Neue SerieWie süchtig macht „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“?

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Jana McKinnon als Christiane F.

Jana McKinnon als Christiane F.

Wer in den 1980er Jahren eine weiterführende Schule besuchte, kam in den vom Lehrplan verordneten Genuss von „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. Uli Edel hatte für Bernd Eichinger den „Stern“-Bestseller verfilmt, in dem die Reporter Kai Hermann und Horst Rieck den Fall der 15-jährigen Heroinabhängigen Christiane Felscherinow protokolliert hatten.

Felscherinows West-Berliner Höllentrip, vom ersten Schuss bis zum Babystrich, erschreckte die Republik nachhaltig. Fortan fürchteten Eltern nichts mehr, als dass ihre Kinder die heile Welt, die man sich so mühsam aus Trümmern aufgebaut hatte, für einen Flirt mit dem Tod wegwarfen.

Edels Film setzte die Reportage fast dokumentarisch und völlig ungeschönt um. Minutenlang erbrechen sich Christiane und ihr Freund Detlef beim kalten Entzug. Vielleicht versprachen sich die Pädagogen jener Tage deshalb von „Christiane F.“ eine Art Instant-Drogenprävention per Fernbedienung.

Zur Serie

Die acht Episoden von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ sind ab dem 19. Februar auf Amazon Prime zu sehen. FSK 16

Regie: Philipp Kadelbach

Buch: Annette Hess

Mit: Jana McKinnon, Lena Urzendowsky, Michelangelo Fortuzzi, Lea Drinda, Jeremias Meyer, Bruno Alexander

Das exakte Gegenteil war der Fall: Jeder Schüler, der nicht gerade in der Nähe des Bahnhof Zoo wohnte, sondern im lauschigen Westen, wünschte sich fortan nichts sehnlicher, als während eines David-Bowie-Konzertes Heroin zu sniffen. Die meisten Abiturienten hatten zuvor gar nicht geahnt, wie kaputt und glamourös, vor allem aber anders, das Leben in Deutschland sein kann.

Die erste Frage, die sich deshalb aufdrängte, als Constantin Television und Amazon Studios bekannt gaben, „Wir Kinder von Bahnhof Zoo“ als achtteilige Serie neu zu verfilmen, war die nach der Wirkmächtigkeit der Bilder von Sucht und Weltflucht. Mit Annette Hess („Weissensee“, „Ku’damm 56“) als Chefautorin und Philipp Kadelbach („Unsere Mütter, unsere Väter“, „Parfum“) als Regisseur hat Produzent Oliver Berben die erste Riege deutschen Fernsehschaffens verpflichtet. Das Budget soll selbst das von „Babylon Berlin“ übersteigen.

Was man alles auf dem Bildschirm sehen kann. Selten sah Sucht schöner und schrecklicher zugleich aus, allein an Darren Aronofkys „Requiem for a Dream“ reicht die Serie dann doch nicht heran: Die Größe des Tableaus verwässert die Konzentration. Annette Hess erzählt nicht nur die Geschichte Christiane F.’s, sondern auch die ihrer Clique – Stella, Babsi, Axel, Benno und Michi – und des erwachsenen Umfelds. Dessen Protagonisten sind mit jeweils ein, zwei Wörtern hinreichend beschrieben: Der verantwortungslose Vater, die alkoholkranke Mutter, die großbürgerliche Großmutter, der Nazi-Ausbilder. Es sind weniger echte Charaktere, denn Chiffren für die kranke Erwachsenenwelt, der die jungen Abhängigen entkommen wollen.

Das ist keine Schwäche des Drehbuchs. Hess lässt noch etliches andere ungesagt, beweist Mut zur Ellipse. Auf diese Weise schafft sie umso mehr Raum für Kadelbachs Bilder. Die wiederum nicht weiter von Uli Edels schmutzigem Realismus entfernt sein könnten: Das Dekor der 1970er Jahre wirkt in der Neuverfilmung eher kulissenhaft, die Diskothek der Wahl, das berühmt-berüchtigte Sound in der Genthiner Straße, könnte ein Club von heute sein und die Musik, zu der Christiane tanzt und Trips einwirft, klingt wie ein Kurzschluss aus Giorgio Moroders „I Feel Love“ und aktuellen Technoklängen. Selbst die herausragend gut gecastete Drogen-Clique spielt eher mit dem Thema Drogensucht, als das sie Drogensüchtige spielt.

Das ist gut so. Realismus ist eine Lüge und „Wir Kinder von Bahnhof Zoo“ will kein Kostümfilm sein, sondern den Bogen zum Hier und Jetzt schlagen. Das Ewig-Gültige der Sucht suchen. Das findet die Serie am ehesten in ihren grandiosen phantasmagorischen Rauschbildern. In Zimmerdecken, die sich ins Unendliche verlängern, in Alpenpanoramen hinter Plattenbauten, oder modernistischen Bungalows, die auf Asteroiden durchs All fliegen.

Diese Passagen könnte man als kleine, glänzende Werbefilme für Heroin missverstehen. Doch sie zeigen nicht, was die Droge bewirkt, sondern was die jungen User mit ihr verknüpfen: Den Wunsch nach einem Notausgang aus der vorgefundenen Gesellschaft. Eben das, was die Schüler der 80er einst so seltsam erstrebenswert an der Höllenfahrt der Christiane F. fanden.

Besucht sie im Film ein Bowie-Konzert in der Deutschlandhalle, schneidet Edel Spielszenen mit Archivaufnahmen eines Auftrittes von David Bowie zusammen. Kadelbach dagegen verzichtet darauf, die Bühne zu zeigen, stattdessen begegnet Michi dem von Alexander Scheer verkörperten Thin White Duke auf der Toilette. „This is the best part of the show“, vertraut der pinkelnde Bowie-Scheer dem jungen Fixer an.

Das ist auch einer der besten Momente der Serie. Es gibt noch manche andere. Nur wenn man sich die acht knapp einstündigen Folgen am Stück anschaut, ermüdet die immergleiche Dramaturgie von Höhepunkt und Absturz ein wenig. Sollte man lassen. Binge-Watching ist sowieso das Heroin dieser Tage.

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