Neuer Roman der „Shades of Grey“-AutorinAls Aschenputtel in einem Porno erwachte

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E L James

Die Romantrilogie „Shades of Grey" machte die Autorin E L James reich und berühmt.

  • In unserer neuen Serie „Was mach ich hier eigentlich?“ gehen unsere Kultur-Kritiker dorthin, wo es sie auf Anhieb nicht hinziehen würde, wo es ihnen vielleicht sogar persönlich wehtut. Dort werfen sie einen neugierigen Blick auf eine für sie fremde Welt.
  • Im zweiten Teil bespricht Anne Burgmer „The Mister", das neueste Werk der Erfolgsautorin E L James
  • Der Roman erzählt erneut die Geschichte vom armen Mädchen, das gerettet werden muss.

Köln – Wäre Prince Charming ein realer Mann und keine Märchenfigur, hieße er vermutlich Maxim Trevelyan. Der Londoner entstammt dem Adel, seine Familie ist unglaublich reich, hat Ländereien in ganz England. Er ist durchtrainiert und wahnsinnig gut aussehend. Jede Nacht schleppt er eine andere Frau ab, feste Bindungen sind ihm zuwider. Der 28-Jährige lebt in einem schicken Appartement, hat abgesehen von ein paar Model- und DJ-Jobs noch keinen Tag in seinem Leben gearbeitet. Ein bisschen klischeehaft finden Sie das? Warten Sie ab, es geht noch besser.

Alessia Demachi ist eine zierliche Schönheit mit endlos langen Beinen (obwohl sie klein ist), Haaren bis zur Hüfte und einem scheuen Augenaufschlag. Die 21-Jährige ist aus ihrer albanischen Heimat geflohen, weil ihr Vater sie einem brutalen Mann versprochen hatte. Auf ihrer Flucht nach England geriet sie an Menschenhändler, die sie in die Prostitution verkaufen wollten. Sie besitzt kaum mehr als das, was sie bei sich trägt. Mit viel Glück konnte sie fliehen und arbeitet nun in London als Putzfrau. Und jetzt raten Sie mal, bei wem sie in einem billigen Kittel und mit Kopftuch den Staubwedel schwingt!

„The Mister“ heißt der neue Roman der Engländerin E L James, die eigentlich Erika Leonard heißt. Deren märchenhafte Geschichte verlief so: Die Mutter von zwei Söhnen war Fan der Teenie-Reihe „Twilight“ über die Liebe zwischen einem Vampir und einer Sterblichen und verfasste darüber im Internet Fan-Fiction, in der die Hauptfiguren Bella und Edward Sadomaso-Sex hatten. Das Ganze war so erfolgreich, dass ein Verlag darauf aufmerksam wurde. Rasch flogen die Vampire aus der Story und die beiden erhielten andere Namen. Das Ergebnis ist bekannt: die „Shades of Grey“-Trilogie verkaufte sich weltweit mehr als 150 Millionen Mal und wurde in 52 Sprachen übersetzt. Der erste Band stand 147 Wochen ununterbrochen auf der Spiegel-Bestsellerliste.

„Shades of Grey“ ohne Sadomaso

„The Mister“ ist „Shades of Grey“ ohne Sadomaso. Doch die Rollenverteilung bleibt gleich. Der reiche, attraktive sexuell erfahrene Mann verliebt sich in eine scheue Jungfrau, der er großmütig die Welt erklärt. Und die er selbstverständlich erst entjungfert und dann in endlosen Sexszenen wieder und wieder mit wenigen Berührungen zum Orgasmus bringt.

