Nina Hoss„Ich habe mich aus den Blondinen-Klischees ganz gut rausgewurschtelt“

Nina Hoss beim Film Festival Cologne
Copyright: Andreas Rentz/Getty Images
Frau Hoss, der Regisseur und Produzent Bernd Eichinger besetzte sie 1996 in der Titelrolle von „Das Mädchen Rosemarie“. Seither heißt es, er machte Sie zum Star. Stimmen Sie dem zu?
Nina Hoss: Ach, das habe ich ja lange nicht mehr gehört. Aber es stimmt schon, man findet Leute auf seinem Weg, die einem Möglichkeiten eröffnen. Ich hatte ja meine erste Filmrolle in Joseph Vilsmaiers „Und keiner weint mir nach“ gespielt. Dazu war ich eher zufällig und ziemlich unbedarft gekommen. Ich war ja gerade mal 19, und dann rief Bernd an, der mit seiner Firma Constantin Verleiher des Films war, und er sagte mir, er habe die Vision, dass ich Rosemarie Nitribitt spielen kann. Später erzählte er mir, wenn die Probeaufnahmen mit mir nicht funktioniert hätten, hätte er diesen Film nicht gemacht. Insofern war es gut, dass ich damals so jung und unbeschwert war und keine Vorstellung hatte, welcher Druck tatsächlich auf mir gelastet hatte. Ich weiß aber auch, dass Bernd Eichinger mir manchen Umweg erspart hat, indem er mich durch diese Rolle gleich mal in die Kategorie einer Hauptdarstellerin geschleudert hat. Insofern war es ein enormes Zwischenspiel aus Glück, dem Vertrauen anderer in dich und dem, was du daraus machst.
Cate Blanchett ist ein Vorbild für mich
Auch, weil die Rahmenbedingungen sich geändert haben?
Ja, das ist sicher so. Es gibt nicht mehr das Kino allein. Es gibt Fernsehen und Home Entertainment und Streaming Dienste und sie alle zeigen Filme. Aber das einzige Szenario, wo man noch als Filmstar über einen roten Teppich schreiten kann, das sind Festivals. Also etwas wie Venedig, Berlin, Cannes, Toronto oder eben auch hier in Köln. Aber diese Räume werden kleiner, da werden wir uns neu erfinden müssen. Aber das ist eben der Wandel der Zeit.
Der Glanz des Filmstars ist es doch, dass er nicht spielt, sondern wirkt. Er kommt ins Bild, und man schaut nur noch auf diese Person.
Ja, aber darüber kann man doch selber eher wenig sagen. Es ist doch eher der Betrachter, der das beschreiben kann. Ich kann so schlecht über meine eigene Wirkung sprechen.
Gibt es Leute, die Sie gut finden?
Oh ja! Und nicht nur welche von früher, auch jetzt.
Zur Person
Nina Hoss, 1975 in Stuttgart geboren, stieg 1996 gleich mit ihrer zweiten Filmrolle in Bernd Eichingers „Das Mädchen Rosemarie“ zum Star auf. Kassenerfolge wie Doris Dörries „Nackt“ und die Romanverfilmungen „Die weiße Massai“ und „Elementarteilchen“ sowie die von der Kritik hochgelobte über sechs Filme währende Zusammenarbeit mit Regisseur Christian Petzold zementierten ihren Status als beständig gefragte Hauptdarstellerin im deutschen Film.
International brachte ihr die Beteiligung am Serienerfolg „Homeland“ Anerkennung ein. Parallel dazu ist Hoss auch in der Theaterlandschaft für ihre Vielseitigkeit hochgeschätzt. Neben zahlreichen Filmpreisen (u.a. zwei Grimme-Preise und der Silberne Bär 2008 für „Yella“) erhielt sie 2013 das Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland.
Lassen Sie mich raten: Eine von Ihnen besonders verehrte Schauspielerin heißt Cate Blanchett?
