Rautenstrauch-Joest-MuseumAustralische Indigene erzählen in Köln ihre Geschichten

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Die Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt fünf Personen der australischenWarlpiri, auf einem Zaun sitzend, sie sind von zwei Warlpiri-Künstlerinnen mit tradierten Mustern übermalt worden.

Indigene Übermalungen: „Let's Go That Way“, restricted with Margaret Napangardi Lewis, Marissa Napanangka

Die Ausstellung „Revisions“ zeigt Kunst der Warlpiri aus Zentralaustralien und eröffnet einen radikal anderen Blick auf Menschen, Land und Gesellschaft. 

Als die Weißen mit ihren Schiffen kamen, dachten sie, sie hätten das Land entdeckt. Dachten, es reiche, ihre Fahne im Wind wehen zu lassen. „Sie konnten nicht begreifen, dass wir unser eigenes Weltbild, unsere eigene Kultur haben“, sagt Otto Jungarrayi Sims in der Videoinstallation „The True Story“.

Captain Cook kartierte den Himmel und das Land, und die, die ihm folgten, zerschnitten es mit willkürlichen Linien. Doch die Warlpiri in Zentralaustralien und die anderen First People des Kontinents hatten – und haben – ihre eigenen Karten, nur eben nicht auf Papier.

Und die erzählen ihre eigenen Geschichten, wie sie seit Jahrtausenden über das Land zogen, wie sie seine Orte und Quellen bewahrten und auch ihre Sprache und ihre kulturellen Praktiken. Bevor die Europäer kamen, war die Gesellschaft der First People die am längsten ununterbrochene Kultur der Weltgeschichte.

Patrick Waterhouse musste für Luftaufnahmen vom Warlpiri-Gebiet Satellitenzeit kaufen

Die Warlpiri wohnen im Northern Territory, einem der abgelegensten und lebensfeindlichsten Gebiete Australiens, so groß wie Deutschland. Sie gehörten zu den letzten indigenen Bevölkerungsgruppen, die kolonisiert wurden.

Als der Fotograf Patrick Waterhouse 2014 zum ersten Mal dorthin reiste, brachte er noch mehr Bilder, Karten, Flaggen, Ölgemälde, Comics und andere Artefakte aus Sammlungen und Auktionshäusern der Kolonialisten mit, „ein Museum im Koffer“, nennt es der Brite nur halb im Scherz. Ja er kaufte sogar Satellitenzeit, um hochauflösende Luftbilder des Landes anfertigen zu lassen, das Googles all-sehendes Auge damals noch nicht erfasst hatte (inzwischen aber schon). Dies alles jedoch mit der Idee, die europäische Sicht zu revidieren, beziehungsweise, sie um „fehlende Informationen zu ergänzen“, wie es Waterhouse in der Bibliothek des Rautenstrauch-Joest-Museums beschreibt.

Die Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt vier Personen der australischen Warlpiri, die einen hohen Maschendrahtzaun erklmmen, sie sind von vier Warlpiri-Künstlerinnen mit tradierten Mustern übermalt worden.

This Way Up, restricted with Melinda Napurrurla Wilson, Polly Anne Napangardi Dixon, Kirsten Nangala Egan and Delena Napaljarri Turner

Das von Warlpiri-Künstlerinnen und -Künstlern im Alter von 16 bis 90 Jahren in Zusammenarbeit mit Waterhouse übermalte, überschriebene, ausgeschnittene oder anderweitig bearbeitete Material ist jetzt unter dem Titel „Revisions“ in dem Kölner Museum zu sehen. Kuratiert wurde die Ausstellung in den Warlukurlangu Art Centres in Yuendumu und Nyirripi, rund 300, beziehungsweise 400 Kilometer westlich von Alice Springs, ohne europäische Interventionen.

Mithilfe ihrer traditionellen Technik der Punktmalerei, jede und jeder mit den eigenen Mustern und Symbolen, verwandelten die Warlpiri vermessenes Gebiet zurück in „Dreaming Sites“, geheime oder geheiligte Stätte, ergänzten gerade Straßen durch verschlungene Traumpfade — Songlines — die in mündlicher Überlieferung, als Gesänge, von Generation zu Generation weitergegeben werden. Teile der Bilder ließen sie allerdings frei, die Revision sollte keine vollständige sein: Es entstanden Hybride, Unterhaltung zwischen zwei Wissenssystemen.

Doch wo die Weißen bis heute nur einen Felsen sehen, womöglich einen, der einer Straße im Weg steht, erkennen die Yapa, wie sich die Warlpiri auch nennen, Jukurrpa – ein Wort, für das es keine einfache Entsprechung gibt. „Jukurrpa verläuft entlang von Wegen und durchzieht das Land“, heißt es in der Ausstellung. „Wenn du eine Sanddüne siehst, ist das ein Teil der Songline; ein Baum, der in einer Grasebene steht, ist ein Teil der Songline ... Jukurrpa wandert über die Oberfläche der Erde ... An einer anderen Stelle wird sie sich mit einer anderen Geschichte kreuzen, den Boden durchbohren und dann wieder fortfahren. Jukurrpa hat alles geformt. Jukurrpa verrät, wie Pflanzen entstanden sind und wachsen.“

„Wir leben heute zwar ein modernes Leben“, sagt Sabrina Napangardi Granites, eine der Künstlerinnen, die mit nach Köln gereist sind, „wir haben Mobiltelefone, wir haben Autos. Aber meine Großeltern, die nichts hatten, sagten mir, dass ich unsere Geschichten am Leben erhalten müsse.“ 1989 gehörte ihre Mutter zu einer Künstlergruppe, die ein 40 Quadratmeter großes Bodengemälde im Pariser Centre Pompidou installierten, heute hat sich die Kunst aus den Art Centres der Warlpiri etabliert und verkauft sich gut, es ist ein Lebensunterhalt.

Reaktionen auf das Fotografierverbot

Viele der in Köln gezeigten Arbeiten erstarren denn auch nicht in mythologischer Ehrfurcht, der Umgang mit dem kolonialen Erbe ist durchaus spielerisch, zumindest sind es die Lösungen, die Patrick Waterhouse und die indigenen Kunstschaffenden für manches verzwickte Darstellungsproblem gefunden haben: Auf den besitzergreifenden Blick der anthropologischen Fotografie, der sich nicht um die kulturellen Vorschriften der lokalen Bevölkerung kümmerte, unverblümt heilige Stätten oder Verstorbene zeigte, reagieren viele Gemeinschaften heute mit Fotografieverboten und beschränktem Zugang zu den historischen Aufzeichnungen. Was sie andererseits aber daran hindert, an der nun zwangsläufig gemeinsamen Geschichte des Landes teilzunehmen.

Der Fotograf Waterhouse kommentiert diesen Zwiespalt, in dem er Mitglieder der Warlpiri im Schattenriss ablichtet — und die Bilder dann in die Hände der Porträtierten gab, die ihre Silhouetten mit den Mustern ihrer persönlichen Überlieferung füllten: Was für Außenstehende wie anonymisiert erscheint, sind für die Warlpiri leicht erkennbare Individuen.


„Revisions – made by the Warlpiri of Central Australia and Patrick Waterhouse“ ist bis zum 7. April 2024 im Rautenstrauch-Joest-Museum zu sehen. Dieses Wochenende sind drei Warlpiri-Künstlerinnen anwesend und führen auch durch die Ausstellung. Alle Informationen zum Rahmenprogramm finden Sie hier.

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