Transsexuelle Frau aus Köln„Ich habe 60 Jahre lang im falschen Körper gelebt“

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Gisela und Laura Schaldach (rechts) in ihrer Wohnung.

Gisela und Laura Schaldach (rechts) haben 2004 geheiratet, damals noch als Frau und Mann.

Laura Schaldach (66) hat 60 Jahre lang als Mann gelebt. Jetzt ist sie offiziell Frau und mit Gisela verheiratet. Das ist ihre Geschichte. 

Hinweis der Redaktion: Laura Schaldach hat der Verwendung ihres abgelegten Namens in diesem Text zugestimmt.

Laura Schaldach öffnet die Tür in einem schwarz-weiß karierten Rock, der sich elegant um die schlanken Beine schmiegt. In ihrem Leben möchte sie nie mehr Hosen tragen, das ist klar. „60 Jahre sind genug“, sagt sie. 60 Jahre hat sie als Dieter gelebt und sich in der Öffentlichkeit männlich gekleidet, obwohl sie Kleider und Röcke liebt. Die meiste Zeit ihres Lebens konnte sie die aber nur heimlich in der eigenen Wohnung anziehen.

Im Dezember 2015 hat sie sich schließlich abschließend als transsexuell geoutet und lebt seitdem als Frau. Kleider, Schminke und lange Haare trägt sie jetzt immer und überall. Sie nimmt Hormone, hat die geschlechtsangleichenden Operationen hinter sich und neue Papiere bekommen: Aus Dieter ist ganz offiziell Laura geworden. Und die fühlt sich endlich im richtigen Leben angekommen. Zu diesem richtigen Leben gehört auch ihre Frau Gisela. Die beiden haben 2004 als Mann und Frau geheiratet, jetzt sind sie zwei Frauen und immer noch verliebt. Hier erzählen sie ihre ungewöhnliche Geschichte.

„Ich wusste schon früh, dass ich kein Junge bin“

Dieter Schaldach wird 1956 in Köln geboren und lebt in Weiß mit Großeltern, Eltern und drei Brüdern in einem Haus. Die Eltern sind während des Zweiten Weltkriegs aus Ostpreußen geflohen und schwer traumatisiert. Es fällt ihnen schwer, Köln als neue Heimat anzuerkennen. Zu ihren Kindern sind sie streng, über Gefühle und Sorgen wird nicht gesprochen, Umarmungen gibt es so gut wie nie. Dieter wächst als Junge mit seinen Brüdern, Nachbarn und Schulkameraden auf und merkt sehr früh, dass er anders ist. 

Mit Beginn der Pubertät bricht das Chaos aus. Haare wachsen da, wo sie nicht sein sollen, Dieter kommt noch weniger mit seinem Körper zurecht als andere Jugendliche, weil es der falsche Körper ist, der da heranwächst. „Ich wusste schon sehr früh, dass ich im Inneren eigentlich ein Mädchen bin, aber ich konnte mit niemandem darüber reden“, sagt Laura. Noch komplizierter wird es, als Dieter merkt, dass er sich auch sexuell zu Mädchen hingezogen fühlt. Der Druck wird schließlich so groß, dass er sich seinen Eltern anvertraut. „Ich bat sie, mit mir zu einem Therapeuten zu gehen. Aber sie nahmen mich überhaupt nicht ernst und fragten nicht mal, warum ich das möchte. Danach habe ich nie wieder darüber gesprochen“, erzählt Laura.

Laura Schaldach noch als Dieter in Nepal 1998.

Laura Schaldach noch als Dieter in Nepal auf dem Amphu-Laptsa-Pass vor dem 7168 Meter hohen Baruntse.

„Ich ließ mir einen Vollbart wachsen und gab mich hart und distanziert“

Nach dieser verletzenden Abfuhr beschließt Dieter, dass der Wunsch, eine Frau zu sein, verschwinden muss. Also versucht er, sich so männlich wie möglich zu verhalten. Er hat eine erste Freundin und Sex, beginnt eine Ausbildung und verpflichtet sich für vier Jahre beim Militär. Er heiratet 1977 zum ersten Mal, bekommt einen Sohn und eine Tochter, baut ein Haus und lebt sein Leben, wie es von ihm erwartet wird. Obwohl er sich mit seiner Frau gut versteht, die Kinder liebt, zufrieden im Job als EDV-Beauftragter bei der Diakonie ist und viel mit Freunden unternimmt, ist er nie richtig glücklich.

