Shane MacGowan, Mitgründer der Pogues und legendärer Trunkenbold, starb mit 65 Jahren. Unser Nachruf.
Nachruf auf Pogues-SängerShane MacGowan gehört schon jetzt zur irischen Folklore

Shane MacGowan, ehemaliges Sänger der Pogues, starb mit 65 Jahren.
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In „A Pair of Brown Eyes“, dem ersten Hit seiner Band The Pogues, singt Shane MacGowan aus der Sicht eines liebeskranken jungen Mannes, der sich im Pub bis zur Bewegungslosigkeit betrunken hat. Mit der zweiten Strophe wechselt die Perspektive. Jetzt erzählt ein alter Säufer vom Krieg, vom schreienden Himmel, von den Armen und Beinen anderer Männer, die rings um ihn verstreut sind: „Einige fluchten, einige beteten/einige beteten und fluchten dann/Dann beteten sie wieder und bluteten noch ein bisschen“.
Weder der Alkohol noch die schwankende Akkordeon-Begleitung kann den Veteranen und den Frisch-Verlassenen zusammenbringen, man blickt sich misstrauisch und gelangweilt an, und doch fühlen sich beide von einem Paar brauner Augen verfolgt.
Das ging damals, 1985, als Liebeslied durch, so wie die zwei Jahre später erschienene „Fairytale of New York“ bis heute als Weihnachtsklassiker gilt. Auch hier begegnen sich ein alten und ein jüngerer Trinkbruder, man lungert in der Ausnüchterungszelle herum. Aber in Erinnerung bleiben vor allem die wüsten Beschimpfungen, die sich Shane MacGowan und Kirsty McColl als streitendes Paar an den Kopf werfen – „You‘re a bum, you‘re a punk, you‘re an old slut on junk“ – bevor es dann heißt: „Frohe Weihnachten, du Arsch, ich bete, dass es unser letztes ist“.
Mitte der 1980er Jahre gab es in ganz Großbritannien keinen besseren Gossenpoeten als Shane MacGowan. Vielleicht auch einfach keinen besseren Dichter. Der Sohn irischer Immigranten sah sich als Nachfolger des irischen Dramatikers Brendan Behan. Als der mit nur 41 Jahren starb, rief ihm der „Daily Express“ nach: „zu jung, um zu sterben, aber zu betrunken, um zu leben“. Shane MacGowan hat es nun immerhin bis zum 65. Lebensjahr geschafft, am Donnerstag starb er nach längerer Krankheit.
Schon mit vier Jahren habe er Whiskey getrunken, prahlte Shane MacGowan
Die große Zeit der Pogues verging wie im Rausch. Er habe schon mit vier Jahren regelmäßig am Whiskey genippt, prahlte MacGowan. Als noch LSD und Heroin dazu kamen, wich sein kurzes kreatives Hoch einem trunkenen Stupor. Auf „Hell’s Ditch“ dem letzten Pogues-Album mit MacGowan, musste Produzent Joe Strummer dessen Gesangsbeiträge angeblich Silbe für Silbe zusammensetzen, man konnte sein Lallen schlicht nicht mehr verstehen.
Im selben Jahr zeigte ihn Sinéad O'Connor bei der Polizei an, eine drastische Maßnahme, um ihn wenigstens vom Heroin loszueisen. Immerhin: das wirkte.
Doch bald diskutierten die Fans eher über den verheerenden Zustand seiner Zähne als über seine neuen Songs. Man kann sie sich auf dem Cover seines Solo-Albums „The Snake“ anschauen, dem einsamen Höhepunkt seiner späteren Karriere. Als der Sänger 2015 schließlich ein komplett neues Gebiss implantiert bekam, wurde das im englischen Fernsehen als einstündiges Weihnacht-Special übertragen, unter dem Titel „Shane MacGowan: A Wreck Reborn“.
Ein Wrack, eine allegorische Figur des Verfalls: Doch MacGowans frühe Meisterstücke waren für die Ewigkeit gemacht. Es ist unklar, wie der glühende Punk-Fan überhaupt auf die Idee verfallen war, die rohe Energie des Moshpits mit irischer Folklore zu vermengen – The Pogues ist die abgekürzte Version des gälischen „Póg mo thóin“, „Küss meinen Hintern“ –, aber seinen fatalistischen Moritaten hatte MacGowan auf diese Weise eine ideale Bühne bereitet.
Nachhören kann man das unter anderem im aufgekratzten Klagelied „The Sick Bed of Cúchulainn“, einem Fiebertraum, der von österreichischen Belcanto-Sängern zu irischen Nazi-Kollaborateuren führte, von mythologischen Todesfeen zu Bordellbesuchen in, ja wirklich, Köln, bei denen sich der Moribunde die Syphilis holt. Es ist James Joyces „Finnegans Wake“ auf Amphetaminen.
Der Todkranke in „The Sick Bed of Cúchulainn“ wird schließlich begraben und feuchtfröhlich betrauert. Prompt fährt sein Kopf noch einmal aus dem Erdhügel und er ruft: „Kommt, wir trinken noch eine Runde!“ Auch Shane MacGowan wird auferstehen, er gehörte schon zu Lebzeiten zur irischen Folklore.