Neuer Roman des „Blackout“-AutorsKann Science-Fiction die Zukunft voraussagen?

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Marc Elsberg sitzt auf einem Sessel, neben ihm sein Buch auf einem Tisch. Er trägt ein weißes Hemd.

Marc Elsberg stellte bei der lit.Cologne Veranstaltung 2021 sein Buch „Der Fall des Präsidenten“ vor.

Marc Elsberg („Blackout“, „Zero“) ist mit seinen Büchern oft der Zeit voraus. Auf der lit.Cologne stellt er seinen neuen Roman „C° - Celsius“ über die Klimakrise und einen beängstigenden Versuch, sie zu lösen, vor.

Der neue Roman „C° - Celsius“ von Marc Elsberg beginnt mit etwas, das niemand hat kommen sehen: UFOs. Diese geben aber nicht den Startschuss für eine Invasion aus dem All, sondern für ein chinesisches Geoengineering-Programm. In einer groß angelegten Pressekonferenz, die symbolträchtig vor einem stark geschrumpften Gletscher im Himalaya stattfindet, erklärt die chinesische Regierung: Ihr habt den Klimawandel gesehen, ihr habt nicht gehandelt, also handeln wir.

Dafür verstreuen chinesische Drohnen in großer Höhe Partikel, die die Sonneneinstrahlung auf die Erde abschwächen und so die Welt abkühlen wie nach einem Vulkanausbruch. Besonders der Westen reagiert verärgert und hadert mit der richtigen Reaktion.

Derweil erlebt eine der Romanfiguren diese Flugobjekte und das chinesische Weltrettungsprogramm wie ein gewaltiges Déjà-vu. Die Drohnen erinnern den Schauspieler Tony Vermaak an Ausschnitte eines geheimen Films, in dem er vor sieben Jahren mitgespielt hat. Der Film ist nie an die Öffentlichkeit gelangt, die Beteiligten wurden zu Schweigen verpflichtet und kannten nur die Szenen, an denen sie selbst beteiligt waren. Trotzdem scheint eben jener Film sieben Jahre später zur Realität zu werden, als hätte der Regisseur die Zukunft gesehen.

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Ridley Scott glaubte an die prophetischen Fähigkeiten guter Science-Fiction

Es ist ein spannender Kontrast: Da ist die fehlende Weitsicht der Staatengemeinschaft im Kampf gegen den Klimawandel und auf der anderen Seite ein fiktives Werk, das die Zukunft vorausgesagt hat. Dieses Gefühl, dass die Fiktion der Realität voraus ist, ist keine Erfindung von „C° - Celsius“. Besonders Science-Fiction-Literatur wird schon lange auf ihr Potenzial hin gelesen, gegenwärtige Tendenzen in die Zukunft weiterzudenken. Ridley Scott etwa produzierte 2011/12 eine ganze Serie mit dem Titel „Prophets of Science Fiction“, in der Prognosen von Sci-Fi-Giganten wie Isaac Asimov, Arthur C. Clarke, H.G. Wells und Robert Heinlein beschrieben wurden.

Asimov selbst hat mit seinem Aufsatz „How easy to see the future!“ einen ähnlichen Gedanken verfolgt. Sci-Fi-Autoren seien immer wieder in der Lage gewesen, das „Unvermeidbare“ vorauszusagen, das Genre werde trotzdem als Literatur der Weltflucht verschrien. Damit wurde den Texten sicher großes Unrecht getan. Durch den Versuch, die Gegenwart weiterzudenken oder satirisch zuzuspitzen, wurden große Werke der Weltliteratur verfasst. Aldous Huxleys „Brave New World“ gehört heute vielerorts zur Schullektüre, der „Big Brother“ aus Orwells „1984“ wurde zum Synonym für Massenüberwachung.

Isaac Asimov sagte eine religiöse Opposition vor der ersten Mondlandung voraus

Trotzdem ist Prophetie ein zu großes Wort für diese Literatur. Ridley Scotts Serie wurde dafür kritisiert, dass sie zu Übertreibungen neigt. Und auch die großen Prognosen, die Asimov in seinem Aufsatz anpreist, treffen oft nur auf der Oberfläche zu. Der Autor erwähnt beispielsweise seine Kurzgeschichte „Trends“ (1939) als wahr gewordene Prognose; sie handelt von der ersten Mondlandung und einer in diesem Zuge entstandenen religiösen Opposition gegen Raumfahrt. Tatsächlich gab es bei der Apollo-11-Mission Proteste. Diese Opposition beschrieb Asimov in seiner Geschichte aber als fundamentalistische und gewaltbereite Bewegung, die den Raketenstart sabotieren und eine andauernde Welle der Wissenschaftsfeindlichkeit nach sich ziehen würde.

Der reale Protest während der Apollo-11-Mission war weit weniger krawallig. Vielmehr haben schwarze Bürgerrechtler wie der Pastor Ralph Abernathy beklagt, dass das Programm Steuergelder verschlang, während die schwarze Bevölkerung in den USA mit Hunger kämpfte. Laut der Nachrichtenagentur UPI habe Abernathy die Mondlandung als bewegende Errungenschaft der USA empfunden, im selben Zug aber einen solchen Einsatz, wie er für die Raumfahrt aufgebracht wird, auch für hungernde Menschen gefordert. Besonders in den Details weicht Asimovs Geschichte also stark von der Realität ab, sodass man nur schwer von einer zutreffenden Prognose sprechen kann.