Den starken Mann zu spielen wird immer anstrengender, weil die unterdrückte weibliche Seite keine Ruhe gibt. Er sucht die Nähe von Frauen und beginnt, ab und zu heimlich Frauenkleidung anzuziehen. Als er das seiner ersten Frau erzählt, reagiert sie mit Unverständnis und fühlt sich von seinen Wünschen abgestoßen. Dieters Reaktion? Noch männlicher werden: „Ich ließ mir einen Vollbart wachsen und gab mich hart und distanziert, dahinter habe ich mich versteckt.“

Gisela überlässt Dieter ihren Kleiderschrank 

Bei der Arbeit lernt er Gisela kennen. Die beiden freunden sich an und verstehen sich bald so gut, dass Dieter Gisela von den Frauensachen erzählt. Zum allerersten Mal wird er dafür nicht abgelehnt. Gisela überlässt ihm später sogar ihren Kleiderschrank, damit er sich ausprobieren kann, und zeigt ihm, wie man sich richtig schminkt. „Das war für mich völlig neu. Ich konnte ja vorher nie darüber sprechen und wusste oft selbst nicht, was mit mir los ist“, sagt Laura heute. Aus der innigen Freundschaft wird schließlich Liebe. Dieter lässt sich von seiner ersten Frau scheiden und zieht mit Gisela zusammen, die ebenfalls schon einmal verheiratet war und ein Kind hat. 2004 heiraten die beiden als Mann und Frau.

Gisela und Laura Schaldach (noch als Dieter) bei ihrer Hochzeit im September 2004.

Gisela und Laura Schaldach (noch als Dieter) bei ihrer Hochzeit im September 2004.

An Giselas Seite entwickelt sich Dieter immer mehr zur Frau, die er schon immer sein wollte. Am Anfang verbringt er nur die Zeit nach der Arbeit und die Wochenenden zuhause in Frauenkleidung. „Das hat mich nie gestört, ich fand das sogar schön“, erinnert sich Gisela, die bald auch den neuen Namen Laura vorschlägt. Aber es gefällt ihr nicht, dass ihre Kinder sich jetzt immer ankündigen müssen, wenn sie zu Besuch kommen und dass immer sie die Tür öffnen muss, wenn es klingelt, damit keiner Dieter in Frauenklamotten sieht. Und sie möchten endlich mal wieder gemeinsam tanzen oder essen gehen und sich nicht mehr verstecken. Es wird also Zeit für den nächsten Schritt.

Die erste kleine Veränderung kommt an Karneval. Dieter verkleidet sich als Bärbelchen und geht mit Gisela zur queeren Röschen-Sitzung. „Dort haben wir uns so wohlgefühlt, weil wir ganz wir selbst sein konnten“, erinnert sich Laura. Das Gefühl, öffentlich als Frau gekleidet und zurechtgemacht unterwegs sein zu dürfen, elektrisiert sie: „Da konnte ich mich endlich frei bewegen. Keiner hat ja gewusst, dass das für mich nicht nur eine Verkleidung ist, sondern dass ich das wirklich bin.“ Giselas Mutter erfährt als Erste, dass das Kostüm eigentlich kein Kostüm ist und reagiert gelassen. „Sie hat das einfach akzeptiert und gesagt: ‚Dann ist das so‘“, erinnert sich Laura. Als Nächstes outet sie sich vor ihren Kindern. Sowohl der Sohn als auch die Tochter sind zunächst etwas verstört darüber, dass aus ihrem Vater eine Mutter werden soll. Heute ist das Verhältnis mit beiden aber gut.

Laura und Gisela Schaldach an Karneval 2013, noch vor dem Outing.

In Wahrheit kein Kostüm: Laura Schaldach noch vor dem Outing als Bärbelchen verkleidet an Karneval.

Nach diesem wichtigen Schritt wagt sich Laura zum ersten Mal in Frauenkleidung raus aus der Wohnung ins Treppenhaus. „Ich habe mal als Frau den Müll runtergebracht oder bin in den Keller gegangen. Dann aber immer schnell zurück in die Wohnung. Wenn wir ganz mutig waren, sind wir in die Stadt in die Oper gefahren“, beschreibt sie ihre Anfänge als Frau. Dabei will sie eigentlich jedem erzählen, was mit ihr los ist und hofft immer, dass sie jemand im Flur oder auf der Straße anspricht. „Ich wollte es sagen, aber es gab keine Gelegenheit. Keiner sagte etwas. Hätte mich jemand gefragt, hätte ich sofort die Wahrheit gesagt. Aber ich kann ja nicht einfach von ‚Schönes Wetter heute' zu ‚Ich bin transsexuell‘ springen“, sagt sie. Irgendwann gelingt ihr der erste Schritt: Sie zeigt sich den Nachbarn als Frau und es entsteht endlich ein Gespräch. „Das hat mir gutgetan“, erinnert sich Laura. Von da an lebt sie als „Halbtagsfrau“: Zur Arbeit geht sie als Mann, aber nach Feierabend zieht sie sich um und bewegt sich überall frei.

