Seit 2007 war Trent Reznor mit seiner Band Nine Inch Nails nicht mehr in Köln. Jetzt spielte der große Schmerzensmann der 90er Jahre in der Lanxess-Arena. Unsere Kritik.
Nine Inch Nails in KölnTrent Reznor zeigt, wie sexy Verzweiflung sein kann

Trent Reznor von den Nine Inch Nails. Das Bild entstand auf einem Konzert in Mexiko 2023. In Köln waren keine Fotografen zugelassen.
Copyright: IMAGO/Newscom/GDA
Was für ein wunderbar verzweifelter Anfang! Boys Noize, deutscher Elektronikproduzent von Weltgeltung, thront am hinteren Ende des Innenraums auf seinem DJ-Pult. Die Halle ist in rotes Licht getaucht, Nebelschwaden ziehen vorüber. Jetzt erheben sich traurige Bläser über den durchgehenden Rhythmus. Das kennt man doch? Schon erklingt die Stimme des jungen Peter Hein, er steht am Flipper und klagt: „Was ich haben will, das krieg’ ich nicht/Und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht.“
Dass man auf einem Nine-Inch-Nails-Konzert die Fehlfarben hören wird, hätte man vorher auch nicht gedacht. Aber der Übergang zum Hauptact ist fließend, ja geradezu ideal. Es bleibt dunkel in der Kölner Arena, nur das Licht wechselt, strahlt weiß eine kleine Bühne in der Mitte der Arena an. An deren Rand sitzt Trent Reznor allein am elektrischen Klavier, umringt von Tausenden Fans, und setzt Heins Klage über das leere Leben fort, in dem alles genau da ist, wo es hingehört, „right where it belongs“. Fast flüstert er, dann schreit er. Am Ende lässt er den Kopf hängen und fasst sich in einer leicht zu lesenden Geste mit beiden Händen an die Stirn. Seit 2007 waren NIN nicht mehr in Köln, Reznor ist mittlerweile 60 Jahre alt, es ist höchste Zeit für ein kleines bisschen Horrorschau.
Trent Reznor war der Schmerzensmann für alle, denen Kurt Cobain zu populär war
In den 90er Jahren war er – als einzige Konstante seines Bandprojekts Nine Inch Nails – der Schmerzensmann für alle, denen Nirvana noch zu populär war. Im Vergleich zu Reznors von Sandpapier-Gitarren und menschenferner Elektronik begleiteten Gesängen des Selbsthasses und der Erniedrigung, klang Kurt Cobain, als würde er fröhlich den Ententanz pfeifen. Aber Trent Reznor hat den Tanz am Abgrund überlebt, wenn auch mit einigen Mühen, heute ist der einstige Düsterboy verheiratet, Vater von fünf Kindern, und als Filmkomponist zweifacher Oscar-Preisträger, zusammen mit seinem musikalischen Komplizen Atticus Ross (für „The Social Network“ und Pixars „Soul“).
Alles zum Thema Lanxess Arena
- Sorge um Musiker Bushido sagt plötzlich kurzfristig Auftritt ab – Veranstalter überrascht
- Konzert in Köln Warum Tate McRae mit 21 Jahren schon Nostalgie verspürt
- Ab 1. August Warum man in der Lanxess-Arena bald kaum noch bar zahlen kann
- EHF Final Four Tausende Fans feiern in Köln den besten Handball Europas
- Jubiläum KG Luftflotte wird 100 – KVB-Bahn fährt mit Logo
- Europäisches Turnier Finale der Handball-Nachwuchstalente findet in der Lanxess-Arena statt
- „Keep Laughing“ Comedian Chris Tall kommt mit neuem Programm in die Kölner Lanxess-Arena
Der betritt nun mit Multiinstrumentalist Alessandro Cortini die Bühne, gemeinsam unterstreichen sie „Ruiner“, eines von vielen verbitterten Zwiegesprächen zwischen Reznors und dem lieblosen Gott, mit Sägezahn-Synthesizer und apokalyptischem Bass. Natürlich tragen hier alle schwarz. Noch ein Stück („Fragile“), in dem eine Angebetete die Hässlichkeit der Welt durchbricht, dann eilen die Musiker unter live gesampelten Tiergeräuschen und böllernden Getrommel auf die Hauptbühne.
