Norman Jewison ist totVon Doris Day bis Nicolas Cage – kein Hollywood-Regisseur war wandlungsfähiger

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07.04.2017, USA, Los Angeles: Norman Jewison, Regisseur des Films "In der Hitze der Nacht" von 1967, mit seiner Frau Lynne St. David vor einer Vorführung des Films zum 50-jährigen Jubiläum beim TCM Classic Film Festival 2017 in Los Angeles.

Norman Jewison mit seiner Frau Lynne St. David im Jahr 2017

Als Regisseur garantierte Norman Jewison fünf Jahrzehnte lang Erfolg an der Kinokasse. Aber am Herzen lagen ihm Filme wie „In der Hitze der Nacht“.

Doris-Day-Komödien („Was diese Frau so alles treibt“, 1963), Steve-McQueen-Thriller („Thomas Crown ist nicht zu fassen“, 1968), brutale Dystopien („Rollerball“, 1972), schmalzige Musicals („Jesus Christ Superstar“, 1975) oder Gerichtsfilme mit Al Pacino („… und Gerechtigkeit für alle“, 1979) und Gewerkschaftsdramen mit Sylvester Stallone („F.I.S.T. – Ein Mann geht seinen Weg“, 1978)– in seiner scheinbar mühelosen Wandlungsfähigkeit war der Regisseur Norman Jewison ein Traum für jedes Hollywoodstudio.

Über fünf Jahrzehnte meisterte der Kanadier nahezu jedes Filmgenre, gewann trotz mehrfacher Nominierungen zwar nie einen Oscar, holte aber die eine oder andere Goldstatuette für seine Schauspieler und sein Team. Viele seiner Filme hatte er auch selbst produziert.

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Thomas Crown ist nicht zu fassen
1: Thomas Crown (Steve McQueen) holt die Beute eines spektakulären Bankraubs von einem Friedhof ab.

Steve McQueen in„Thomas Crown ist nicht zu fassen“ (1968)

Nah am Herzen lagen dem liberalen Jewison jedoch vor allem Dramen mit sozialem Bewusstsein wie „In der Hitze der Nacht“ (1967), der Krimi, in dem Sidney Poitier als schwarzer Kommissar Virgil Tibbs in einem Kaff in Mississippi ermittelt. Poitier und Rod Steiger – auf der Leinwand sein rassistischer Widersacher – machten sich einen Spaß daraus, sich in Vorstellungen des Films zu schleichen und auf die zuverlässig hysterische Publikumsreaktion zu warten, wenn Tibbs einen weißen Baumwollfarmer ohrfeigt.

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Die Academy-Awards, bei denen „In der Hitze der Nacht“ fünfmal gewann, Jewison jedoch gegen Mike Nichols („Die Reifeprüfung“) verlor, musste wegen der Ermordung Martin Luther King Jr. um einige Tage verlegt werden. Zwei Jahre später zog Jewison mit seiner Familie nach London, später zog er sich zwischen seinen Hollywood-Projekten auf eine Rinderfarm in der Nähe seiner Heimatstadt Toronto zurück.

Als Kind wurde Norman Jewison wegen seines Namens gemobbt

Als Kind war der 1926 geborene Jewison in der kanadischen Metropole von Klassenkameraden gemobbt worden, wegen seines Nachnamens hielten sie den Methodistensohn für einen Juden. Ein Missverständnis, das Jewison Jahre später die Regie für das Schtetl-Musical „Anatevka“ einbrachte. Den Rassenwahn der USA lernte er kennen, als er als junger Mann die Südstaaten bereiste: Ein Fahrer wollte ihn aus seinem Bus werfen, weil er es gewagt hatte, sich zu den schwarzen Passagieren im hinteren Fahrzeugteil zu setzen.

Eine ganz ähnliche Geschichte wie „In der Hitze der Nacht“ erzählte Jewison später in „Sergeant Waters – Eine Soldatengeschichte“ (1984), diesmal ermittelt ein schwarzer Anwalt in einem Armeestützpunkt. 1999 verfilmte er mit „Hurricane“ die Geschichte des mutmaßlich unschuldig wegen Mordes verurteilten Box-Champs Ruben Carter, mit einem grandiosen Denzel Washington in der Hauptrolle. Und noch in seinem letzten Film, „The Statement“ aus dem Jahr 2003, mit Michael Caine als sich selbst bemitleidenden Nazi-Kollaborateur, lotet Jewison moralische Untiefen aus.

Loretta (Cher) verliebt sich leidenschaftlich in Ronny (Nicolas Cage), den jüngeren Bruder ihres Verlobten.

Cher und Nicolas Cage in „Mondsüchtig“ (1987)

Sein Interesse am Menschen konn­­­­te er freilich auch in einer herzerwärmend-sentimentalen Komödie wie „Mondsüchtig“ (1987) zeigen. Die Liebesgeschichte aus Little Italy brachte Cher einen Oscar ein und machte Nicolas Cage (in einer seiner ersten völlig überzogenen Performances) zum Star.

Und dann war da noch der kühle Stilist: Neben „Bullit“ sind es vor allem Jewisons gemeinsame Arbeiten mit Steve McQueen – der Spielerfilm „Cincinatti Kid“ (1965) und „Thomas Crown ist nicht zu fassen“ – die für das ultracoole Image des Stars verantwortlich zeichnen. Die ausgeklügelten, im Split-Screen-Verfahren aufgedröselten Banküberfälle in „Thomas Crown“ gehören zu den reizvollsten Sequenzen der Filmgeschichte. Und für den ikonischen Kuss zwischen McQueen und Faye Dunaway –  damals der längste, der je auf der Leinwand gezeigt wurde – verwendete Jewison gleich mehrere Tage Drehzeit.

Nicht umsonst galt Norman Jewison als einer der besten Handwerker Hollywoods. Aber er war mehr als das, ein Virtuose und ein Menschenfreund, der Antirassismus über die Kinokasse zu den Massen brachte. Norman Jewison starb am vergangenen Samstag (20. Januar 2024) im Alter von 97 Jahren im kalifornischen Malibu.

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