Ja, unbedingt! Die würde ich als Filmstar bezeichnen. Ich wertschätze ihre Filme, und wenn ich sehe, welche Wirkung die hat, wie sich durch diese Filmwelt bewegt, wie schlagfertig sie bei Interviews ist, da sage ich gerne: Sie ist ein Vorbild für mich.
Sie haben zusammen in einem Film gespielt, „Tár“, der in Venedig uraufgeführt wurde.
Ja, und wenngleich sie dieses unglaubliche Renommee hat, so ist sie in der Arbeit doch ausgesprochen kollegial. Und wie man selber auch versucht sie alle Schattierungen und Nuancen aus der Figur, die sie spielt, herauszuholen – und das aber in Zusammenarbeit. Und das bestätigt einen dann auch selber. Denn es ist der Kern unserer Arbeit. Nicht der Schein, sondern dass wir etwas gemeinsam erzählen wollen. Und daraus entsteht eine Intensität, die kann man nicht einfach abtun, damit muss man sich auseinandersetzen, auch weil sie nicht auszurechnen ist, vielleicht überrascht. Das ist es, weshalb ich Cate so gerne zuschaue, und weshalb es in der Zusammenarbeit wie eine Art Tanz war.
In ihrem neuen Film „Tár“ spielt Hoss eine Konzertmeisterin
Sie spielen in „Tár“ eine Musikerin.
Ja, ich spiele die erste Violine eines im Film nicht näher bezeichneten großen deutschen Orchesters, die Konzertmeisterin.
Können Sie Violine spielen?
Nein, aber ich habe eine ganz tolle Lehrerin, Marie Kogge, die mich schon – ganz lange her – für eine Folge der Serie „Bloch“ und später für den Film „Das Vorspiel“ angeleitet hatte. Und weil sie das so gut gemacht hat, konnte ich die Teile, die man auf der Leinwand sieht, schlussendlich auch spielen. Das war mir wichtig, denn wir waren von den Musikern der Dresdner Philharmonie so großartig und geduldig aufgenommen worden, und wenn ich dann für den Dreh zwei Wochen lang auf dem ersten Stuhl dieses Orchesters Platz nehme, dann will ich nicht, dass man bezweifelt, ob ich das kann oder nicht. Wann sitzt man denn schon mal mitten im Orchesterkörper? Und wenn dann die Musik anhebt für Mahlers 5. Symphonie, das Gefühl werde ich nicht mehr vergessen. Dieser Klang, was das mit einem macht, das ist unwahrscheinlich! Man kriegt so viel geschenkt in diesem Beruf, das ist wirklich faszinierend.
Welches Instrument spielen Sie, wenn Sie nicht vor der Kamera agieren?
Ich spiele Klavier.
Das könnte Sie auch interessieren:
Sie können auch singen? Sie haben immerhin „Die Fledermaus“ bestritten.
Ja, das war ein großer Spaß. Die Kritik hatte uns so was von verrissen, aber dann wurde es gefeiert wie eine Art Kult-Trash-Event.
Und wie viel Spaß oder Trash gab es in Salzburg? Sie spielen im „Jedermann“ die Buhlschaft und hinterher redet man von Ihnen als die „Coolschaft“.
Ja, aber das sind doch Schubladen, damit habe ich doch nichts zu tun. Man ist blond, und dann ist man eben cool.
Echt, das reicht schon?
Anscheinend schon, aber ich finde, ich habe mich da ganz gut rausgewurschtelt. Der Blick auf mich hat sich etwas geöffnet. Aber letztlich ist er geprägt durch die Figuren, mit denen ich an die Öffentlichkeit getreten bin. Die waren nicht auf den ersten Blick zugänglich, gerade auch die in den Filmen von Christian Petzold.
Ich freue mich auf Figuren, die mich herausfordern
Sie haben sechs Filme unter Petzolds Regie bestritten. Wird es einen siebenten geben?
Nein, im Moment ist das nicht angedacht.
Nicht nur bei diesem Regisseur sind Sie als Schauspielerin nicht auf ein Fach festzulegen. Ich nehme an, Sie fassen das als Kompliment auf?
