Pfarrer wird zur Pfarrerin„Schon mit drei wollte ich lieber ein Mädchen sein“

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Elke Spörkel im Talar im Garten ihres Hauses. 

  • Fast 50 Jahre dauert es, bis Elke Spörkel sich traut, sich so zu zeigen, wie sie sich ihr ganzes Leben lang fühlt: als Frau geboren im Körper eines Mannes.
  • 30 Jahre arbeitet sie in einer evangelischen Gemeinde – erst als Pfarrer, dann als Pfarrerin. Das tragen nicht alle Gemeindemitglieder mit.
  • Mittlerweile ist sie Seelsorgerin und berät im Auftrag der Kirche transidente Menschen und ihre Angehörigen.

Haldern – Der Tag mit den beiden weißen Hochzeitskleidern ist zu viel für die kleine evangelische Gemeinde in Haldern am Niederrhein. Da übertreibt es Elke Spörkel nach Meinung einiger Mitglieder gehörig. Heiraten in Weiß. Eine Frau. Beide im Kleid. Diesen Tag im Mai vor drei Jahren können viele Gemeindemitglieder nicht nachvollziehen. „Zu egozentrisch. Es geht nur noch um sie und ihre Beziehung.“ „Das kann man doch privat ausleben“, sind nur einige der Kommentare im Ort. Elke Spörkel will ihre Liebe aber nicht privat ausleben, sondern öffentlich machen. Sie macht ihrer Freundin Kirstin, die als Lehrerin arbeitet, einen Heiratsantrag an ihrer Schule. Ein Jahr später heiraten die beiden in Weiß. An diesem Tag wird Elke Spörkel einerseits ankommen und andererseits sehr viel zurücklassen.

Transidente Menschen sehen ihre Veränderung als Geschlechtsangleichung

Elke Spörkel ist transident. Der Begriff wird oft synonym zur Transsexualität benutzt, ist aber etwas allumfassender. Er bedeutet vor allem, dass Betroffene sich in ihrer Identität als zum anderen Geschlecht zugehörig betrachten. Sie fühlen sich falsch in ihrem Körper und sind davon überzeugt, immer schon das andere Geschlecht inne gehabt zu haben. Dementsprechend verstehen transidente Menschen auch ihre Veränderung nicht als Geschlechtsumwandlung, sondern als Geschlechtsangleichung. So wie Elke Spörkel. Sie wurde vor 64 Jahren als Junge geboren und hieß bis vor acht Jahren Hans-Gerd. In ihrem vorherigen Leben war sie zweimal verheiratet und hat sieben Kinder, das jüngste ist 13, das älteste 41 Jahre alt. Elke Spörkel war außerdem mehr als 30 Jahre lang Pfarrer/in in der evangelischen Gemeinde in Haldern mit etwa 1300 Mitgliedern und baute als Polizeiseelsorger/in ein Notfallkonzept für Kriseneinsätze am unteren Niederrhein auf.

„Nur um meinem Vater zu gefallen, habe ich angefangen, Fußball zu spielen“

Fast 50 Jahre dauert es, bis Elke Spörkel sich traut, sich so zu zeigen, wie sie sich ihr ganzes Leben lang fühlt: als Frau geboren im Körper eines Mannes. „Schon mit drei Jahren habe ich gemerkt, dass ich lieber ein Mädchen sein will. Ich mochte Kleider und habe immer mit Mädchen zusammen gespielt. Nur um meinem Vater zu gefallen, habe ich angefangen, Fußball zu spielen“, erinnert sich Spörkel. Und weiter: „Vor allem in der Pubertät war ich sehr verwirrt, weil ich nicht wusste, was mit mir los ist. Man kannte sich bei dem Thema ja nicht aus und Transsexualität galt als Perversion.“

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Dokumentarfilm über Elke Spörkel von Manuel Rees

"Fürchte dich nicht. Die Geschichte einer transidenten Pfarrerin" heißt der Dokumentarfilm über Elke Spörkel, den der Filmemacher Manuel Rees gedreht hat. Seit 2016 hat Rees Elke Spörkel immer wieder mit der Kamera begleitet, am Anfang noch als Student der Filmakademie Baden-Württemberg. Zu Anfang beschäftigte er sich mit der Frage, "was der Mensch für ein Wesen ist, das die Möglichkeiten besitzt, seinen Körper nach seinen Vorstellungen zu verändern oder der eigenen Identität anzupassen". Was macht es mit einem Pfarrer, sich über Gott zu stellen und den ihm gegebenen Körper abzulehnen? Während der Dreharbeiten entwickelte sich das Thema aber viel weiter. Letztendlich stand vor allem die soziale Rolle im Mittelpunkt.  

