Mit der Corona-Pandemie hat sich die Hardcore-/Punkszene Kölns ein weiteres Mal neu erfunden. Ein Rückblick auf 40 Jahre Punk – erster Teil: Die Jahre 1980–2005.
Punk in Köln„Viele haben auf der Straße gelebt und Heroin gedrückt“

Konzertflyer und Fotos von Tim Stegemann
Copyright: Tim Stegemann / Privat
„Mitte, Ende der 80er war die Kölner Szene sehr asig. Vor allem die Punk-Szene war multi-toxisch, viele der Leute haben auf der Straße gelebt und Heroin gedrückt. Die Szene hat mich fasziniert, aber auch abgeschreckt. Selbstzerstörung fand ich scheiße.“ Vor der Asimmetric Bar in Ehrenfeld haben es sich an diesem noch frühen Augustabend ein paar versprengte Leute bequem gemacht, Mac, Nils und ich gehören dazu. Wir sind hier, um über Punk zu sprechen, über Hardcore, über den Wandel einer Szene, die sich zuletzt seit Corona in Köln einmal mehr neu aufgestellt hat. Bereits 1981 entgegnete die legendäre britische Band The Exploited auf den Abgesang an den 77er-Punk trotzig „Punks not dead“, aber wie lebte und lebt dieser eigentlich in Köln weiter?
Heute heißen die Läden, in denen sich die Szene trifft, nicht mehr Rhenania oder Bürgerhaus Stollwerck, sondern Castell, Quattro Cultura, die Abenteuerhallen und der Kulturhof in Kalk. Sogar im Tsunami Club in der Südstadt, in dem sonst Indie, Pop und Post-Punk läuft, lassen sich mittlerweile HC/Punk-Shows erleben. Wer steckt dahinter – und wie kam es dazu?
„Der große Bruder meines damals besten Freundes hat ‚Sounds‘ gelesen, die haben wir uns dann natürlich auch geholt und uns von Review zu Review gehangelt, um dann beim Saturn und später auch mal bei Rock-O-Rama Platten zu kaufen. Und wir haben natürlich Tapes getauscht, denn wir hatten nicht so viel Kohle, um uns ständig Platten zu holen.
„Black Flag war für mich die Offenbarung. Danach war die Welt eine andere“
„Irgendwann kam dann die ‚Damaged‘, die erste Black Flag heraus, das war für mich die Offenbarung, das war für mich ein absoluter Gamechanger. 1983 haben Black Flag im Stollwerck gespielt und ich war da. Danach war die Welt für mich eine andere“, Macs, Jahrgang 1967, Punk-Sozialisation und Erweckungsmoment, ist typisch für seine Generation. Konzerte wie das von Black Flag im Stollwerck oder andere, etwa im Rocktunnel, blieben jedoch selten, wie für den Plattenkauf reichte dafür das Geld meistens nicht aus. In den 80ern traf man sich auch deshalb vor allem privat, in Kneipen oder davor. Manchmal ging es auch in andere Städte, in den Ruhrpott, natürlich nach Düsseldorf oder rüber nach Holland. Meist jedoch, traf man auf der Straße, hörte Musik, fuhr Skateboard, auch Fußball wurde gespielt.
„Das spielte sich oft privat hier in Ehrenfeld ab, zum Beispiel in der Marienstraße, da waren besetzte Häuser, da war einiges los. Und natürlich in der Stadt selber, im Zülpicher-Viertel, da gab es das Treibhaus, da ist heute das Museum drin, es gab das ‚Comic‘, das ist auf der Kyffhäuserstraße gewesen, da ist heute ein Gamer-Laden drin, das ‚Blue Shell‘ gab es natürlich auch schon. Aber da bin ich nicht reingegangen, die waren mir zu cool und das fand ich scheiße. Später kam das ‚Station‘ dazu, Ende der 80er. Und wir haben auf der Straße getrunken“, etwa auf dem Mäuerchen vor dem Station, erinnert sich der 58-jährige, der heute als freier Journalist arbeitet. Vor allem aber in ‚Papas Pizzaladen‘ habe man sich getroffen, erzählt Mac, der war auch auf der Kyffhäuser und „unser Laden“. Denn da kannte man jemanden – und der hatte immer einen Ghettoblaster auf der Theke stehen. „Wenn du ein Tape mitgebracht hast, hieß es ‚Komm schmeiß rein‘ und die Flasche Gilden kostete ‘ne Mark.“

