Neue Schau im Museum für Ostasiatische KunstVom Höllenrichter zur gütigen Gottheit

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Ein Paar Trinkschalen, Porzellan mit Emailfarben, China, Qing-Dynastie, Yongzheng-Periode (1723-1735)

Ein paar Trinkschalen aus der Qing-Dynastie, Yongzheng-Periode (1723-1735)

Das Museum für Ostasiatische Kunst feiert das 50-jährige Bestehen der Kölner Orientstiftung mit 50 exquisiten Objekten. 

Da lauert er geduldig in seiner Vitrine, der buddhistische Höllenrichter. Seine grünen Augen warten nur darauf, Ausstellungsbesucher, die ihm zu nahe kommen, wertend anzufunkeln. Die Figur aus Steinzeug mit farbiger Bleiglasur stammt aus der Ming-Dynastie, ist also mindestens 500 Jahre alt. Und wirkt doch seltsam belebt. Laut Überlieferung führte er einen Spiegel mit sich, in dem er den ihm Vorgeführten ihre Sünden aufzeigte. Der kleine Spiegel, der im Museum für Ostasiatische Kunst vor dem Stuhl der Figur drapiert ist, dient jedoch dazu, das Licht auf sein Gesicht zu lenken, auf dass sein Blick böser leuchte.

Der sitzende Höllenrichter ist ein Glanzstück unter den Ankäufen, die das Kölner Haus in den vergangenen Jahrzehnten mithilfe der Mittel der Orientstiftung tätigen konnte. Der Kunstsammler Hans-Wilhelm Siegel hatte seine Sammlung chinesischer und südostasiatischer Kunstobjekte Anfang der 1970er für knapp drei Millionen DM an die Stadt Köln verkauft. Damals murrten Stimmen in der Lokalpolitik über den hohen Preis, heute ist die Sammlung ein Vielfaches ihres Einkaufspreises wert, wären die meisten Objekte am heutigen Markt für ein städtisches Museum unerschwinglich.

Sitzender buddhistischer Höllenrichter, Steinzeug mit farbiger Bleiglasur, China, Ming-Dynastie, circa 1488-1521

Sitzender buddhistischer Höllenrichter, Steinzeug mit farbiger Bleiglasur, China, Ming-Dynastie, circa 1488-1521

Die Hälfte seines Erlöses übertrug Siegel in die von ihm im Januar 1974 ins Leben gerufene „Orientstiftung zur Förderung der Ostasiatischen Kunst“. Darauf, dem gemeinnützigen Verein seinen Namen zu geben, verzichtete er. Von den Zinsen des Gründungskapitals werden seitdem Ankäufe des MOK, Stipendien und Reisen für junge Forschende, Restaurierungsarbeiten und auch der Ausbau der Bibliothek finanziert.

Zum 50-jährigen Bestehen der Orientstiftung zeigt das Ostasiatische Museum nun 50 Schätze aus Siegels Sammlung und den Geschenken des Vereins – und einen Neuankauf, zwei Vasen in Spindelform der südkoreanischen Keramikerin Young-Jae Lee, die seit 1972 in Deutschland lebt. Nur einige rote Kupferoxid-Spritzer akzentuieren die farblose, beziehungsweise graugrüne Glasur des Gefäßpaares, als würde es ob seiner eigenen Schönheit erröten.

Hans-Wilhelm Siegel gründete die Orientstiftung in Köln, nachdem er mehr als 50 Jahre in China gelebt hatte

Die zurückhaltende Eleganz der Vasen lässt leicht vergessen, dass sie ein gleich dreifaches Novum in den Ankäufen durch die Orientstiftung darstellen: Zum ersten Mal stoßen Stücke aus Korea zur Sammlung hinzu, zum ersten Mal Arbeiten einer Frau, zum ersten Mal eine zeitgenössische künstlerische Position, gemäß der Neuausrichtung des Museums unter der im vergangenen Juli angetretenen Direktorin Shao-Lan Hertel. Die schwärmt von der Synthese von Pioniergeist und traditionellem Kunsthandwerk der Spindelvasen.