In den Songs der Nine Inch Nails ist die Hölle ein innerer Zustand
Was folgt, ist hart und schnell, reine, vorwärts preschende Aggression. Zu „Wish“ animiert Reznor das Publikum zum Mitklatschen, aber schon bei „March of the Pigs“ kann man sich nicht sicher sein, ob man nicht selbst zu den Charakterschweinen gehört, denen Reznor die Maske herunterreißen will. Zwischen ihm und seinem Publikum weht ein Vorhang aus Gaze, wie im Video zu „Hurt“. Während der Sänger in „Reptile“ das Tempo zum langsamen, aber unerbittlichen Gang eines Gruselfilmmonsters herunterbremst, wird ein weißer Höllenschlund auf das durchsichtige Gewebe projiziert, es könnte auch eine Super-8-Rolle zur Zellteilung des Instituts für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht sein.
In den NIN-Songs ist die ewige Verdammnis kein üppiges Barockgemälde, kein Heavy-Metal-Plattencover, sondern ein innerer Zustand, mal mehr, mal weniger klinisch betrachtet. „Mein Kummer is my Castle“, wie Kierkegaard einmal scherzte. „Ich werde mich in Stücke hauen/Ich weiß nicht, was ich sonst tun soll“, droht Reznor drastisch in „Gave up“ und ein einzelner Fan missversteht das als Anlass zum Crowdsurfen.
Daraufhin geht es noch mal auf die kleine Bühne, zusammen mit Boys Noize begeben sich Reznor und Ross an die Keyboards für ein kurzes, clubbiges Techno-Set. Das ist beinahe so sexy wie Reznors und Ross‘ Soundtrack zum romantischen Tennisdrama „Challengers“, wenn auch weniger spielerisch.
Erst zum Schluss gewährt Trent Reznor Zugeständnisse ans traditionelle Rockshow-Format: Der Vorhang fällt, jetzt kommen die bösen Hits aus „The Downward Spiral“ (1994), deren oft zitierte Zeilen ihm aus der Menge entgegen gebrüllt werden: „Gott ist tot und niemanden kümmert's“ heißt es in „Heresy“, „I want to fuck you like an animal“ (lassen wir mal besser unübersetzt) in „Closer“. Aber warum wünscht sich der Sänger tierischen Geschlechtsverkehr? Um seiner unvollkommenen Existenz zu entfliehen, um näher bei Gott zu sein.
Erst jetzt richtet Reznor ein paar Worte ans Publikum, stellt seine Band vor, erzählt kurz von der Freundschaft zu seinem Idol David Bowie, mit dem er Mitte der 90er durch die USA tourte, und covert dessen Song „I‘m Afraid of Americans“. Für den NIN-Sänger, der in der ländlichen Einöde zwischen Pennsylvania und Ohio aufwuchs, bedeutet die Angst vor Amerikanern jedoch die Angst vor dem eigenen Schatten. Etwas, was man nie so richtig loswird.
Wo soll das nur enden? Selbstverständlich in „Hurt“, der zerquälten, letztlich triumphalen Selbstverletzungshymne, die auch Menschen mitsingen können, die noch nie von den Nine Inch Nails gehört haben, weil Johnny Cash ihn als seine eigene Lebensbilanz gecovert hat. Die letzte, hoffnungsvolle Strophe, singen alle mit: „Könnte ich noch einmal anfangen/Eine Million Meilen von hier entfernt/Ich würde mich selbst behalten/Ich würde einen Weg finden.“ Damit endet nach anderthalb Stunden diese Übung in Existenzialismus. Es ist alles gesagt, es war, wenn schon kein mitreißendes Konzert, so doch ein perfektes künstlerisches Statement.