„Navy Blue“ im Schauspiel KölnDieser Tanz zeigt die Tiefe von Marineblau

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Die Tänzerinnen und Tänzer tragen blaue Hosen und Hemden und bewegen sich alle auf eine Tänzerin zu, die ihnen entgegenschaut. Der Hintergrund ist schwarz, der Bühnenboden ist weiß.

Oona Dohertys Choreografie „Navy Blue“

Die Reihe der internationalen Tanzgastspiele an den Bühnen Köln präsentierte „Navy Blue“ von Oona Doherty. Die Anerkennung im Depot 1 war groß. 

Die Stille am Ende, am Ufer zwischen Dunkelheit und Applaus: Sie hätte noch länger sein können. Dann tauchten die Tänzer wieder auf zum Verbeugen, und die Anerkennung im voll besetzten Depot 1 war groß. Für ein Tanzstück, das Leichtigkeit nur als platzende Blasen erwähnt, dennoch seine Härte nicht mit Knüppeln auf die Zuschauerköpfe haut. Das Blau aus dem Titel sorgte für ständiges Verändern, ein Zerfließen, vielleicht Nachgeben.

Oona Dohertys „Navy Blue“ im Depot 1

Die Choreografin Oona Doherty, 1986 in London geboren, im nordirischen Belfast aufgewachsen, machte sich 2016 einen Namen mit dem grimmig erleuchteten Solo „Hope Hunt – The Ascension of Lazarus“, eine Art Ode an Belfaster Underdogs. Seitdem tourt es international, gastierte 2021 in Köln beim Urbäng!-Festival im Orangerie-Theater und im Mai 2022 bei einem Event im Schauspielhaus Wuppertal. Die „Ascension“, das Aufsteigen, findet ihr Echo auch in „Navy Blue“ von 2022. Es ist Dohertys erstes abendfüllendes Stück für eine größere Besetzung, was auch für sie ein Aufstehen war nach Jahren der Arbeit alleine und Depressionen. Sie erfand gemeinsam mit ihren großartigen und ganz unterschiedlichen Tänzerinnen und Tänzern eine Chorkomposition über das Trotzdem.

So singt der Tanz mal mit einer Stimme: die Beine, Arme, Köpfe greifen unisono aus, weit, eng, steigen, sinken, wenden, ducken, rucken, trillern, biegen die Brustkörbe auf, recken die Fäuste; mal trennen die Tanzenden sich, in Grüppchen, Linien, vereinzeln oder verlieren sich. Nichts hält, kein Drama, kein Protest und auch nicht die bewährten eleganten Formen, die in Knie und Arme strömen aus der Ballettgeschichte.

Musik von Rachmaninow bis DJ Jamie XX

Das 2. Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow zieht mit seinen dunklen Wogen den Sand ins Meer, den Boden unter den Füßen weg. Doherty choreografiert mit offenen Ohren für die Stimmungen, die grenzenlose Traurigkeit, das Aufbegehren, das seltsame Klingeln. Später übernimmt elektronischer Sound von DJ Jamie XX mit immer tieferem Brummen, Summen, Krächzen; es vibriert, aber atmet nicht, als sei die Welt ertrunken. Da breiten sich um jeden der nun auf der Bühne liegenden Körper Pfützen aus per Videoprojektion, sie leuchten blau, glimmen wässrig, schön, vereinen sich ganz langsam, erinnern nun an Milchstraßen im Universum. Die Tänzer stehen auf, auferstehen, wiedererkennbar sie selbst, doch anders, auf der Suche nach dem Leichtsein, Schweben, Luftigkeit, scheinen sie sich innerlich zu verdrahten. Verzwirbeln. Bis sie ins All hinausgezogen werden und sausen, dort, wo die Bühnenscheinwerfer nicht mehr hinreichen.

„Dieser blassblaue Punkt auf dem blassblauen Punkt“. Das sind die Tänzer in ihren blauen Overalls auf der Erde. Die Stimme Dohertys tönt aus den Lautsprechern und berichtet über sich und über das, was auf der Bühne zu sehen ist, über „this dancer“, der oder die sich verdreht, knautscht, um sich greift mit zarten Händen, das sei stellvertretend für uns alle. Diese Welt, das Leben, die Wut, das Geld, böse Staatsmänner, die Zweifel: Es sind zu viele Sätze. Der Schwall ist wie ein Lied, ohne Reim, eine Anrufung, als müssten die Worte raus und flögen. Wie weit, wie tief? Der Tanz entfleucht ihnen und feiert seine Mehrdeutigkeit.

Weitere Tanzveranstaltungen in Köln

Ab Freitag, 27. Oktober, bespielt wieder das Ballet of Difference von Richard Siegal das Depot 1, und zwar mit dem Dreierabend „Noise Signal Silence“. Vorher, am 25. Oktober, hat das Tanztheater „Mariana Pineda“ der Kölner Choreografin Bibiana Jimenez, angelehnt an Federico García Lorcas Drama, Premiere im Staatenhaus.

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