Neues AlbumWarum Harry Styles der Popstar der Stunde ist

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Harry Styles  

London – Harry Styles – der erste Mann, der nicht als Anhängsel, sondern ganz ohne weibliche Begleitung das Cover der Stilbibel „Vogue“ zieren durfte – hat ein neues Album herausgebracht. „Harry’s House“ ist bereits seine dritte Veröffentlichung nach der Emanzipation von One Direction, der Boyband, die in der ersten Hälfte der Zehner Jahre Teenager-Herzen weltweit dominiert hatte, bevor K-Pop aus Südkorea den alten angloamerikanischen Modellen den Rang ablief.

Es soll Styles selbst gewesen sein, der seinen Bandkollegen 2016 den Vorschlag unterbreitet hatte, keine Fans durch eine öffentlich verkündete Trennung ins Unglück zu stürzen, sondern stattdessen eine unbefristete Auszeit zu nehmen. Er war eben schon immer der Mann für die sanftestmöglichen Lösungen. Jüngere Fans mögen davon geträumt haben, ein einziges Mal mit dem schnieken Sänger zu kuscheln, ältere wünschten sich, ihr erster Boyfriend hätte die Beziehung so schmerzlos beendet wie Styles.

Sein Solodebüt erwies sich als beherzter Schritt zurück ins Goldene Zeitalter britischer Rockmusik, von den Beatles über Elton John zum Bowie der Ziggy-Stardust-Jahre. Da wollte also jemand ernst genommen werden,  und das wirkte denn auch ein wenig gewollt. Wie nah Styles seinen Vorbildern tatsächlich kam, rang dann doch Respekt ab.

Nummer Eins mit Cunnilingus-Song

Seinen ganz eigenen Weg aber fand der Glam-Boy aus dem nordenglischen Kaff Holmes Chapel mit „Watermelon Sugar“, der vierten Single aus seinem zweiten Album „Fine Line“, die ihm seine erste Nummer Eins in den amerikanischen Billboard Charts bescherte: Ein Song, der beim ersten Hören so fluffig und nährstoffarm wie Zuckerwatte wirkte, sich aber nach und nach als kleines, feuchtes Funk-Monster entpuppte, ein dreiminütiges Cunnilingus-Lob, oder dachten Sie, es geht um Wassermelonen? 

„Harry’s House“ kommt nun beinahe noch tiefenentspannter daher, und gleich im ersten, kurioserweise „Music for a Sushi Restaurant“ betitelten Song zerkaut Styles erneut genüsslich Nahrungsmittel-Metaphern, schwärmt von frittiertem Reis und süßer Eiscreme, und eröffnet seiner Angebeteten, dass er ein Ei auf ihr braten könnte.

Lustvolle Verse für Olivia Wilde

Bei der handelt es sich übrigens um die Schauspielerin und Regisseurin Olivia Wilde, was wir nur deswegen erwähnen, weil Styles selbst nicht an sich halten kann: „I bring the pop to the cinema“, prahlt er in „Cinema“, es ist immer schön, Teil eines Powercouples zu sein, zum Eierbraten schön.

Wird noch irgendwem plötzlich heiß? Oder sind Sie soweit zu bestellen? Später, auf „Keep Driving“, zählt Styles ein komplettes Diner-Frühstück auf: Ahornsirup, Kaffee, Pancakes, Hash Browns, Eidotter. Aber das entpuppt sich als innerer Monolog eines Protagonisten, der sämtliche Warnzeichen einer Beziehung ignoriert, die sich längst auf der schiefen Ebene befindet – und auch hier findet sich noch eine verborgene Ebene: Vielleicht handeln die nur auf den ersten Blick lächerlichen Lyrics ja von Styles’ Unbehagen in der Teilzeitheimat Amerika?

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Wer sucht, der wird hier fündig. Wer „Harry’s House“ dagegen nur als Begleitmusik zum Bügeln hören will, muss sich nicht weniger eingeladen fühlen: Das Album klingt, wie sich ein Seidenpyjama anfühlt, geschmeidig, lauschig, irgendwie aber auch aufregend.

Kleine 80er-Jahre-Zitate – das A-ha-Keyboard in „As It Was“, der sprudelnde Pino-Palladino-Bass in „Daydreaming“ – erhöhen das Pop-Vergnügen, aber just, wenn er auch die Gelegenheitshörer zum Mitsummen gebracht hat, reißt Harry Styles mit einer Ballade wie „Matilda“ sämtliche Mauern ein, ein Aufbaulied für ein ungeliebtes Kind, dass Paul McCartney nicht emphatischer und melodiöser hinbekommen hätte.

Am 22. Juli tritt Harry Styles in Köln auf. Wer Karten hat, kann sich freuen, er ist der Popstar der Stunde: Unaufdringlich ist das neue Sexy.

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