Manuel Rees betreibt mittlerweile mit einem Freund die Filmproduktionsfirma Paradoks Filmproduktion und produziert dokumentarische Filme für Kino, Fernsehen und Online.  Den Film über Elke Spörkel können Sie auf der Homepage oder in der WDR Mediathek ansehen. 

Lange Haare, hohe Schuhe, Schminke und Kleider finden lange Jahre in Elke Spörkels Leben nur hinter sehr fest verschlossenen Türen statt. Die erste Frau tut sich damit sehr schwer – die Trennung vollzieht sich langsam und für beide schmerzlich. Für Spörkel wieder einmal der Beweis, dass sie etwas Verbotenes tut. „Bis zu meinem Outing habe ich mich dafür immer geschämt. Als Pfarrer und Familienvater war ich natürlich noch mehr in der klassischen Rolle gefangen. Ich habe mir lange etwas vorgemacht und immer wieder gedacht: Es geht ja doch“, erzählt sie. Aber es geht nicht.

„Pfarrer Spörkel ist in Frauenkleidern gesehen worden!“

Im Jahre 2010 tauchen zum ersten Mal Gerüchte auf: „Pfarrer Spörkel ist in Frauenkleidern gesehen worden!“ Ein solcher Satz macht in dem kleinen Dorf und der Umgebung im Kreis Kleve und Wesel schnell die Runde und hat Folgen: „Einige Menschen wechselten die Straßenseite, wenn ich ihnen entgegen kam, man verweigerte mir den Handschlag und bei einem Gemeindefest bekam ich plötzlich keinen Kuchen mehr“, erinnert sich Spörkel. So kann es nicht weitergehen.

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"Der Pfarrer ist in Frauenkleidern gesehen worden." Dieses Gerücht machte damals in Haldern schnell die Runde. 

„Das war eine schwierige Zeit, in der alles zur Disposition stand: Kann ich meinen Beruf behalten? Stehen die Kinder hinter mir? Eigentlich hatte ich keine Kraft mehr und wollte meinem Leben ein Ende setzen“, erinnert sie sich. Nach einem Zusammenbruch verbringt sie fünf Wochen in einer psychosomatischen Klinik und kann hier zum ersten Mal in ihrem Leben ganz offen als Frau auftreten. „Von der Reinigungskraft bis zum Chefarzt haben mich alle so akzeptiert“, erinnert sie sich. In diesen fünf Wochen ändert sich etwas: Sie möchte nicht mehr nur zuhause hinter geschlossenen Türen als Frau leben. Sie beschließt: „Ich möchte trotz aller Anfeindungen zurück in die Gemeinde kommen, aber öffentlich sichtbar als Frau!“

„Ich hatte solche Angst, ob die Gemeinde mich annimmt“

Zu dieser Zeit ist Dieter Schütte Superintendent im Kirchenkreis Wesel. Er weiß, wie Elke Spörkel sich fühlt und dass sie eine gute Pfarrerin ist. So unterstützt er sie bei ihrer Rückkehr. Sie informieren gemeinsam die Gemeinde darüber, dass der bekannte Seelsorger und Prediger Hans-Gerd nun als Pfarrerin Elke Spörkel leben und arbeiten wird. „Ich hatte solche Angst, wie die Gemeinde das aufnimmt und ob sie mich annimmt“, erzählt Spörkel. Nach den offenen Worten klatschen die Menschen. „Das fand ich sehr seltsam, dass es Applaus dafür gibt, dass man seine Lebensgeschichte erzählt hat. Letztendlich wurde ich so akzeptiert. Das war eine Befreiung“, sagt Spörkel.

Sie nimmt Hormone, die sie weiblicher machen und trainiert regelmäßig ihre Stimme

Nun kommt einiges ins Rollen. Elke Spörkel ist mittlerweile zum zweiten Mal verheiratet, ihre zweite Frau akzeptiert, dass sie zuhause Frauenkleider trägt und kommt damit zurecht. Als Elke jedoch beginnt, nach der Offenbarung vor der Gemeinde ihre Weiblichkeit offener auszuleben, reicht sie die Scheidung ein. Elke Spörkel wird mit der Zeit immer mutiger: Sie nimmt Hormone, die sie weiblicher machen und trainiert regelmäßig ihre Stimme, damit sie nicht mehr so tief klingt. Eine operative Geschlechtsangleichung lehnt sie ab. Immer häufiger zieht sie auch Kleider und Frauenschuhe an, gerne auch mit hohen Absätzen. Nach einem längeren gerichtlichen Verfahren mit zwei umfangreichen psychologischen Gutachten ändert sie 2012 offiziell ihren Vornamen und den Personenstand vor Gericht.