Denn diese knüpfen auch mehr oder weniger direkt an Hans-Wilhelm Siegels spezielle Sammelleidenschaft für die klaren Formen blassgrün glasierter Seladon-Keramik der Song-Dynastie (960 bis 1279) an, von denen ebenfalls einige Objekte in der von Daniel Suebsman kuratierten Jubiläumsausstellung vertreten sind, etwa eine Kinuta-Vase, die dem Betrachter gegenübertritt, als hätte sie der italienische Stilllebenmeister Giorgio Morandi gemalt.

Museum für Ostasiatische Kunst, Köln, MOK, Spindelvase, Steinzeug, Young-Jae Lee, 2018, Inv.Nr. F 2024,1

Spindelvase von Young-Jae Lee, 2018

Die hohe Qualität der Siegel'schen Sammlung erklärt Suebsman damit, dass der in Kassel geborene Siegel mehr als 50 Jahre in China gelebt hat, Mandarin in Wort und Schrift perfekt beherrschte und den Geschmack der gebildeten chinesischen Oberschicht teilte. Stets achtete er darauf, datierte Stücke von gesicherter Provenienz anzukaufen.

Sein Vermögen hatte sich Siegel mit riskanten, aber ungemein profitablen Geschäften mit kriegswichtigem Material wie Wolfram erarbeitet. Er verkaufte unterschiedslos an Royalisten wie an Kommunisten, war bei beiden gleichermaßen angesehen und überstand so sämtliche Regimewechsel unbeschadet. Er habe eben Chancen ergriffen, schätzt Malte Sprenger, derzeitiger Vorsitzender der Orientstiftung. Ein Kriegsgewinnler sei er deshalb noch lange nicht: „Ganz sicher hätte er keine Chemikalien für KZs geliefert.“

Zudem sie die Faszination für alles Chinesische seiner Berufswahl vorausgegangen, erzählt Sprenger. Nach dem Abitur habe Siegel seinen Patenonkel gefragt, wie er sich wohl ein Leben in China ermöglichen könne. Der riet zur Ausbildung als Exportkaufmann und so reiste Siegel mit gerade einmal 20 Jahren im Auftrag der Hugo Stinnes GmbH ins Reich der Mitte, parallel studierte er Sinologie. Als erstes Kunstobjekt erwarb er eine vergoldete sinotibetische Buddha-Figur aus dem 18. Jahrhundert.

Bald erweckten allerdings chinesische Frühkeramiken vom Neolithikum bis in die Yuan-Dynastie (1279-1368) sein Interesse. Nach dem zu Anfang des 20. Jahrhunderts nahe der Stadt Anyang Überreste der alten Hauptstadt der Shang-Dynastie – einer frühen Blütezeit der chinesischen Kultur – entdeckt worden waren, gelangten ab Anfang der 1940er Jahre kurzzeitig archaische Ritualbronzen aus den Ausgrabungen auf den örtlichen Kunstmarkt. Siegel ergriff die einmalige Gelegenheit, weshalb man nun im MOK solch seltene Grabbeigaben bestaunen kann. Dennoch beschrieb sich der Sammler als bescheiden als „wahren Dilettanten, von keiner Sachkenntnis getrübt“.

So spricht niemand, der sich vor buddhistischen Höllenrichtern fürchten muss. Viel eher trifft es ein anderes Meisterstück aus den Stiftungsankäufen, ein lebensgroßer, sitzender Bodhisattwa Guanyin aus dem 12. bis 13. Jahrhundert. Das oft weiblich, hier eher männlich dargestellte Erleuchtungswesen soll freiwillig auf der Welt geblieben sein, um den Menschen zu helfen und wurde in Ostasien als Gottheit der Barmherzigkeit und des Mitgefühls verehrt. Den rechten Arm hat der Bodhisattwa auf seinem angewinkelten Knie abgelegt, seine Augenlider sind halb geschlossen, blicken gütig auf alles Irdische hinab.

„50 Jahre – 50 Jahre Schätze“ ist bis zum 7. April im Museum für Ostasiatische Kunst zu sehen. Am 28. Februar findet im Museum ein Künstlerinnengespräch mit Young-Jae Lee statt.

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