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So war der „Polizeiruf“Die große Angst vor dem Coming-out als trans Person

Lesezeit 6 Minuten
Der blonde Jonathan Perleth hat sich die Brust mit Bandagen abgebunden, sitzt ansonsten oberkörperfrei vor dem Spiegel. Um den Spiegel herum sind viele Postkarten und Fotos.

Trans Mann Daniel (Jonathan Perleth) macht sich in seinem Wohnwagen fertig.

Daniel ist trans, seine Familie kennt ihn nur als Daniela. Die Rostocker Folge des Polizeiruf zeigt, wie groß die Angst vor dem Coming-out sein kann.

Der Fall

Daniel sitzt mit seinem Vater Frank im Auto. Die beiden trinken Milkshakes und essen Pommes. Sie kamen gerade vom Schießstand, wo Daniel sich nur wenige Szenen zuvor vorstellte, wie er seinem Vater in den Kopf schießt.

Diese Zerrissenheit ist das Ergebnis einer ständigen Selbstverstellung, denn Daniel ist trans. Sein Vater kennt ihn nur als Daniela. Als Daniela ist er die Säule in einer kriselnden Familie. Die jüngere Schwester hat im Teenager-Alter ein Baby bekommen und ist dem noch nicht gewachsen. Familienvater Frank wirkt ebenfalls überfordert, schließlich arbeitet er als Polizist und ist besorgt darum, was die Nachbarn jetzt wohl denken. Er macht auf der einen Seite einen stacheligen Eindruck, gibt immer wieder aggressive Kommentare von sich, dann schläft er mit dem Baby auf dem Sofa ein und signalisiert, dass er sich kümmert. Frei nach dem Motto: Hart, aber herzlich.

„Daniel A.“ zeigt, wie schwer ein Coming-out sein kann

In dieser Überforderung kann Daniel Abhilfe verschaffen. Er kümmert sich um das Baby, hat einen Job in der Grundschule, gibt allen ein bisschen Stabilität. Es ist eine Trope, aber deswegen nicht weniger bewegend: Da ist der Sohn, der seinem Vater gefallen will, sich dafür aber selbst verleugnen muss. Ein Coming-out liegt jedenfalls in weiter Ferne.

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Immer wieder traut sich Daniel auch in seiner echten Identität nach draußen: bindet sich die Brüste ab, verändert seine Frisur und zieht sich andere Kleidung an. So geht er in den Chor oder auf Dates und beobachtet, wie die Menschen auf ihn reagieren.

Die Ermittler des Rostocker Polizeiruf tun sich schwer mit der neuen Kollegin

Doch dann trifft er sich mit einer Frau namens Natalie in einer Kneipe namens „Knockout“. Kurz nach ihrer Verabredung wird sie auf dem Parkplatz der Bar getötet. Der Stalker, der ihr aufgelauert war, begegnet Daniel sogar später und feindet ihn aus seinem Auto heraus an. Als Daniel vom Mord erfährt, geht er nicht zur Polizei, denn das würde bedeuten, dass seine Familie von seiner Identität erfährt.

Beim Ermittlerteam sorgt derweil Melly Böwes (Lina Beckmann) Einstand als vollwertiges Teammitglied für Irritationen. Sie versucht sich sofort mit ihrer positiven Art ins Team zu integrieren, stößt dabei aber immer wieder auf Widerstand. Die Muffins, die sie für das Team mitbringt, werden nicht gegessen, und als sie vorschlägt, ihren Schreibtisch in Katrin Königs (Anneke Kim Sarnau) Büro zu platzieren, reagiert diese abweisend.

Die Spuren des Mordes machen Daniel zum Hauptverdächtigen

Bei der Ermittlung klappts aber mit der Zusammenarbeit. Sie klopfen schnell an die Tür des Täters Marc Wigand (Max Krause), der sich bei der nichtsahnenden Mutter (Katharina Spiering) des Opfers eingenistet hat. Doch noch haben sie keine Spur auf den Stalker, befragen stattdessen den Barkeeper nach dem Mann, mit dem sich Natalie zuletzt verabredet hatte. So kommen sie auf Daniels Spur.

Erstes Deutsches Fernsehen (ARD)

Daniel A. | Polizeiruf 110

Dieser zeigt alle Fluchtinstinkte: Er bittet seinen Freund Armin (Bernd Hölscher) um Hilfe, der über seine Identität Bescheid weiß. Er sucht Hanna (Alina Stiegler) auf, eine alte Flamme, die jedoch verheiratet ist und von er sich erhofft, dass sie mit ihm entflieht. Und zuletzt beginnt er sich stärker feminin zu geben, die Polizei fahndet ja nach einem Mann. Dafür schminkt und frisiert sich Daniel anders, trägt die Spange seiner Mutter. Und sofort heimst er ein paar Komplimente ein.

