Premiere am Schauspiel KölnWenn der falsche Dietmar Bär plötzlich dem echten TV-Kommissar gegenübersteht

Lesezeit 4 Minuten
Soko Tatort
von Nele Stuhler
Regie: Nele Stuhler
 
Regie: Nele Stuhler
Bühne: Marilena Büld
Kostüme: Svenja Gassen
Video: Nazgol Emami
Künstlerische Mitarbeit: Lisa Schettel
Licht: Jan Steinfatt
Musik & Sound: Nils Michael Weishaupt & Max Wutzler
Dramaturgie: Jan Stephan Schmieding
 
Foto: Thomas Aurin

Die Fernsehkommissare tagen, Szene aus „Soko Tatort“ am Schauspiel Köln

Regisseurin Nele Stuhler untersucht mit „Soko Tatort“ im Depot 2 die TV-Krimilust der Deutschen. Unsere Kritik.

Als Polizistin, verrät die Kommissarin der Schauspielerin, habe sie gar kein Interesse daran, dass die Welt besser werde: „Dann habe ich ja nichts mehr zu tun.“ Kontert die Schauspielerin: „Das geht uns am Theater ganz genauso.“

Nele Stuhler, Autorin und Regisseurin aus Berlin, untersucht zusammen mit ihrem sechsköpfigen Ensemble im Depot 2 des Kölner Schauspiels der Deutschen liebstes Fernsehgenre, den Krimi. Bevor nicht alle offenen Fragen polizeilich aufgeklärt sind, kann hierzulande keine Arbeitswoche beginnen. Warum ist das so?

Die Suche nach der Antwort wäre allemal einen Theaterabend wert gewesen. Nele Stuhler will mit ihrer Komödie unter dem allumfassenden Titel „Soko Tatort“ aber noch viel mehr, nämlich die dunkle Beziehung zwischen den TV-Kommissaren, der echten Polizei und dem Strafsystem aufklären. Glotzen, überwachen und strafen, um Michel Foucault zu paraphrasieren.

Der Abend kalauert sich von Meta-Ebene zu Meta-Ebene

Zunächst mal kalauert sich der Abend von Meta-Ebene zu Meta-Ebene: In einer Krimitheatergruppe – sie nennt sich, haha, „Ermessens-Spielraum“ – will niemand im nächsten Stück das Opfer spielen. Als kurz das Licht ausgeht, wie beim Kinderspiel „Mord in der Disco“, hat sich eines gefunden. Aber das spielt nicht, das liegt unbewegt auf der Bühne und ist ernsthaft tot. Was eine ganze Horde von TV-Kommissaren auf den Plan ruft, die Sonderkommission trägt die Namen bekannter Kommissars-Darsteller aus dem „Tatort“: Axel Prahl, Manfred Krug, Martin Wuttke und Nicole Heesters (übrigens als Kommissarin Buchmüller die erste Ermittlerin der ARD-Reihe).

Sie habe eine Menge Berufserfahrung, deswegen sehe sie Situationen klarer, als sie eigentlich sind, prahlt Ines Marie Westernströer – sie ermittelt als „Pia Heinrich“ im Saarbrücker „Tatort“ – frontal zum Publikum stehend und stellt sich noch einmal als Kriminalhauptkommissar Dietmar Bär vor. Ihr gegenüber sitzt am Premierenabend der echte Dietmar Bär.

Soko Tatort
von Nele Stuhler
Regie: Nele Stuhler
 
Regie: Nele Stuhler
Bühne: Marilena Büld
Kostüme: Svenja Gassen
Video: Nazgol Emami
Künstlerische Mitarbeit: Lisa Schettel
Licht: Jan Steinfatt
Musik & Sound: Nils Michael Weishaupt & Max Wutzler
Dramaturgie: Jan Stephan Schmieding
 
Foto: Thomas Aurin

Nikolaus Benda und Ines Marie Westernströer in „Soko Tatort“

„Ich werde noch etwas grummeln beim Abgehen“, konstatiert kurz darauf der Bühnen-Bär, besteigt seinen Kickscooter und grummelt laut hörbar: „Das ist mir hier alles zu kompliziert mit den Realitätsebenen.“