Die Absätze der Schuhe werden höher, die Haare länger, die Kleidung noch femininer

Zwei Jahre lang lebt Elke Spörkel alleine, bis sie schließlich im Dezember 2014 Kirstin kennenlernt. Die beiden verlieben sich sofort ineinander und ziehen nach wenigen Wochen zusammen. An Kirstins Seite traut Elke Spörkel sich, immer weiblicher zu werden. Die Absätze der Schuhe werden höher, die Haare länger, die Kleidung noch femininer. Je mehr sie ihr wahres Ich entfaltet, desto weniger wird sie von einigen Gemeindemitgliedern akzeptiert. Kurz zuvor ist zudem Dieter Schütte als Superintendent in Rente gegangen. Sein Nachfolger als Dienstvorgesetzter ist nicht mehr so uneingeschränkt verständnisvoll. Die Unruhe in der Gemeinde wird immer größer: Manche stören sich daran, dass im Dorf kaum noch über etwas anderes gesprochen wird. Es soll endlich wieder Ruhe in die Kirchengemeinde Haldern kommen, meinen andere.

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„Das Thema wurde einfach zu groß und hat die eher konservative Gemeinde überfordert“, glaubt Spörkel heute. Im Mai 2016 beschließt der Kirchenvorstand, dass man nicht mehr mit Elke Spörkel als Pfarrerin zusammenarbeiten will. Weil sie Beamtin ist, kann man sie jedoch nicht kündigen. Elke Spörkel stimmt schließlich zu, ihre Pfarrstelle nach 30 Jahren aufzugeben und wird einem Krankenhaus und drei Altenheimen als Seelsorgerin zugeteilt. Außerdem unterrichtet sie in Wesel Kranken- und Altenpflegeschüler, von Anfang an als Frau Spörkel. Ihre alte Stelle in der Kirchengemeinde Haldern wird neu besetzt. „Beruflich noch einmal neu anzufangen und aus der Gemeinde raus zu sein ist das Beste, was mir passieren konnte. Haldern war wie ein Käfig, der zu eng geworden war. Ich fühle mich jetzt freier“, sagt sie rückblickend.

Die Enkelin sagt „Ompa“ zu ihr, eine Mischung aus Oma und Opa

Elke Spörkel heiratet ihre Freundin Kirstin im Mai 2017 im Nachbarort Diersfordt, „weil es so weniger Anfeindungen gibt“. Der ehemalige Superintendent Dieter Schütte traut die beiden. Ein Jahr später verlässt das Paar Haldern und zieht um. Die Verletzungen sind nicht vergessen, aber Elke Spörkel wirkt nun angekommen. Ihr ältester Sohn ist stolz auf ihren Mut, die anderen Kinder sind nicht alle durchgehend glücklich mit ihrem Outing, stehen aber alle mit ihr in einem engen und guten Kontakt. Mittlerweile hat sie vier Enkel. Eine von ihnen sagt „Ompa“ zu ihr, eine Mischung aus Oma und Opa.

„Fast jeder im Verein hat schon einmal über Suizid nachgedacht, weil er sich so verloren fühlt"

Auch beruflich geht es voran, das Thema Transidentität wird in der Evangelischen Kirche ernster genommen. 2018 bekommt Spörkel von der Synode den offiziellen Auftrag, innerhalb der Kirche transidente Menschen und ihre Angehörigen zu beraten – ein Auftrag, der in der Katholischen Kirche undenkbar wäre. Auch außerhalb der Kirche macht Spörkel sich für das Thema stark und organisiert den Verein „Transleben Niederrhein“. Die Mitglieder kommen in Nicht-Coronazeiten regelmäßig zum Stammtisch zusammen.

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Elke Spörkel beim Gespräch in ihrem Wohnzimmer. 

„Fast jeder hier hat schon einmal über Suizid nachgedacht, weil er sich so verloren fühlt. Was tun wir Menschen an, wenn wir sie in Schablonen pressen? Wir leben in einer Zeit, die immer mehr in Schwarz-Weiß denkt und Buntes ausgrenzt. Das hatten wir vor mehr als 75 Jahren in der Nazizeit schon einmal“, sagt Spörkel.

Kirche soll die Welt verändern und auch politisch sein

Was es bedeutet, von anderen ausgegrenzt zu werden, weil man anders ist, hat sie in ihrem Leben mehr als deutlich erfahren. Mittlerweile kommt sie gut damit zurecht und sagt: „Mein Ansatz ist, dass Kirche die Welt verändern und auch politisch sein muss. Da kriegt man nicht von allen Seiten Beifall. Es müssen mich nicht alle lieben, sie sollten aber Menschen wie mich tolerieren und akzeptieren. Niemand sollte auf Grund einer Identität oder Herkunft ausgegrenzt und benachteiligt werden. Ich möchte anderen dabei helfen, dass ihr Weg nicht ganz so steinig ist wie bei mir, und dass sie nicht am Leben verzweifeln müssen.“  

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