Autor Marc Elsberg über eine der Hauptfunktionen von Literatur

Aber das wertet die Geschichte nicht ab. Über Wissenschaftsfeindlichkeit nachzudenken ist auch heute noch relevant. Vielleicht ist das Aufbauschen der eigenen Treffsicherheit auch ein Zeichen fehlender Anerkennung. Die Sci-Fi-Literatur galt nicht als Kunst und brauchte eine Daseinsberechtigung, da bot sich wohl neben Unterhaltung eine Prognose als Rechtfertigung dafür an, sich überhaupt literarisch mit diesen Phänomenen zu befassen.

Dabei bieten solche Geschichten unabhängig davon, ob sie die Zukunft korrekt voraussagen können, einen Ideenraum, der einer gesellschaftlichen Weitsicht zuträglich ist. Marc Elsberg sieht eine der Hauptfunktionen der Literatur darin, Möglichkeiten durchzuspielen und Leserinnen und Lesern so die Möglichkeit zu geben, selbst abzuwägen, wie sie handeln würden. Seine Literatur sei aber keine Prognose der Wirklichkeit.

„Blackout“ stieß mit der Energiekrise wieder auf Interesse und wurde als Serie adaptiert

Bei seinen Szenarien hat der österreichische Schriftsteller einen guten Riecher für aktuelle Themen bewiesen. Elsbergs Roman „Blackout“ (2012) stieß durch den russischen Angriff auf die Ukraine und die darauf folgende Energiekrise wieder auf breites Interesse und wurde 2021 sogar als Fernsehserie adaptiert. Mit „Zero“ hat er zudem schon 2014 beschrieben, wie Wahlen über Social Media beeinflusst werden können.

„Meine Romane handeln im Allgemeinen von Themen, bei denen ich denke: Das ist spannend, wurde aber bisher in der breiten Diskussion nicht beleuchtet“, erklärt Elsberg im Gespräch mit dieser Zeitung. Es gehe ihm darum, seine Leserinnen und Leser auf die Reise mitzunehmen, die er durch seine Recherchen gemacht habe, und zu den dabei gefundenen interessanten Punkten, „aus denen sich dann interessante Diskussionen und Konsequenzen für unser Leben ergeben.“

„C° - Celsius“ verweist immer wieder auf Sci-Fi

Interessanterweise reagieren mehrere Figuren in „C° - Celsius“ mit dem Verweis auf Science-Fiction-Filme, und das, obwohl Elsberg laut eigener Aussage vermeidet, klassische Science-Fiction zu schreiben, die in weiter Zukunft oder in fernen Welten spielt. Vielmehr beschreibt er in „C°“ die Verwunderung darüber, dass sich selbst die Gegenwart durch die technische Entwicklung bereits wie Science-Fiction anfühlt.

Es gäbe nun das Internet, YouTube, Smartphones, die Genschere CRISPR-Cas9 und künstliche Intelligenzen, die den Turing-Test bestehen, also mit einem Menschen kommunizieren können, ohne dass der Mensch merkt, dass es sich um ein Gespräch mit einer K.I. handelt. „Wenn ich als Autor dieses Gefühl verwenden kann, dann kann ich die Leute gleichzeitig in der Gegenwart abholen und in die Zukunftsszenarien hineinführen, ohne Science-Fiction zu schreiben.“

Der Klimawandel ist schon lange in der Gegenwart angekommen

Und so erklärt sich auch der Umgang mit dem Klimawandel schon lange nicht mehr als Science-Fiction, auch wenn Elsberg mit Geoengineering noch keine gegenwärtige Praxis beschreibt. Trotzdem ist der Einfluss des Menschen auf seine Umwelt mittlerweile so prägend, dass über verschiedene wissenschaftliche Disziplinen hinweg vom Anthropozän gesprochen wird, also einem neuen Erdzeitalter, das sich durch den menschlichen Eingriff definiert. Im Roman selbst spitzt eine der Figuren das folgendermaßen zu: „Wir betreiben schon seit 200 Jahren Geoengineering.”

Es fehlen keine Prognosen darüber, in welche Richtung sich die Erde zurzeit entwickelt. Vielmehr liegen die Argumente, wie auch im Roman beschrieben wird, schon seit knapp 70 Jahren auf dem Tisch. Auch Marc Elsberg verfolgt die Umweltschutz-Debatten schon lange. „Ich bin Jahrgang 67. Ich habe in meiner Jugend schon den sauren Regen miterlebt, ein paar Jahre später das Ozonloch, Tschernobyl und so weiter. Dann lief das immer so weiter. Schon bei meinen Eltern im Bücherregal stand Die Grenzen des Wachstums‘. Es ist ja nicht so, dass wir es nicht gewusst hätten.“

Vielleicht fehlt es also nicht an Weitsicht. Im Gegensatz zu UFOs ist der Klimawandel nicht mehr etwas, dass man erst kommen sehen muss. Er ist schon da.

Zu Buch und Veranstaltung

Marc Elsberg: C° - Celsius. Blanvalet Verlag, Hardcover mit Schutzumschlag, 608 Seiten, 26€. Erscheint am 15. März.

Marc Elsberg – Wer das Klima kontrolliert, kontrolliert die Welt. Vorstellung des Romans C° im Rahmen der lit. COLOGNE, 11. März. Moderiert von Margarete von Schwarzkopf. Sartory-Säle, Friesenstraße 44–48. Tickets: 15-25 Euro im Vorverkauf, 19-32 Euro Abendkasse.

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