Die Auflösung

Letztlich ist es Daniel selbst, der dem Täter auf die Spur kommt. Bei einer Begegnung mit Marc Wigand (Max Krause) erkennt er ihn sofort als den ominösen Fahrer der Mordnacht, und informiert die Polizei anonym. Diese bekommt vom Täter sogar eine DNA-Probe, die sie mit DNA am Opfer vergleichen können. Bei der späteren Verhaftung können die Polizeikräfte geradeso seinen Suizid verhindern.

Daniel sieht aber nur, wie die Polizei den Täter zunächst unbescholten lässt. In seiner Verzweiflung versucht es erneut mit Hanna und nimmt sich dafür sogar eine Pistole mit, um sie aus den Klauen ihres Ehemanns zu befreien, doch die hat sich mit ihrem Mann ausgesöhnt, die beiden sind in den Urlaub gefahren.

Die Ermittlerinnen, die schon das schlimmste zwischen Suizid und Mord vermuten, finden Daniel harmlos auf Hannas Bett sitzend. „Wo soll ich jetzt noch hin?“, fragt er sich. Trotzdem kehrt er zurück zu seiner Familie, die jetzt weiß, dass er trans ist. Und dort wartet der Vater bereits aufgeregt am Fenster, während seine Schwester für ihn herauskommt, um ihn in das Haus zu geleiten. 

Fazit

Immer wieder sprechen Figuren davon, bei diesem Mord handele es sich eher um Totschlag und da müsse „viel Pech“ im Spiel gewesen sein. Diese unglückliche Formulierungen werden von den Ermittlerinnen zwar korrigiert, können aber symbolisch dafür stehen, dass die Folge keine Sternstunde der Polizeiarbeit zeigt. Vielmehr scheinen alle damit beschäftigt, sich an einer neuen Kollegin zu stören. Bukows Abschied ist wohl noch nicht verkraftet. Die Ermittlungen sind unauffällig, Krimi-Elemente stark reduziert, um die Folge stärker zwischen Drama und Thriller anzusiedeln.

Die Bühne gehört ganz Jonathan Perleth in seiner Rolle als Daniel A. Besonders in den Szenen mit seinem Vater, gespielt von Jörg Witte, wird das Grauen um ein vorzeitiges Coming-out spürbar. Da geben sich ein gut geschriebens Drehbuch und starke schauspielerische Leistungen gegenseitig die Hand, auch wenn das Lieblingsschimpfwort der Autoren vielleicht einmal zu oft vorkommt.

Die Realität vieler transidenter Menschen

Spannend ist auch die Idee, Daniels Wohnwagen als einen isolierten Schwellenraum zu gestalten, in dem er als Daniel hinein- und als Daniela herauskommen kann. Und diese Verwandlungskünste sind nötig. Die Verdächtigung der Polizei überlappen sich mit den Verdächtigungen der Gesellschaft. Als trans Mann muss sich Daniel auch unschuldig vor der Welt rechtfertigen.

Die Angst der Ermittlerinnen und Angehörigen, Daniel könne Suizid begehen, ist wohl zu stark in der Realität vieler transidenter Menschen begründet, um es nicht zu thematisieren. Die am Ende angedeutete Gewaltbereitschaft an dem Ehemann der Geliebten hätte allerdings nicht sein müssen. Dass Daniel Hannahs Ehe als Zwang wahrnimmt, vor dem er sie retten muss, ist insoweit plausibel, als dass sich Daniel selbst durch so viele Zwänge hindurch manövrieren muss. Er ist wohl auch nicht der erste Mann in der Geschichte der Menschheit, der Romantik mit Übergriffigkeit verwechselt. Die Ausweglosigkeit der Figur wird in der eigenen Familie aber stärker sichtbar als anhand seiner Entgleisungen gegenüber einer Frau, die weiterziehen will.

Über die leichten Schwächen der spannenden Folge kann man hinwegsehen. Die Schlussszene ist wiederum stark: Daniel kommt mit seiner wahren Identität zurück zu seiner Familie. Wird angenommen. Etwas, das jedem Menschen zu wünschen ist, der diese Ablehnung befürchtet.

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