NachrufWie Mary Bauermeister von Köln aus die Kunstwelt erschütterte

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Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Die Künstlerin Mary Bauermeister im November 2021 bei der Verleihung des ersten Kunstpreises des Landes Nordrhein-Westfalen. Am Donnerstag starb die Mitbegründerun der Fluxus-Bewegung und ehemalige Frau des Komponisten Stockhausen.

Die Künstlerin Mary Bauermeister starb am Donnerstag mit 88 Jahren

Mary Bauermeister gilt als Begründerin der Fluxus-Bewegung. Lange stand sie im Schatten ihres ehemaligen Mannes Karlheinz Stockhausen. Am Donnerstag ist die Kölner Künstlerin mit 88 Jahren gestorben.

Es war nicht allein das swingende London oder die New Yorker Pop-Art-Avantgarde. Ein Gutteil dessen, was die 1960er zu einem so umwälzenden Jahrzehnt werden ließ, fand seinen Ursprung in der Dachgeschosswohnung eines Giebelhauses in der Lintgasse 28, mitten in der Kölner Altstadt. Hier hatte die Künstlerin Mary Bauermeister, in Köln-Kalk geborene Tochter eines Medizin-Professors und einer Sängerin, ihr Atelier. Die Miete bezahlte sie in Bildern ab.

Der große Arbeitsraum, erzählte Bauermeister im Gespräch mit dieser Zeitung, sei ideal gewesen für Veranstaltungen. Sogleich wuchs in ihr der Ehrgeiz, einen Salon zu schaffen, in dem sich Künstler untereinander austauschen konnten, geschützt vor der Öffentlichkeit, die, zumal in Deutschland, noch nicht bereit war für das radikal Neue, das überall heranwuchs.

Im Atelier Bauermeister begegneten sich Anfang der ’60er Karlheinz Stockhausen und John Cage, Joseph Beuys und Nam June Paik, Wolf Vostell, Mauricio Kagel, Otto Piene, Cornelius Cardew und George Maciunas, der dem Kind einen Namen geben sollte: Fluxus. Es zählten die Idee und die Aktion, der Prozess war alles, der Gegenstand – das, was man als Kunst auf Sockel stellen oder an die Wand hängen konnte – zweitrangig.

Ab ihrem zehnten Lebensjahr traute Mary Bauermeister keinem Erwachsenen mehr

Es war eine Praxis in Opposition zur Verlogenheit der unmittelbaren Nachkriegsjahre. „Ab meinem zehnten Lebensjahr“, lautet ein bekannter Bauermeister-Spruch, „habe ich keinem Erwachsenen mehr getraut.“ So gerieten von der Lintgasse aus verkrustete Strukturen ins Fließen, ganz ohne Marihuana oder LSD.

„Unsere bewusstseinserweiternde Droge war der Hunger“, pflegte Bauermeister zu sagen. Besucher aus Korea, Finnland, Japan oder England übernachteten bei ihr auf dem Matratzenlager und, erinnerte sich die Künstlerin, „wenn der Cage aus Amerika kam, wusch er sein einziges Hemd für das Konzert im Waschbecken bei mir aus“.

Während die künftigen Avantgarde-Helden noch darbten, konnte Mary Bauermeister bereits von ihrer Kunst leben, 1962 hatte sie ihre erste „One-Woman-Show“ im Amsterdamer Stedelijk Museum: „Da war ich eine gemachte Frau. Das hätten die Deutschen auch schlucken müssen.“ Sie war nicht ganz allein bei dieser Ausstellung, begleitend zu ihren Werken erklangen im Stedelijk elektronische Musikstücke von Karlheinz Stockhausen. Bauermeister und der rheinische Neutöner waren da schon seit einem Jahr ein Paar.

Eine Ménage-à-trois mit Karlheinz Stockhausen und seiner ersten Frau

Eine Zeit lang lebten sie zusammen mit Stockhausens erster Frau Doris in einer Ménage-à-trois. Als sich der Komponist 1967 dann doch noch scheiden ließ, heiratete das Künstler-Paar, zwei Kinder, Julika und Simon, folgten.

Doch die traute Zweisamkeit genügte der weltoffenen Bauermeister nicht. Im Kellergeschoss des Stedelijk hatte sie Robert Rauschenbergs Combine Painting „Monogram“ entdeckt, eine von einem Autoreifen umschlossene, ausgestopfte Angora-Ziege.

„Wo das Avantgarde genannt wird, dachte ich, da muss ich hin!“, erzählte Bauermeister später im Gespräch. Im Oktober 1962 siedelte sie nach New York über und blieb zehn Jahre lang, lernte Rauschenberg, Johns, Warhol kennen. Hier entstanden ihre bekanntesten Werke, die Linsenkästen, benannt nicht nach der Hülsenfrucht, sondern nach jenen Uhrenlinsen, die Bauermeister in einem Antiquitätengeschäft entdeckt hatte. Hatte sie zuvor bereits Asche, Steine, Bienenwaben oder Strohhalme für ihre Wandbilder verwendet, baute sie nun Boxen aus Glaslinsen, die das Licht, das auf sie fiel, brachen und so das Spektrum der Kunst übers Objekt hinaus erweiterten.

Die Amerikaner verstanden sie, doch Bauermeister zog trotzdem von New York nach Forsbach

Die Amerikaner, sagte Bauermeister, hätten sie mit offenen Armen empfangen und auch gleich verstanden. Bald konnte sie sich vor Aufträgen kaum retten. Endlich floss das Geld, ihre Werke wurden forscher, raumgreifender – und sie unterstützte mit dem, was übrig blieb, wieder ihre weniger erfolgreichen Kollegen.

1972 kehrte sie nach Deutschland zurück, aus Liebe zu Stockhausen, weil sie ihre Kinder in der deutschen Sprache erziehen wollte und auch aus Sehnsucht nach dem Wald, in dem sie als Kind groß geworden war. Zuerst richtete sich das Paar ein Haus in Kürten ein, aber Bauermeister reichte der Platz nicht und so ließ sie sich vom Kölner Architekten Erich Schneider-Wessling eine Atelierwohnung in Forsbach entwerfen, an der Nahtstelle zwischen Rheinland und Bergischen Land.

Ein lichtdurchfluteter Terrassenbau, mit einem Wassergarten auf dem Zwischendach und einem Garten, der wie ein Märchenland wirkte und in dem die Künstlerin auch, als sie schon wieder weggezogen war, immer noch gerne empfing.

Mary Bauermeisters Beitrag zur Kunstgeschichte, nicht nur als vitale Salondame, als große Ermunterin und Ermöglicherin, sondern vor allem als bildende Künstlerin, erfuhr erst in den letzten Jahrzehnten ihres Lebens hierzulande die Wertschätzung, die er verdient hatte. Manchen störte ihr Hang zur Esoterik, gerne sprach sie über ihre früheren Leben, aber ihre aktuelle Inkarnation war kein bisschen ätherisch, sondern zupackend und intellektuell fordernd. „Die Natur mag mich, der Kosmos trägt mich“, lautete ihr Mantra. „Ich bin da, ich fühle mich geliebt.“

Am Donnerstagmorgen ist Mary Bauermeister im Alter von 88 Jahren gestorben, wie ihr Sohn Simon Stockhausen bestätigte. Und doch: Sie bleibt und darf sich weiterhin geliebt fühlen.

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