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Schauspiel KölnEin irres Bühnenfest mit Devid Striesow und Sebastian Blomberg

Lesezeit 4 Minuten
Devid Striesow und Ursina Lardi lehnen sich sitzend an eine große Stahlwalze.

Devid Striesow und Ursina Lardi in einer Szene aus „Verrückt nach Trost“ von Thorsten Lensing

Devid Striesow, Ursina Lardi und andere Theaterstars spielte am Schauspiel Köln zum letzten Mal ihr Erfolgstück „Verrückt nach Trost“.

Von links kommt ein Orang-Utan herein, schiebt o-beinig die Füße voreinander, kratzt sich mit abgewinkelter Hand am Schädel, schleift eine Kiste mit Stroh hinter sich her. Er macht es sich auf der Bühne bequem, greift sich eine Plastikflasche mit Sonnenmilch, drückt, probiert, wirft den Kopf in den Nacken und spritzt sich die doch eigentlich untrinkbare weiße Creme genüsslich ins offene Maul.

Der Affe ist Andŕe Jung, er trägt kein Kostüm, bloß T-Shirt und Hose, und er spielt seine Rolle nicht weniger kindisch, anrührend und voller Würde als den König Lear, mit dem er vor drei Monaten in Stuttgart Premiere feierte. An diesem Abend im Depot 1 ist der 71-Jährige ein Ausnahmespieler unter Ausnahmespielern. Der Regisseur Thorsten Lensing hat für seine Produktion „Verrückt nach Trost“ neben Jung noch Ursina Lardi, Sebastian Blomberg und Devid Striesow verpflichtet.

Was macht der Orang-Utan auf der Bühne?

Aber was heißt schon verpflichtet? Lensing arbeitet größtenteils außerhalb des Stadttheatersystems, mit langer Vorlaufzeit, ohne den Druck tagesaktueller Themen, ohne elaborierte Bühnenbilder – für „Verrückt ...“ haben Gordian Blumenthal und Ramun Capaul lediglich eine große Stahlwalze auf die Bühne gewuchtet, so breit wie die Spielfläche. So kann sich Lensing völlig auf seine Schauspielerinnen und Schauspieler konzentrieren. Die folgen ihm, sobald er nur ruft. Es sind stets nur die Besten und sie kommen immer wieder, als handverlesenes Ensemble.

Für „Verrückt nach Trost“ hat der Regisseur zum ersten Mal selbst einen Text verfasst, das dreieinhalbstündige Stück wurde vor knapp drei Jahren im Rahmen der Salzburger Festspiele uraufgeführt, am Schauspiel Köln feiert es jetzt nach 43 Aufführungen die beiden letzten Vorstellungen. Unterm Strich handelt es sich kaum um ein Stück, eher um lose miteinander verbundene Szenen zu menschlich, allzu menschlichen und auch, siehe André Jungs Orang-Utan, speziesübergreifenden Fragen. Wie liebt, lebt, altert man? Beziehungsweise: Warum fällt es uns denn so schwer zu lieben, zu leben, zu altern?

Verrückt nach Trost
Regie und Text: Thorsten Lensing
 
Foto: Armin Smailovic

Sebastian Blomberg, André Jung, Devid Striesow und André Jung, Ursina Lardi in „Verrückt nach Trost“

Und selbst diese Szenen drohen auf dem Papier durch ein Übermaß an mal kalauernden mal Kalenderspruch-artigen Repliken auseinanderzubröseln. Nicht jedoch auf der Bühne. Als Schauspielerfutter funktionieren sie nämlich bestens, da wird die ungenießbare Sonnenmilch zum Sahnejoghurt.

Zu Beginn robben Ursina Lardi und Devid Striesow über die Walze als schwämmen sie gerade an den Strand, mit roten Flecken, wo sie mit Feuerquallen in Berührung kamen. Sie spielen Kinder, Charlotte und Felix, sind zehn und elf, und diese Kinder wiederum spielen jetzt ihre Eltern. Die sind tot und leben einzig noch in diesem Kinderspiel, in aufgeschnappten Streitigkeiten und Zärtlichkeiten, in herrlich unbeholfenen Kussversuchen. Bis Charlotte irgendwann nicht mehr will und Felix bedröppelt feststellt: „Aber dann sind die Eltern wirklich tot.“

Je absichtsloser das Spiel, desto trostreicher wirkt es

Der Trost des Spiels zieht sich durch jede der folgenden Szene und je absichtsloser das Spiel, desto trostreicher. Etwa, wenn sich Sebastian Blomberg als Taucher im Dekompressionsschwindel über die Walze wirft, ein todtrauriger Taucher, der in der Fülle des Meeres der eigenen Leere zu entkommen sucht. Mit tänzerischer Körperkomik versucht er vergeblich, sich den Neoprenanzug von seinen Füßen zu ziehen, das Publikum biegt sich vor Lachen, aber zugleich ist diese Szene auch unendlich traurig. Als der Junge Felix am Strand einschläft und träumt, verwandelt sich Blomberg in eine Schildkröte, die er mit ebenso großer Hingabe verkörpert wie den traurigen Taucher.

Der sucht später nach Verständnis bei einem von Ursina Lardi verkörperten Oktopus, aber der hat mit seinen neun, selten übereinstimmenden Gehirnen ganz eigene Probleme. Auch den Kindern vom Anfang begegnen wir wieder: Felix als Mann Ende 40, der seinem Geliebten (Jung) eröffnet, dass er seit dem Tod der Eltern nichts mehr fühlen kann – und deshalb auch die Liebe spielen muss. Charlotte sehen wir erst im Pflegeheim wieder, es ist ihr 88. Geburtstag. Die Walze ist näher gerollt, es ist kaum noch Spielraum vorhanden. André Jung stößt als menschlichster aller Pflegeroboter mit ihr an, Mensch und Maschine teilen Komplimente, wieder kommt die Liebe ins Spiel.

Nur glaubt Charlotte nicht, dass ihr schwaches Herz das überleben würde. „Wär's so schlimm?“, fragt der Roboter. Aber das letzte Wort bleibt Lardi. Sie wendet sich ans Publikum und verspricht: „Alle werden erlöst.“ Dreimal, als wär's ein Zauber. Was für ein wundervoller Abend!