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Neues Rosalía-Album „Lux“Eine Frau, so stark wie ein ganzes Orchester

4 min

Rosalía, katalanischer Weltstar, hat gerade ihr neues Album „Lux“ veröffentlicht.

Die katalanische Sängerin Rosalía wagt sich mit dem neuen Album „Lux“ in klassische Gefilde. Unsere Kritik.

Vor ein paar Tagen lud die katalanische Sängerin Rosalía ein Video zur neuen Single „Berghain“ hoch. Darin sieht man sie in ihr dunkles, überraschend traditionell eingerichtetes Altbau-Apartment zurückkehren, sie legt die Jacke an der Garderobe ab, zieht die Vorhänge auf – und findet sich plötzlich von den Musikern des London Symphony Orchestra umgeben, von furiosen Violinistinnen die presto zu Tonleiterkaskaden ansetzen, so grundstürzend wie das gewaltige Streichergewitter am Ende von Vivaldis „Der Sommer“-Satz.

„Seine Angst ist meine Angst/Seine Wut ist meine Wut/Seine Liebe ist meine Liebe/Sein Blut ist mein Blut“, bellt dazu ein Chor in hart akzentuiertem Deutsch, wie ein Rammstein-Cover der „Carmina Burana“. Es ist noch keine Minute im Video vergangen, doch die What-the-fuck-Momente türmen sich immer höher auf, Rosalía bügelt, immer noch vom Orchester umgeben, ein rotes Kleid, wie sie es vor drei Jahren auf der Tour zu ihrem Reggaeton-Album „Motomami“ getragen hat, und setzt mit klassischem Timbre zu einer Opernarie an. Singt, ebenfalls auf Deutsch, davon, dass eine alles verzehrende Flamme, „wie ein Blei-Teddybär“, in ihr Gehirn eingedrungen sei.

Von da ab wird es nur noch abstruser, die Sinfoniker begleiten sie zum Kardiologen und zum Juwelier, die beide keine Abhilfe für ihr gebrochenes Herz anbieten können. Zurück in ihrer Wohnung, verwandelt sich Rosalía in Schneewittchen. Die Tiere des Waldes versammeln sich um sie und Björk fleht als singendes Rotkehlchen um das Eingreifen der Götter. Die Szene steigert sich zum Fiebertraum, der amerikanische Experimentalmusiker Yves Tumor zitiert, elektronisch gefiltert, Mike Tysons durchgeknallte Drohung „I'll fuck you till you love me“ – hier erscheint sie als schlechtest möglicher Beziehungstipp. Mit dem letzten Paukenschlag flattert die Sängerin schließlich als Taube zur Altbaudecke hoch.

An diesem Freitag ist „Lux“, das extrem ehrgeizige Album zur Single, erschienen. Nach ihrem Durchbruch in den Pop-Mainstream hatten die meisten Kritiker Rosalías erste englischsprachige Veröffentlichung erwartet, stattdessen singt sie hier in 13 Sprachen, außer Spanisch und Deutsch noch in Katalanisch, Portugiesisch, Arabisch, Englisch, Französisch, Italienisch, Sizilianisch, Hebräisch, Mandarin, Japanisch und auf Latein.

Ist der Schock des Neuen von „Lux“ verklungen, bleibt die Begeisterung

In diesem Kontext erscheint die „Berghain“-Single nur folgerichtig, man möchte sagen: beinahe normal. Die Londoner Sinfoniker sind kein aufmerksamkeitsheischender Gag, keine kostspielige Verzierung, sondern, dirigiert von Daníel Bjarnason, der wichtigste Klangkörper auf „Lux“. Ja, man könnte das Projekt gut und gerne ins „Klassik“-Fach einsortieren, liefe das nicht seiner genresprengende Kraft entgegen.

Klassisch ist es vor allem in seiner vertikalen Dynamik, die Musik darf hier völlig dekomprimiert tief durchatmen, sie verlangt nach großen Räumen oder teuren Kopfhörern, im brummenden Auto wird man sie dagegen kaum genießen können.

Ist der Schock des Neuen erst einmal verklungen, bleibt die Begeisterung. Sie steigert sich mit jedem Durchhören, auch insofern reiht sich „Lux“ in das bisherige Werk der Künstlerin ein. Traditionsverhaftet und zugleich schwindelerregend innovativ, akribisch recherchierend und mutig dazu erfindend, das trifft doch auf bislang alle Rosalía-Veröffentlichungen zu.

Die katalanische Sängerin Rosalia ist überraschend auf der Plaza de Callao in Madrid erschienen, um bekannt zu geben, dass ihr viertes Studioalbum den Titel Lux tragen und am 7. November erscheinen wird, drei Jahre nach der Veröffentlichung von Motomami im Jahr 2022. Zuvor waren in den sozialen Netzwerken mehrere Bilder einer Anzeige auf dem Times Square in New York aufgetaucht, in der die Veröffentlichung ihres neuen Projekts angekündigt wurde.

Rosalia präsentiert überraschend ihr neues Album „Lux“ in Callao Dutzende Menschen betrachten das Cover von Rosalias neuem Album „Lux“ auf der Plaza de Callao am 20. Oktober 2025 in Madrid, Spanien.

Auf ihr radikales Flamenco-Update „El mal querer“ – unter anderem mit forschem Motorrad-Brausen als musikalischer Begleitung – ebenso wie auf „Motomami“, ihrer nicht unproblematischen, aber nichtsdestotrotz spektakulären Aneignung karibischer Rhythmen und lateinamerikanischer Popgenres. „Lux“ könnte dem Dancefloor-Minimalismus von „Motomami“ kaum ferner sein, dennoch überwiegt die Kontinuität: „Sex, Violencia y Llantas“ („Sex, Gewalt und Autoreifen“) der erste Song auf „Lux“, beginnt zum Beispiel mit denselben Akkorden wie „Sakura“, das letzte Stück auf „Motomami“.

Weil aber die Rosalía mit diesem Album zum Weltstar wurde, zur international gefeierten Pop-Sensation, und auch weil sie diese Rolle so sagenhaft souverän beherrschte, von der Met-Gala bis zum wohlgeplanten Paparazzi-Shot, erscheint vielen „Lux“ jetzt als waghalsiger Left Turn: 50 Minuten Musik, die sich eigentlich nur in ihrer Gesamtheit und bestimmt nicht in Tiktok-Schnipseln erschließen. Statt einer To-go-Portion „Chicken Teriyaki“ huldigt sie jetzt Mystikerinnen und feministischen Ikonen, zitiert Hildegard von Bingen, Simone Weil und die Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin, lässt sich vom Ewig-Weiblichen anziehen.

Die sehr irdische Story hinter „Lux“ ist Rosalías schmerzhafte Trennung von ihrem Verlobten Rauw Alejandro. Als „Friedensdieb“, „Mistkerl“ und „emotionaler Terrorist“ beschimpft sie den puerto-ricanischen Sänger, aber wer eine süffige Klatschplatte im Sinne von Lily Allens aktuellem Scheidungsalbum „West End Girl“ erwartet, wird enttäuscht. „Lux“ feiert das Wissen der Frauen, schraubt sich auf Geigengirlanden in den Himmel hoch. Aber die 33-Jährige kehrt nicht als Erlöserin auf die Erde zurück, nur ein wenig gelöster: „Wenn Gott herabsteigt“, singt sie in „Magnolia“, „steige ich hinauf/Wir treffen uns auf halber Treppe.“

„Lux“ ist bei Sony Music erschienen