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Philosophin Eva von RedeckerWas bedeutet Freiheit, wenn der Kollaps droht?

Lesezeit 4 Minuten
Buchpreis-Gewinner*in Kim de L'Horizon zu Gast im Schauspiel Köln bei Eva von Redecker, 11.01.2023, Bild: Herbert Bucco

Philosphin Eva von Redecker

Eva von Redecker ist der neue Star am Philosophie-Himmel. Am Schauspiel Köln hat sie eine eigene Gesprächsreihe. Jetzt tritt sie auf der phil.Cologne auf.

Freiheit, darunter verstehen viele zuerst einmal die Möglichkeit, sich frei zu bewegen. Reisend verleibt man sich die Welt ein. Freie Fahrt für freie Bürger. Aber mal ehrlich: Wer hätte nicht den Pandemie-Lockdown auch als Freiheitsverlust empfunden?

Eva von Redecker hält diesen Freiheitsbegriff für einen „überholten, ausgehöhlten Verfügungsanspruch“, einen „Phantombesitz“, untauglich für das Anthropozän, also der erdgeschichtlichen Epoche, in welcher der Mensch die Umwelt nach seinen Bedürfnissen verunstaltet hat.

„Wo Landstriche durch Krieg und Naturkatastrophen unbewohnbar werden“, schreibt die Philosophin in ihrem neuen buchlangen Essay „Bleibefreiheit“, „ist die Reiseerlaubnis ein Notbehelf, eher ein Migrationszwang als Freiheit.“

Warum Reisen auch nicht freier macht

Der Flüchtende ist nicht frei, der Bleibende genießt das wahre Privileg. Aber das wäre dann auch nur wieder die Freiheit der Wagenburg und die meint Eva von Redecker auch gar nicht mit ihrer Wortneubildung. Sie versucht, Freiheit noch einmal grundsätzlich anders zu denken, in die Zeit hinein, statt in den Raum.

Eva von Redecker, 41, aufgewachsen auf einem Biobauernhof in Schleswig-Holstein, gehört zu den derzeit markantesten Stimmen einer linken, feministischen Philosophie. Sie argumentiert ebenso gewandt mit sokratischen Dialogen und hegelianischen Geschichtsbegriffen wie mit Judith Butlers Queer-Theorie oder den Zukunftsvisionen der schwarzen Science-Fiction-Autorin Octavia E. Butler.

Sie kann abstrakte philosophische Konzepte anhand des Vogelzugs der Schwalben oder des Sterbens einer mütterlichen Freundin erörtern – und diese dann zu konkreten ethischen und politischen Handlungsempfehlungen verdichten: Man kann „Bleibefreiheit“ durchaus als Lebenshilfe-Brevier lesen.

Gegen die Rücksichtslosigkeit von Elon Musk und Jeff Bezos

Im Schauspiel Köln lädt von Redecker seit dieser Spielzeit regelmäßig Gäste zu ihrer Gesprächsreihe „Eva and the Apple“ ein, im Juni tritt sie im Rahmen der phil.Cologne auf.

Der alte, räumlich gedachte Freiheitsbegriff, glaubt die Philosophin, ist heute nicht nur unzulänglich, er hat uns geradewegs in den drohenden ökologischen Kollaps geführt. Dazu zitiert sie den Satz eines Sohnes von Freunden, der auch von Elon Musk, Jeff Bezos oder anderen superreichen Möchtegern-Astronauten stammen könnte: „Am freiesten bin ich, wenn ich allein auf dem Mars bin.“ Dieser Zwölfjährige, so von Redecker, habe den alten Freiheitsbegriff konsequent zu Ende gedacht, extreme Reisefreiheit mit ultimativem Willensradius kombiniert: „Je weniger Leben ringsumher, desto größer der Spielraum des weltraumreisenden Einzelwillens.“

Es ist die Ellbogen-Freiheit, im Bund mit dem Tod, die Nach-mir-die-Sintflut-Freiheit, die den Spielraum nachfolgender Generationen rücksichtslos beschneidet. Eva von Redecker setzt ihr eine andere Lebensfrage entgegen: „Wie viel Zeit steht mir zur Verfügung und wie erfüllt ist sie?“ Auch hier kommt der Tod mit ins Spiel, doch der wahre Skandal, schreibt sie, sei nicht, dass wir überhaupt sterben, sondern, dass wir so unterschiedlich früh sterben.

Wie man erfüllte Zeit erlebt

Unter allen Arten hätte der Mensch allein es so organisiert, „dass das Leben einiger weniger durch den verfrühten Tod der Vielen gestützt wird.“ Wie die Autorin kurzen Prozess mit der Longtermism-Ethik der Silicon-Valley-Granden macht, die eigentlich nur auf die eigene Unsterblichkeit abzielt, das liest sich besonders genüsslich.

Aber wie findet man Freiheit in der Zeit, wenn man doch weiß, wie begrenzt diese für einen selbst ist? Die Antwort darauf fällt von Redecker schon um einiges schwerer, aber das spricht für ihre intellektuelle Redlichkeit. Nicht nur intellektuelle Heldinnen wie Hannah Arendt und Simone de Beauvoir, auch die eigenen Vorschläge werden immer wieder hinterfragt.

Zeit, die als frei empfunden wird, kann selbstredend nicht einfach die Freizeit sein, denn dann bleibe man ja in den Begrifflichkeiten der Industrialisierung gefangen: Eine Freiheit, die nur der Erholung von den Mühen der Arbeit dient, wäre der Rede nicht wert.

Von Redecker spricht deshalb lieber von „erfüllter Zeit“. Die ermögliche es uns, bleiben zu können, ohne unfrei zu werden. Aber wie füllt man seine Zeit, beziehungsweise, wie erlebt man sie als erfüllend? Und sie setzt dem Tod die Geburt entgegen, beziehungsweise deren beständiges Reenactment: Erfüllte Zeit zeichnet sich durch Neuanfänge aus, zumindest durch die Möglichkeit zum Neuanfang.

Die wiederum eröffnet sich nicht dem Einzelkämpfer, sondern erst im Austausch mit anderen Menschen. Oder auch mit anderen Spezies. Ihren klugen Essay schließt Eva von Redecker mit derselben Frage, mit dem sie ihn begonnen hat: „Wissen Sie, wie es sich anfühlt, wenn die Schwalben wiederkommen?“

„Bleibefreiheit“ ist im S. Fischer Verlag erschienen, 160 Seiten, 22 Euro

Am 12. Juni tritt Eva von Redecker auf der phil.Cologne auf, Zentralbibliothek Köln, 18.30 Uhr