Ja, das nehme ich gerne an, denn diese Vielseitigkeit ist es ja, was ich in diesem Beruf möchte. Grenzen zu dehnen, dabei mich selber zu testen und auch einmal ins kalte Wasser zu springen, eben Neues auszuprobieren. Das gelang aber besonders am Theater. Das sehen zwar nicht so viele Leute, aber ich trage es ja in mir. Ich weiß ja, was ich schon gemacht habe und was ich noch ausprobieren möchte. Ich freue mich ja schließlich auf die Figuren, die mich herausfordern und in etwas Anderes, Unbekanntes hineinwerfen. Dafür ist man ja Schauspieler, man verwandelt sich.
Was fehlt Ihnen denn in der Sammlung?
So konkret mit Wunschliste gehe ich das nicht an. Aber ich werde ja älter, und da gibt es andere Frauenfiguren, die vielleicht auch freier, verrückter sind. Aber das ist ja auch das Merkwürdige an diesem Beruf, dass man zwar planen kann, eigentlich aber auch nicht, weil plötzlich etwas Unerwartetes angeboten wird. Es ist ja denkbar, dass jemand sich etwas für mich ausdenkt, und ich weiß gar nichts davon. Oder jemand hat etwas geschrieben und dann geht er auf die Suche nach der passenden Besetzung und dann erreicht mich plötzlich ein Anruf und bekomme die Rolle, so wie jetzt bei Todd Field für „Tár“. Auf solche Momente verlasse ich mich ein bisschen, weil es immer schon so war. So fing es ja schon an, mit einem Anruf von Bernd Eichinger.
Das Klima ist auf jeden Fall meine größte Sorge
Dann deckt sich das mit dem Satz, den man Ihnen zuschreibt: Wo Gefahr ist, wächst die Kraft?
Das war ein Lebensmotto meines Vaters. Wo Gefahr ist, da wächst das Rettende auch. Das ist ein Zitat von Hölderlin. Was ja heute relevanter ist denn je. Ich weiß nicht, ob es immer so aufgeht, aber ich glaube daran. Weil es mir Hoffnung macht.
Was macht Ihnen gerade Angst? Der Krieg in der Ukraine?
Auch, aber grundsätzlich macht mir Angst, was gerade mit unserem Klima passiert. Wenn wir da nicht schnell und nachhaltig gegensteuern, wird es noch mehr Kriege geben – um Wasser, oder weil man in bestimmten Regionen nicht mehr leben kann, weil es da zu heiß geworden ist. Das ist auf jeden Fall meine größte Sorge. Aber dann gibt es eben auch Momente der Hoffnung, wenn ich an die Menschen im Iran denke, die zu Tausenden auf die Straße gehen, obwohl sie wissen, dass sie deshalb diesen Tag vielleicht nicht überleben werden. Weil sie für diese Freiheit kämpfen, die wir als so selbstverständlich betrachten.
Viele empfinden hierzulande sogar den Weg zur Wahl als lästig.
Ich will das jetzt gar nicht so leichtfertig gleichsetzen, aber ich möchte schon die Frage aufwerfen, ob wir vermutlich Politik nicht anders machen müssen. Etwas ist ja schiefgelaufen, sonst gäbe es ja diese Politikverdrossenheit nicht. Das kann man ja nicht einfach abtun. Das ist ja wie beim Kino oder beim Theater, da bleiben die Leute ja auch weg. Da kann man sich nicht immer drüber beschweren, da muss man auch mal drüber nachdenken, warum das so ist. Und dann vielleicht neue Wege finden. Nichts auf diesem Planeten ist für die Ewigkeit in Stein gemeißelt. Nichts hat sich nicht verändert. Das aufhalten zu wollen, ist Wahnsinn. Aber es in die bestmögliche Richtung zu lenken, ist doch das, was wir machen müssen. Und das ist auch so eine Sorge, die mich umtreibt, dass ich nicht weiß, ob wir das hinkriegen.