Es sind schon viele große Schriftsteller daran gescheitert, Sex zu beschreiben. E L James scheint das nicht zu schrecken. Seitenlang folgt man ihren Softporno-Fantasien. Dabei schildert sie Maxims Passagen in der ersten Person, während Alessias Parts in der dritten Person erzählt werden. Warum? Erschließt sich nicht. Beschert dem Leser aber Sätze wie: „Sie ist weich und stark und wunderschön unter mir. Mit einem Kuss verströme ich mein Herz und meine Seele in ihrem Mund.“ Eine Kunst ist es allerdings, auf der einen Seite inflationär Worte wie „Ficken“ und „Schwanz“ zu verwenden und auf der anderen Seite in einer jugendlich-schwülstigen Sprache über Sex zu schreiben, wie es sich eine 15-Jährige in ihren Tagebüchern ausmalt. Rein, raus, Orgasmus, Feuerwerk.

Nun kann man natürlich zurecht fragen, warum man sich überhaupt mit diesem Schund beschäftigen sollte. Die Antwort ist einfach: Er verkauft sich wahnsinnig gut. Das Buch schaffte es auf Anhieb auf Platz 1 der Besteller-Liste und steht momentan auf Platz 3. Und was das Schlimmste ist: Vor allem Frauen lesen diese Unterwerfungs-Schmonzette.

Und würden anscheinend in Kauf nehmen, ihre Selbstbestimmung aufzugeben, nur um den Mädchen-Traum vom Prinzessinnen-Dasein zu träumen. Gleichberechtigung? Feminismus? MeToo-Debatte? Welche Frau interessiert das schon, wenn sie einen reichen Lord an sich binden kann? Denn darum geht es bei E L James immer. Am Ende wird das Aschenputtel geheiratet. Wer jung und schön ist, braucht keinen Feminismus. Und Geld heilt ja ohnehin alle Wunden – und löst alle Probleme.

Fans werden nun vielleicht dagegenhalten, dass Maxim doch sehr um sie bemüht ist und auf ihre Wünsche eingeht. Und außerdem kann sie doch ganz wunderbar Klavier spielen und bewegt sich mit dem musikalischen Maxim, der Lieder komponiert, zumindest in diesem Punkt auf Augenhöhe.

Shades of Grey

Dakota Johnson spielte Ana Steele in der Verfilmung der „Shades of Grey"-Trilogie.

Aber am Ende steht sie dann eben doch wieder am Herd und kocht ihm etwas Leckeres. Zudem ist sie vollkommen von ihm abhängig. Ohne Wohnung, ohne Pass und Geld und verfolgt von den albanischen Kriminellen, die sie nach England schmuggelten, hat sie keine andere Chance, als sich ihm auszuliefern. Mit einer freien Entscheidung hat das nichts zu tun. Überhaupt ist es eine Schande, die Themen Menschhandel und Flucht vor Armut und Zwangsheirat nur dazu zu nutzen, Alessia in die Arme des reichen Adligen zu treiben.

Maxims plumpe Gedankenwelt

Sechs Übersetzerinnen haben im Auftrag des Goldmann Verlags den Roman ins Deutsche übertragen. Was eigentlich immer ein sicheres Anzeichen dafür ist, dass es schnell gehen muss. Vielleicht war diese Aufteilung in Wahrheit aber auch nur ein Akt der Gnade, damit nicht eine Übersetzerin allein Maxims plumpe Gedankenwelten ins Deutsche bringen muss. So bleibt der Schmerz, der in „Shades of Grey“ ja immerhin noch Teil der Handlung war, auch in „The Mister“ ständiger Begleiter. Hier wird er allerdings beim Leser ausgelöst durch Fremdscham und die Erkenntnis, dass es immer noch schlimmer geht.

Man hofft während der Lektüre von „The Mister“ die gesamte Zeit, dass James beim Schreiben vor ihrem Computer saß – große Teile von „Shades of Grey“ tippte sie übrigens auf dem Blackberry – und heimlich darüber lachte, dass wirklich jemand ernsthaft glauben könnte, sie meine das alles ernst. Aber nach 600 niederschmetternden Seiten und einem Showdown mit Heiratsantrag bleibt nur die Erkenntnis, dass diese oberflächliche und reaktionäre Aschenputtel-Story anscheinend vollkommen ernst gemeint ist.

E L James: „The Mister“, Goldmann Verlag, 608 Seiten, 15 Euro.

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