Das ist tatsächlich ziemlich, zum Teil sogar sehr lustig. Wie auch das Spiel mit den Krimi-Klischees. „Du hast wohl ein Privatleben?“, fragt ein Ermittler. „Wenn’s zum Fall passt“, antwortet der Kollege. Sie paradieren, die Grundsituation noch einmal durchkauend, auf und ab. Eine Verdächtige wird vom verhörenden Kommissar gefragt, für welchen Diskurs sie denn stehe: „Wissen Sie, aktuelle Diskurse werden bei uns immer durch einzelne Figuren repräsentiert.“

Dazwischen immer wieder Hinweise, wie lange man noch zu ermitteln habe (der Abend dauert tatsächlich exakt 90 Minuten, wie der „Tatort“), Betonungsübungen anhand des Satzes „Wo waren Sie vorgestern zwischen 20 und 20 Uhr 15?“, und schließlich ein Meta-Geständnis von Nikolaus Benda, zusammengestellt aus Sätzen, von denen man schwören könnte, sie schon genauso zum Krimi-Finale gehört zu haben: „Ich hab gegen den Wagenheber getreten, dass er merkt, dass ich immer noch existiere.“ Die Kamera zoomt immer näher auf Benda. Sein Täter wäre im TV-Kontext völlig überzeugend. Projiziert werden die Live-Bilder jeweils auf einen der beiden, mit Stoff im Blau des „Tatort“-Vorspanns umhüllten, sich nach hinten verjüngenden Räume (Bühne: Marilena Büld).

Hinter dem Tuch aber blickt Stuhler ins fragwürdige Innenleben der Ordnungsmacht. Das reicht vom Verweis auf Chatgruppen oder der Karikatur eines Workshops, bei dem der ehemalige Kommissar Friedhelm Friebe seine Schützlinge den Satz „Seid bitte keine Nazis“ wie ein Mantra wiederholen lässt, über Anrufen der empörten „Mehrheitsgesellschaft“ bei der Polizei, bis zum etwas läppischen quasi-dadaistischen Stück der Krimitheatergruppe, das Sinn und Unsinn von Strafen auslotet, und einem furiosem und sehr viel effektiveren Monolog von Lisa Hrdina zu eben diesem Thema.

Nele Stuhler lässt die Handlung in der Oury-Jalloh-Straße spielen

Der Ton bleibt scherzhaft, frei drehend sprachspielerisch. Dass ein ernstes Anliegen den Text vor sich hertreibt, weiß man allein schon, weil Stuhler ihre Nachforschungen in der „Oury-Jalloh-Straße“ spielen lässt. Der afrikanische Asylbewerber, der 2005 in der Gewahrsamszelle eines Dessauer Reviers unter ungeklärten Umständen verbrannte, funktioniert hier als Chiffre für unkontrollierte Polizeigewalt.

Allein: Lösungen oder auch nur tiefere Einsichten hat der Abend keine zu bieten. Dass man gar keine Polizei mehr brauche, wenn man nur mehr miteinander reden und die Nervigkeit der anderen aushalten würde – das ist inhaltlich dünner als mancher moralisierende Fernsehkrimi. Und überhaupt: Steht die Krimilust der Deutschen wirklich in einer Relation zu ihrer, unserer Obrigkeitshörigkeit? Den Beweis bleibt „Soko Tatort“ schuldig. Um sachdienliche Hinweise wird gebeten.


Text, Regie: Nele Stuhler, Künstlerische Mitarbeit: Lisa Schettel, Bühne: Marilena Büld, Kostüme: Svenja Gassen, Live-Video: Nazgol Emami, Nora Daniels, Musik, Sound: Nils Michael Weishaupt, Max Wutzler, Licht: Jan Steinfatt, Dramaturgie: Jan Stephan Schmieding, mit: Paul Basonga, Nikolaus Benda, Friedhelm Friebe, Lisa Hrdina, Irina Sulaver, Ines Marie Westernströer, nächste Termine: 16., 21. Dezember 2023;   20., 28. Januar 2024, Depot 2, 90 Minuten, keine Pause

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