Robert De Niro wird 80Der Mörder in uns und der größte Schauspieler seiner Zeit

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Ein Mann mit Sonnenbrille sitzt am Steuer eines Taxis.

Robert De Niro als Travis Bickle im Film „Taxi Driver“. De Niro wird am 17, August 80 Jahre alt.

An diesem Donnerstag wird Robert De Niro 80 Jahre alt. Über einen Schauspieler, der vielleicht nur in den Träumen seiner Figuren existiert.

Wenn Paul Schrader, der Autor von „Taxi Driver“, recht hat, dann gibt es Robert De Niro nicht – oder allenfalls in der Fantasie von Travis Bickle, Jake La Motta und all den anderen Figuren, denen De Niro im Lauf seiner 80 Lebensjahre eine traumähnliche, gleichermaßen überlebensgroße wie unleugbar reale Gestalt gegeben hat. „Bobby lebt nur, wenn er in der Haut eines anderen steckt“, sagte er über den größten Filmschauspieler seiner Zeit, was zwar das dümmste Klischee ist, das man über einen Method Actor verbreiten kann, aber die Sache dann doch wieder trifft.

Robert De Niro lebt nur, wenn er in der Haut eines anderen steckt.
Paul Schrader, Drehbuchautor und Regisseur

Robert De Niros große Kunst lässt sich nicht aus der akribischen, zuweilen manischen Vorbereitung auf seine Rollen erklären. Das haben andere ebenfalls getan, auch wenn er der erste war, der sich für die Leinwand einen Wanst anfraß. Sie liegt eher in der Hingabe, mit der sich De Niro Figuren suchte, die wirkten, als seien sie eben von der Straße auf die Leinwand gestiegen, um sich langsam, aber unaufhaltsam vor unser aller Augen zu zerstören. Man sieht diese tickenden Zeitbomben weniger als Zuschauer denn als Geisel an, im Rückblick ergeben sie eine geplante oder wenigstens schlüssige Folge von Tod, Wiedergeburt und Tod: Johnny Boy, der verrückte Kleinganove aus „Mean Streets“, musste sterben, damit Travis Bickle leben konnte, und aus dessen blutigem Fiebertraum erwachte der brutale, hilflose, am Ende geschlagene Boxer Jake La Motta. Es erscheint beinahe unredlich, den Menschen dahinter, Robert De Niro, in dieses Gruppenbild zwingen zu wollen.

Ein kluger Kritiker hat mal geschrieben, Schauspielen sei wie das echte Leben – nur anders. Robert De Niro brachte in den 1970er Jahren das „echte Leben“ nach Hollywood, mit Figuren, die anders waren. Er spielte Gangster, Mörder und Verlorene, oft und am eindrucksvollsten für Martin Scorsese, lauter Einzelgänger und Ausgestoßene einer Gesellschaft, deren Regeln und Sprache sie entweder nicht akzeptieren oder nicht verstehen. Wenn er Travis Bickle vor dem Spiegel mit sich selbst reden lässt („Are you talkin‘ to me?“), sind dessen Verbindungen zur äußeren Welt längst gekappt. Was bleibt, ist die Gewalt, der einzige Ausweg aus der Sprachlosigkeit.

Wenn er wollte, konnte De Niro auch ein gewöhnlicher Schauspieler sein

Ein scheinbar ganz anderer Charakter war Johnny Boy, der kleine Ganove aus „Mean Streets“, der die Mafia zu übervorteilen versucht. Er quasselt ohne Unterlass, als wolle er sich vorsätzlich um Kopf und Kragen bringen, und ist weder durch gutes Zureden noch Drohungen zu erreichen. De Niro zeigt diese Figur, die durch ihn zum Archetypus des Gangsterfilms wurde, als Opfer einer unbändigen Wut – auf die Verhältnisse und auf sich selbst. Wie sollte Johnny Boy jemand verstehen (und retten können), wenn er sich selbst und seinen selbstzerstörerischen Antrieb nicht versteht?

Vermutlich hat sich De Niro bald selbst gefragt, was ihn antreibt und wie lange er in seinen Außenseiterrollen überleben kann. Jedenfalls suchte er schon damals Auswege aus dem Zyklus von Tod und Wiedergeburt, oft erfolgreich, wie als junger „Pate“, für den er sich die Manierismen Marlon Brandos so gekonnt zu eigen machte, dass er umgehend zu dessen Erbe erklärt wurde. Seine Hauptrolle in „Deer Hunter“ ist eine ferne Erinnerung an John Wayne, ein Westernheld, den es aus einer ehemals heilen Welt nach Vietnam verschlägt. In diesen Filmen wirkt De Niro nicht mehr, als käme er geradewegs von der Straße, sondern aus einem Filmstudio. Wenn er wollte, konnte er auch einfach ein Hollywood-Schauspieler sein – wie das Leben, nur anders.

Ein Boxer tänzelt im Ring, er trägt einen Mantel mit Kapuze.

Robert De Niro als Jake La Motta in Martin Scorseses „Raging Bull“ (1980)

Sein „wilder Stier“, der Boxer Jake La Motto, scheint dann die eine Reinkarnation zu viel gewesen zu sein. Robert De Niro lässt uns in jeder Szene die Unsicherheit und Angst dieses Mannes spüren, selten wurden die Pathologie des starken Geschlechts und der Gewaltexzess als sexuelle Ersatzhandlung dermaßen schonungslos vorgeführt. In einer dreimonatigen Drehpause brachte sich De Niro auf das Gardemaß eines abgehalfterten, aufgedunsenen Ex-Champions – ein legendärer Kraftakt, von dem er sich im Grunde bis heute zu erholen scheint.

Es war schwer vorzustellen, wie es nach diesem triumphalen Jahrzehnt für De Niro weiter und vor allem höher hinausgehen sollte. Seine Rollen wurden beliebiger, seine Hingabe schien zu schwinden - sieht man von Scorseses unheimlichem „King of Comedy“ einmal ab. Er suchte nach anderen Möglichkeiten, gastierte in Komödien, Melodramen und Romanzen, mimte Al Capone in „Die Unbestechlichen“ und den Teufel in „Angel Heart“. Einzig Martin Scorsese schien ihn noch zu erreichen: Als Mafioso in „Goodfellas“ war er fies, paranoid und unberechenbar (als hätte Johnny Boy überlebt und Karriere gemacht) und sein Rächer in „Kap der Angst“ eine erschreckend lustvolle Cartoon-Version von Travis Bickle. Auch in den erfolgreichen „Reine Nervensache“-Filmen machte De Niro das Beste aus der Parodie seines früheren Selbst.

In einer Hinsicht blieb sich De Niro treu: Er drehte und drehte, vielleicht, um seinen Ruhm zu versilbern, vielleicht, weil er sich danach sehnte, in der Haut eines anderen zu sein. Und mit dem richtigen Drehbuch und Regisseur war er immer noch exzellent – am besten in Quentin Tarantinos „Jackie Brown“.

An diesem Donnerstag wird Robert De Niro 80 Jahre alt. Und niemand kann erahnen, wie es sich anfühlt, diese Fantasiefigur zu sein.

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