Henry Rollins, Sänger der Band Black Flag, im Jahr 1983.
Copyright: UCLA Library Special Collections, Henry Rollins of Black Flag, 1983, CC BY 2.0
„Punk war die Antwort für mich“
Punk, ist und war schon immer mehr als ein Musik- oder Kleidungsstil, Punk war Haltung, Zufluchtsort, ein Lebensentwurf.Auch für Mac, der sich schon immer als Außenseiter empfand. Ein Scheidungskind mit Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion, habe damals in den 1960ern auf dem Dorf schon ausgereicht, um abgestempelt zu werden.Nach der Grundschule wechselte er auf das Apostelgymnasium in Lindenthal, in „eine reine Jungenklasse, wo nur Anwaltssöhne, Richtersöhne, solche Leute halt, waren.“Mac und die zwei, drei Mitschüler, die wie er aus einfachen Verhältnissen kamen, hätten in der Schule keinen besonders hohen Stand gehabt.
„Das hat mich wütend, aber auch hilflos gemacht. Und Punk, das war die Antwort für mich. Damit hatte ich etwas Exklusives, da können die nicht mitreden, da waren die anderen außen vor. Im Gegenteil, da waren sie sogar der Feind, nicht ich. Und gleichzeitig fand ich mit der Musik etwas Aggressives, wo ich meine Wut habe herauslassen konnte.“
„Es gab immer einen Mob, der einem aufs Maul hauen wollte“

Konzertkarten und Fotos von Tim Stegemann
Copyright: Tim Stegemann / Privat
„Als ich zurückkam, wollte ich nur noch Punk sein, ausbrechen, nicht mehr zu Hause, frei, betrunken sein.“ Anfang der 1990er kehren der heutige Theaterschauspieler und -pädagoge Tim, seine Eltern und sein mehrfach spastisch-gelähmter Bruder aus dem Ausland nach Köln zurück.
Tims Vater arbeitet für Bayer als kaufmännischer Angestellter in leitender Funktion in Kolumbien und Pakistan, nach der Geburt der Söhne in Schlebusch bereist die Familie jahrelang Asien und Südamerika. Als die Kinder im Teenageralter sind, geht es wieder zurück nach Köln. „Es gab das ‚Jambaleia‘ in Mülheim, da ging es richtig zur Sache, da gab es immer Schlägereien – aus politischen, aber auch zwischenmenschlichen Gründen. Da war das Alkohollevel immer sehr hoch.“
Als Teil der Konzertgruppe ‚Kilometer 692‘ bucht Tim heute in Mülheim Konzerte und veranstaltet einmal im Jahr das Festival ‚Müllem Mon Amour‘ auf der Schäl Sick. Früher, sei es in den Mosh-Pits aggressiver zugegangen, oft sei man mit kaputten Hosen oder blutigen Nasen nach Hause gegangen.
Ob aufgrund des Alkoholkonsums, aus politischen, persönlichen Gründen oder einfach der Lust an Schlägereien, „wenn man sich irgendwo versammelte, gab es immer irgendeinen Mob, der einem auf die Fresse hauen wollte – oder man wollte selber jemandem aufs Maul geben.“
Die meisten Konzerte sieht Tim im Kunsthaus Rhenania am Rheinauhafen. „Damals gab es noch kein Geländer an der Terrasse, man musste immer aufpassen, dass man nicht in den Rhein fällt.“ Auch das Bürgerhaus Stollwerck bleibt in den frühen 90ern wichtig, nicht zuletzt als politisches Symbol der Hausbesetzerszene. Auch Tim war viel in Düsseldorf unterwegs, in der Kieferstraße etwa, zum Beispiel im AK47. Die Kölner Musikszene sei Anfang / Mitte der 90er schon elektronischer gewesen, erinnert er sich.
Hardcore hat die Leute aus ihrem Dreck geholt
Mac, der mehr als 20 Jahre die Radioshow ‚Hellfire‘ auf Köln Campus gemacht hat und heute als Co-Host der Sendung Domcore auf 674.FM die Hardcore-Szene des Rheinlands eng begleitet, findet im Hardcore früh die positive Form von Aggressivität, die er in der Punk-Szene vermisst. „Ich fand es sehr ansprechend am Hardcore, dort etwas konstruktives vorgefunden zu haben, etwas, was die Leute aus ihrem Dreck herausgeholt hat.“
Das musikalische Niveau sei zudem höher gewesen, die Szene politisch aktiver. „Ich bin ja noch im Kalten Krieg aufgewachsen, die ganze Reagan-Zeit, die Ära von Kohl, von Strauss, die Anfänge der Anti-Atom-Bewegung, der Friedensbewegung, all das hat uns in der Jugend bewegt. Im Punk passierte mir in der Hinsicht zu wenig und das, was passierte, war mir zu platt.“
Hoyerswerda sei weit weg gewesen, erzählt Tim „ging uns aber alle an. Ich erinnere mich an ‚Arsch huh, Zäng ussenander‘, die Zeit der Lichterketten.“ Er sei damals auch mit der Antifa unterwegs gewesen „aber ich war noch jung, da hat man so Sachen gemacht wie die ‚National-Zeitung‘, so hieß die, wenn ich mich recht erinnere, wirklich, die in manchen Kiosken in der Auslage lag, geklaut und später feierlich in irgendwelchen Hinterhöfen verbrannt. Oder Steine an Kneipen geworfen, in denen Nazis saßen.“
Die Hardcore-Szene sei von den Punks zuerst noch belächelt worden, erinnert sich Mac, bis die Leute dann festgestellt hätten, dass dort musikalisch auch geballert werde. Dennoch bleibt Punk Punk und Hardcore Hardcore, man bleibt unter sich – erst viele Jahre später sollten Dogmen eingerissen werden, sich Szenen mischen.
„Die 90er waren die Zeit, in denen die Major-Label alles gesignt haben“

