Frank Castorf am Schauspiel KölnEin letztes Schaumbad, bevor die Bombe fällt

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Szene aus Castorfs Molière-Abend 

Köln –  Wie wilde Tiere, die in Blitzlicht-Fotofallen getappt sind, glotzen die Schauspieler ins Objektiv.  Herausfordernd, blöde, oder mit kaum verhaltener Wut. Beim Spielfilm gilt dieser die vierte Wand durchbrechende Blick als absolutes No-Go. In den Szenen aber, die Frank Castorf seine Darsteller in solchen vor den Augen der Zuschauer verborgenen Druckkammern spielen lässt, herrscht stets die allergrößte Freiheit.

Für „Molière“, Castorfs neuester Arbeit am Schauspiel Köln, hat sein Bühnenbildner Aleksandar Denić im Depot 1 eine solche Kammer hinter einem Quartett riesiger Pappaufstellfiguren bourgeoiser Zeitungsleser gebaut, die empört mit den Augen rollen können.

Hier wird man unter anderem Zeuge eines frivolen Schaumbades in einem üppig dekorierten, mit Fayencen  gekachelten und von Kerzenlüstern  erhellten Boudoir. Nackt räkeln sich Paul Basonga, Justus Maier und Kei Muramoto um die nicht weniger unbekleidete Jeanne Balibar, streiten um die Vorherrschaft der Musik und des Tanzes vor der Fechtkunst; der Text entstammt Molières „Der Bürger als Edelmann“. Sie rubbeln sich die Rücken, tauchen unter und nutzen Bambusstöcke als Schnorchel – es ist, ganz simpel, die perfekte Verkörperung des Lustspiels.

Bruno Cathomas als Molière

Freilich geht es Castorf an diesem fast fünfeinhalbstündigen Abend (inklusive einer dringend benötigten Pause) nicht allein ums galante Vergnügen. Das wird schon in den ersten Minuten deutlich, wenn der Prinzipal Molière in Gestalt von Bruno Cathomas mit seiner bunten Theatertruppe zu den düsteren Klängen von Schostakowitschs achtem Streichquartett einzieht. Das evoziert den Holocaust, zerbombte Städte, stalin’sche Säuberungen. Ganz bestimmt jedenfalls keine Feste am Hofe Ludwigs XIV.

Von denen ist unser Titelheld  – der gerade seinen 400. Geburtstag feiern konnte – denn auch denkbar weit entfernt, er befindet sich auf der Flucht vor dem Schuldturm. Im Provinzexil, nicht anders als der einstige Herr der Volksbühne, dessen späte Wanderjahre allerdings künstlerisch äußerst fruchtbar ausfallen.

Der Dichter im Kleintransporter

Die Theaterkunst, klagt Molière-Castorf im Konzeptproben-Stuhlkreis seiner Schauspieler,  könne ohne die Macht  und deren Gelder nicht existieren. Mit anderen Worten: Sie ist von Anfang an korrumpiert. Seine müde Truppe indes ist schon zum Textlernen zu faul, und so knattert Cathomas am Steuer eines knallgelben Citroën-Kleintransporters davon,  mit stereotyper Bananenwerbung. Und ward nicht mehr gesehen.

Statt sich weiter am Leben des französischen Komödiendichters entlang zu hangeln,  collagiert Castorf Szenen, die keiner chronologischen Ordnung folgen, jedoch samt und sonders das weite Themenfeld Kunst und Macht beackern.

Stalins Schergen

Der bereits mit Schostakowitsch und Textbrocken aus Michail Bulgakows „Das Leben des Herrn De Molière“ angekündigte sowjetische Filter legt sich noch deutlicher über die Inszenierung, als Marek Harloff aus dem Gnadengesuch des Regisseurs Wsewolod Meyerhold zitiert, in dem dieser akribisch die Foltermethoden aufzählt, denen er von Stalins Schergen ausgesetzt worden war – und wider alle Vernunft auf die Güte des großen Diktators hofft. Eine Tour durchs Languedoc ist nicht das Schlimmste, was  einem Künstler passieren, der dem Zentrum der Macht zu Nahe gekommen ist.

Nach der Pause wandert der Blick noch weiter nach Osten:  Kei Muramoto, in Japan geborener Neuzugang am Kölner Ensemble,  spricht, greint und bellt  einen Text des Butoh-Tänzers Tatsumi Hijikata, erst auf Japanisch, dann auf Deutsch. Über seinem Auge ist der Ziggy-Stardust-Blitz geschminkt, auf der Leinwand hinter ihm gleißen Atombomben-Pilze und Bilder aus dem zerstörten Hiroshima, darunter tanzt Jeanne Balibar eine jener ungelenken, zerquälten, gegen westliche Einflüsse und japanische Traditionen aufbegehrenden Choreographien. 

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Muramoto zieht sich rauchend zwischen die Beine einer Arsch-mit-Ohren-Skulptur zurück; blau-weiß-rote Leuchtbuchstaben identifizieren sie als „Arc de Triomphe“. So viel Quatsch muss sein, es wird sogar mit Torten geworfen. Und Molière wird gelegentlich auch gespielt. Etwa von Justus Meier, der in glühenden Worten eine launische, hässliche Geliebte beschreibt, in weißer Unterhose und Overknee-Strümpfen nicht weniger hysterisch sexualisiert als die Castorf’schen Frauen.

Wunderbare Jeanne Balibar

Der Meister hat  Stücke ausgewählt, die man selten auf deutschen Bühnen sieht, das „Stegreifspiel von Versailles“, die „Gelehrten Frauen“ und „Der Bürger als Edelmann“. Die Rolle des lächerlichen Monsieur Jourdain übernimmt Jeanne Balibar, sie lässt sich die Formung der Vokale und den Unterschied zwischen Prosa und Poesie erklären, zeigt stolz ihre Fantasie-Kostümierung als türkischer Gesandter.

Molière hat sich in seiner Ballettkomödie  nicht nur über das aufstrebende Bürgertum, sondern auch über die Gepflogenheiten des Adels und womöglich gar über den Sonnenkönig selbst lustig gemacht: Der leichte Stoff zündelt. Und die Balibar brennt auf der Bühne, tänzelt mal affektiert, mal abgründig zwischen Albernheit und Verzweiflung, man könnte ihr ewig zuschauen.

Doch schließlich rast Cathomas wieder auf die Bühne, Äpfel fliegen vom Dach des Citroën, Herbstlaub fällt vom Bühnenhimmel,  der Dichter expektoriert so gar nicht Corona-konform unter seiner Lockenperücke, nimmt tiefe Züge vom Sauerstoffgerät. Er ist zu spät, es geht schon ans Sterben. Wen die Macht nicht frühzeitig erwischt, den holt die Zeit ein. Ein fordernder, erschöpfender, aber auch unendlich anregender Abend. 

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