der Mutter, doch Mini wird von ihrer Familie im Garten mit Vorwürfen lebendig begraben. Aus dem gemeinsamen Urlaub begleitet an Stelle von Mini die unfreundliche Kellnerin aus dem Café Miki nach Hause. Und in einer Bar treffen sie einen alten Schulfreund mit übergroßem, grinsendem Pappkopf, der ihnen pausenlos erzählt, wie toll und erfolgreich sein Leben ist.
Der blanke Horror platzt zur Wohnungstür herein
Gerade hat sich Miki noch heldenhaft selbst von einem riesigen Burger weggezogen, nur damit dann Augenblicke später der blanke Horror zur Wohnungstür hereinplatzt: ein Schokoriegel auf Highheels. Kaum hat er sich verführen lassen, muss Miki feststellen, dass die Schokolade, von der er gerade genüsslich genascht hat, von fiesen Würmern befallen ist. Überhaupt haben in der ganzen Wohnung plötzlich Kakerlaken die Herrschaft übernommen und – jetzt kommt der Horror – Miki und Mini müssen auf Immoscout eine neue Wohnung suchen.
Und während man so über die Abenteuer von Mini und Miki lacht, beschleicht einen das ungute Gefühl: Nicht Monster und Kakerlaken, sondern die Schönheitsindustrie, Rassismus, Sexismus und nicht zuletzt die unermüdlich mahlenden Räder des Kapitalismus sind der wahre Horror dieser Geschichte.