Der Mosh-Pit während einer Show der Hardcore-Band Another Breath in Essen.
Copyright: Torben Utrecht / Allschools Magazine
„Die 90er, das war ja die Zeit wo Major-Labels alles gesignt haben. Auch eine Hardcore-Band wie Sick of it All. ‚Scratch the Surface‘ kam ja bei East West, das zur Warner-Gruppe gehörte – das war die erste Hardcore-Platte, die ich gefeiert habe.“ René, der heute das ‚Forced Narrative‘-Fanzine herausgibt, kommt Mitte der 90er mit Hardcore in Berührung. Neben Grunge und der Art von Metal, der auf Roadrunner Record erscheint, oder der Crossover-Band Rage Against the Machine, deren Sänger Zack de la Rocha einst Frontmann der kurzlebigen kalifornischen Hardcore-Band Inside Out gewesen ist, laufen bei René, vor allem Vertreter des sogenannten New York Hardcore (NYHC). Dieser bildet sich ab Anfang der 80er im Big Apple aus der dortigen, schon immer umtriebigen Punk-Szene heraus. Deren Vertreter lassen deutliche musikalische Bezüge zum englischen Oi!-Punk und später zum Metal in ihren Stil einfließen. Agnostic Front, Madball, Biohazard, Gorilla Biscuits oder eben Sick of it All lassen sich diesem Subgenre zurechnen, das in Rivalität zur Boston Hardcore Szene stand und deren Bands zuweilen der Vorwurf anhaftete Gewalt, Sexismus und rassistisches Gedankengut zu transportieren.
Wie viele andere zieht René, Anfang der Nullerjahre für das Studium nach Köln und fängt dort an für das Onlinemagazin Allschools, später das FUZE aus dem Ox-Verlag, dem Verlag hinter dem gleichnamigen Punk-Fanzine aus Solingen, zu schreiben. Die Szene, die er vorfindet, ist übersichtlich und nicht nur nach Außen geschlossen.
„2003 gab es hier schon eine kleine Hardcore-/Punkszene, das waren vielleicht fünf, sechs Bands, so Leute wie Cobretti, die was gemacht haben, die auch Konzerte veranstaltet haben, so Proberaum-Konzerte. Viele Leute sind damals zum Studieren hier hingekommen und hatten Bock, was zu organisieren. Die Zugezogenen waren noch mal anders vernetzt, die Kölner hatten ihre eigene Bubble.“

René vom Forced Narrative-Fanzine hat bei einer Show im MTC das Mikrofon ergriffen.
Copyright: Torben Utrecht / Allschools Magazine
„Die Zugezogenen waren noch mal anders vernetzt“
Hin und wieder finden Konzerte im Bürgerzentrum Ehrenfeld statt, später ab Anfang der 2010er Jahre auch im AZ Köln, das damals, wie zukünftig wieder, in Kalk beheimatet ist. „Auch Emobands haben dort gespielt, das war alles Do-It-Yourself. Größere Shows fanden im Underground statt, gerade mit internationalen Acts. Cobretti, Kingdom, Deny Everything, The Ice, mit dem Album ‚Touching the Void‘ – rückblickend ein wichtiges Album mit Bezug auf End-80er und 90er NYHC, aber halt auch klassischen Rock-Anleihen – My Defense, das waren so Kölner Bands aus dieser Zeit.
My Defense waren aber glaube ich ein bisschen später dran. Tendenziell haben die Bands aus Köln aber eher melodischen Hardcore gespielt.“ [...]
Teil 2/3 der Serie erscheint am 09. Oktober.