Laura Schaldach in der weiblichen Entwicklung, 2015 noch vor dem Outing.

Laura Schaldach in der weiblichen Entwicklung, 2015 noch vor dem Outing.

Der nächste wichtige Schritt ist schließlich das Outing bei der Arbeit – für Laura fast noch wichtiger als das in der Familie, damit sie nicht mehr als „Halbtagsfrau“ leben muss. „Ich war so unfassbar aufgeregt, aber dann war es gar nicht so schlimm. Die Kolleginnen und Kollegen waren sehr verständnisvoll und vor allem neugierig, wie ich als Frau aussehe. Das hat von mir nämlich niemand erwartet, weil ich immer so ein grober Klotz war und mich lange hinter meinem Bart versteckt habe“, erzählt Laura. Seit diesem Tag ist sie nur noch in Frauenkleidung zur Arbeit gegangen. Damit ist die Übergangsphase zu Ende, die beide Frauen als die schwierigste Phase empfunden haben.

„Wenn man einmal den Weg eingeschlagen hat und sich geoutet hat, wird es insgesamt einfacher“, meint Gisela. Nach den Outings geht es erst richtig los. Laura macht weiter mit der Nadelepilation der Barthaare, die sie bereits 2013 begonnen hat. Dann folgen nach und nach Stimmtraining, Hormongabe und schließlich die geschlechtsangleichenden Operationen. „Wenn Frau, dann richtig Frau. Ich habe die OP nie bereut. In dem Moment, in dem ich gesehen habe: ‚Da ist nichts mehr‘ war ich sehr glücklich“, sind ihre Worte.

Für Gisela war es nicht immer leicht, dass aus ihrem Ehemann eine Ehefrau wurde

Laura ist also endlich angekommen und endlich glücklich, doch für Gisela war es nicht immer leicht, dass aus ihrem Ehemann Dieter die Ehefrau Laura wurde. Wie weit die Wandlung wirklich gehen würde, war ja am Anfang noch nicht klar, als es nur darum ging, Frauensachen anzuziehen. „Wir waren verheiratet als Mann und Frau. Erst dachte ich nur, dass sie einfach Spaß an den Frauensachen hat und gerne Frauenkleidung trägt. Und dann entwickelt sich das immer weiter und man macht diese Entwicklung einfach mit. Ich habe einige Zeit dafür gebraucht“, sagt Gisela. Sie ist sich nicht sicher, ob sie die Ehe aufrechterhalten hätte, wenn sie viel jünger gewesen wäre. „Ich hatte ja mein Leben schon gelebt, eine Ehe hinter mir und ein eigenes Kind. Aber wenn man selbst noch jung ist, sieht das vielleicht anders aus“, glaubt sie. Anfangs hatte sie auch Probleme damit, nach außen hin als lesbisch zu erscheinen, mittlerweile ist ihr das egal.

„Sie war ein sehr gut aussehender Mann. Ich habe das Männliche schon geschätzt.
Gisela Schaldach über ihre Frau Laura

An den Dieter von früher erinnert sie sich immer noch gerne: „Sie war ein sehr gut aussehender Mann. Ich habe das Männliche schon geschätzt. Wir haben eine sehr schöne Zeit mit ihr als Mann gehabt und sind beide glücklich darüber.“ Gisela ist für Laura in allen Bereichen eine große Stütze. Sie zeigt ihr, wie man sich richtig schminkt, ohne dass es zu knallig wird. Wie man sich elegant weiblich kleidet, ohne dass es zu aufdringlich ist. Und sie hilft der männlich sozialisierten Laura dabei, wie eine Frau zu denken. „Das war am Anfang eine ganz schöne Umstellung. Deshalb ist es sehr wichtig, dass man einen Gesprächspartner an seiner Seite hat, der dem Geschlecht angehört, zu dem man hin will“, sagt Laura.

Seit ihrem 60. Geburtstag ist Laura Schaldach offiziell eine Frau

Nach vorgeschriebenen Therapeutenstunden, zwei Gutachten und Gerichtsurteil erhält Laura die offizielle Anerkennung und neue Papiere und lebt seit ihrem 60. Geburtstag 2016 ganz offiziell als Frau. Nach dem noch geltenden Transsexuellengesetz sind diese umständlichen Verfahren nötig, um sein Geschlecht offiziell ändern zu lassen. Das soll sich mit dem Selbstbestimmungsgesetz ändern, das das Bundesjustizministerium nun auf den Weg bringen will. Ziel des Vorhabens ist es, ein einfaches, einheitliches Verfahren für eine Änderung des Personenstandseintrags ohne Begutachtungen und Fremdbestimmung zu schaffen.  

Nach den neuen Papieren erfolgen in den Jahren 2017 und 2018 die geschlechtsangleichenden Operationen. Sie bekommt auch eine neue Geburtsurkunde, in der steht, dass sie als Laura geboren worden ist. Die neuen Papiere sind ihr wichtig, aber sie geht nicht so weit, dass sie das alte Leben als Dieter vergessen will. „Das gehört ja zu mir, es sind einfach zwei Leben, die ich habe.“ Dieses zweite Leben fühlt sich endlich richtig an, „wie ein Schmetterling, der aus der Verpuppung geschlüpft ist.“

Laura Schaldach in ihrem Wohnzimmer.

Laura Schaldach fühlt sich „wie ein Schmetterling, der aus der Verpuppung geschlüpft ist.“

Diesen Schmetterling sehen offenbar auch andere Menschen: Aus dem mürrischen Dieter ist die sanfte Laura geworden. „Diese veränderte Ausstrahlung kann man sogar auf Bildern erkennen. Zu sehen ist ein sehr liebenswerter und freundlicher Mensch mit strahlendem Gesicht“, sagt Gisela. „Mit dem Outing bin ich zu einer sehr selbstbewussten Frau geworden und war endlich ganz ich selbst. Ich habe mich ja oft hinter dem grantigen Mann-Gehabe versteckt“, sagt Laura rückblickend.

Ihr wichtigster Rat: Rechtzeitig Eizellen und Spermien einfrieren lassen

Natürlich wäre sie gerne schon früher im richtigen Leben angekommen, aber für sie gibt es auch etwas Gutes an den vielen Jahren als Mann: „Wenn meine Eltern mich damals ernst genommen hätten, hätte man mich sicher in die Psychiatrie gesteckt. Außerdem hätte sie nie eigene Kinder bekommen, wenn ich schon früher zur Frau geworden wäre. Das ist mein Glück.“ Ihr wichtigster Rat an alle transsexuellen Menschen lautet daher, sich rechtzeitig Eizellen oder Spermien entnehmen und einfrieren zu lassen, damit die Fortpflanzung gesichert ist. Auch sollte die Pubertät ihrer Meinung nach abgeschlossen sein, weil es in dieser Zeit noch viele Konflikte mit der eigenen Person geben kann. Hat man sich zum Wandel entschlossen, findet sie es sehr wichtig, in Kleidung, Körpersprache und Stil eindeutig weiblich zu erscheinen: „Sie können nicht mit einem Vollbart durch die Gegend laufen und sagen: Ich bin jetzt Frau. Da stimmt etwas nicht.“

Für sie ist ihr jetziges Leben als Frau genau richtig. Anfeindungen hat sie so gut wie keine erlebt, auch als Paar haben die beiden Frauen die Wandlung gut überstanden. Das ist nicht selbstverständlich, wie Laura aus der Selbsthilfegruppe TX Köln weiß: „Wer in ländlicheren Gegenden lebt, wird nicht so einfach akzeptiert wie hier in Köln. Zudem haben viele nach ihrem Outing eine Trennung erlebt.“ Gisela kann das verstehen, denn für Angehörige ist es nicht leicht, wenn der Partner plötzlich das Geschlecht wechselt: „Ich für mich habe den Wandel akzeptiert, aber damals fehlte mir jemand, mit dem ich darüber hätte sprechen können. Sicher gibt es viele Angehörige, die ebenfalls so eine Hilfe brauchen könnten.“

Was würden wohl Dieters Eltern sagen, wenn sie noch lebten und ihren Sohn heute als glückliche Laura sehen könnten? „Manchmal stehe ich am Grab und frage mich genau das“, sagt Laura. Und schiebt gleich die Antwort hinterher: „Sie hätten das nicht akzeptiert.“

Zum Weiterlesen: Laura Schaldach: Die Halbtagsfrau. Mein langer Weg ins richtige Leben, BOD, 323 Seiten, 13,99 Euro

Hier finden Sie Hilfe

TX Köln Selbsthilfegruppe für transgeschlechtliche Menschen mit Präsenztreffen, Telefontreffen, Information und Beratung. Treffpunkt: Bürgerzentrum Engelshof Oberstr. 96 51149 Köln hallo2023@txkoeln.de

Jeweils am ersten Freitag des Monats um 20 Uhr, bitte bis Mittwoch vorher anmelden. Am dritten Freitag im Monat findet das Treffen ebenfalls um 20 Uhr statt, dafür ist keine Anmeldung erforderlich. Weitere Informationen finden Sie auf der Seite www.txkoeln.de

Rubicon Köln Beratung für trans- und intersexuelle Menschen sowie deren Angehörige Rubensstr. 8-10 50676 Köln 0221/27669990 www.rubicon-koeln.de/trans

Beratungstellen in NRW finden Sie auf der Seite www.trans-nrw.de

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