„Viele Romane sind eher traurig als apokalyptisch“Wie erzählt man den Klimawandel?

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Das rote Schiff der US Küstenwache bricht durch das Packeis der Antatrktis, der Himmel ist bewölkt.

Die „Polar Star“ bricht durch das Packeis an der Küste der Antarktis und beliefert Forschungsstationen.

Der Roman „Der Riss“ spielt in der Antarktis. Wie findet man Worte für eine vom Klimawandel bedrohte Welt?

Unter dem Eisschild der Antarktis lauert das größte Vulkanfeld der Welt. Ob die Vulkane aktiv sind oder nicht, ist nicht bekannt. Was passiert nun, wenn das Eis durch den Klimawandel schmilzt? Oder falls Menschen dort bohren, um an die darunter verborgenen Rohstoffe zu gelangen? Das beschreibt Thilo Winter in seinem Wissenschaftsthriller „Der Riss“. Während die Forschenden der Neumayer-III-Station die Antarktis untersuchen, geht ein gewaltiger Riss durch das Eis und bedroht nicht nur das fragile Ökosystem, sondern die ganze Welt.

Die Realität des Klimawandels sorgt zurzeit für einen Boom der Literatur, die sich mit diesem Thema auseinandersetzt. Einerseits hat das Schreiben über die Natur eine Tradition, die bis zu den ältesten Geschichten der Menschheit reicht. Andererseits sind durch die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Klima neuartige Genres entstanden. Die Begriffe sind vielfältig: Science Thriller, Climate Fiction, ökokritisches Schreiben, kritisches Naturschreiben. Autorinnen und Autoren, die heutzutage Mensch-Umwelt-Beziehungen beschreiben, kommen kaum noch am Klimawandel vorbei.

Kann Literatur auch Klima?

Dabei sieht sich die Literatur in diesem Feld oft Vorwürfen ausgesetzt. Auf der einen Seite gibt es die Forderung nach dem großen Klimaroman. Auch die Literatur müsse Klima stärker zum Thema machen und so zu einem gesellschaftlichen Wandel beitragen. Gleichzeitig gibt es auch die gegenteilige Ansicht, dass Literatur wie jede andere Kunstform nur mit dem „interesselosen Wohlgefallen“ zu tun habe. Im Feuilleton herrscht oft Skepsis gegenüber einer engagierten Literatur.

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Thilo Winter, Autor von "Der Riss". Er trägt eine Brille und ein schwarzes Hemd. Im Hintergrund sind Blätter eines Busches.

Thilo Winter, Autor von 'Der Riss'

„Der Riss“-Autor Thilo Winter will sich nicht in diesem Spektrum einordnen. Er schreibt in erster Linie, um zu unterhalten. „Ich möchte niemandem das Schild vor die Augen halten und sagen: Das musst du jetzt, das ist jetzt wichtig, das darfst du jetzt. Das Angebot ist, die Information auf unterhaltsame Weise zu liefern, im Nachwort dann auch auf sachliche Weise. Was der Leser macht, wenn er wieder in die Wirklichkeit zurückkommt, ist dann seine Sache.“

Die Schatzkammer Antarktis und ihre echten Schauplätze

Gleichzeitig macht Thilo Winter keinen Hehl um seine Liebe für die Antarktis. Die Ansammlung spannender Entdeckungen wie gigantischer Süßwasserseen und Vulkanen unter dem Eis haben ihn zum Roman inspiriert. „Was ich gut finden würde, wäre, wenn der eine oder andere Leser diese Schatzkammer Antarktis wahrnehmen würde als das, was sie ist.“ Sie sei ein schützenswertes Gebiet, mit dem man entsprechend umgehen müsse.

Die Station steht auf Stelzen, um nicht im Eis zu versagen und ist auf dem Dach rot angestrichen. Die Besatzungsmitglieder tragen rote Schneeanzüge.

Das neunköpfige Überwinterungsteam posiert vor der Forschungsstation Neumayer III in der Antarktis.

Diese Schatzkammer wird im Roman bespickt mit realen Entdeckungen und Phänomenen. Schauplätze wie die Neumayer-III-Station sind real, die wissenschaftlichen Entdeckungen um die Vulkane ebenfalls, und selbst kleine Details des Buchs - etwa der Wunsch einer Figur, für ihr Snowboard neben der Forschungsstation eine Halfpipe aus Schnee zu bauen - entstammen Geschichten, die der Autor von Klaus Guber aufschnappen konnte, einem ehemaligen Leiter der Station. Diese Realitätschecks wecken ein stetiges Bewusstsein für die tatsächliche Welt, auch wenn das Geschehen fiktiv ist.

Tierische und pflanzliche Figuren

Doch was zeichnet diese Literatur um den Klimawandel eigentlich aus? Der Literaturwissenschaftler Roman Bartosch, der für die Uni Köln zu dieser Literatur forscht, hat im Gespräch mit dieser Zeitung seine Einsichten geteilt. Vielfach werde versucht, aus einer menschlichen Perspektive auszubrechen und die Natur nicht auf das zu reduzieren, was sie für Menschen bedeutet. Die deutsche Autorin Marion Poschmann etwa versuchte dafür einen Baum zu beschreiben, der für sich selbst stehen sollte und kein Symbol für irgendetwas sein sollte, das wieder auf Menschen verweist.

Auch die tierische Perspektive wird eingeschaltet. In Barbara Gowdys „The White Bone“ geht es um eine Elefantenherde, die miteinander kommunizieren kann. Die Elefanten werden teilweise vermenschlicht, sie haben sogar eine eigene Religion. Doch ihre Bräuche lehnen sich stark am biologischen Verhalten der Tiere an. Auch wenn man letztlich nicht aus der menschlichen Perspektive herauskommt, stelle sich die Frage nach einer Schnittmenge zwischen dem Anderen und dem Selbst, zum Beispiel die sensorische Wahrnehmung.

Romane können Maßstäbe verdeutlichen

Ein anderer Aspekt ist die Reflexion über Maßstäbe. Der Klimawandel geschieht auf einer planetarischen Ebene und ist deshalb schwer zu greifen. Literatur könne eine Skalierung vornehmen, indem sie einerseits spezifische Aspekte herausgreift, andererseits das Lokale mit sehr globalen Fragen verbindet, so Bartosch. Als Beispiel nennt er den Roman „Flightbehaviour“ von Barbara Kingsolver.

Darin geht es um eine Frau, die aus ihrer eigenen Ehe ausbricht. Dabei trifft sie auf einen Schmetterlingsschwarm, der durch den Klimawandel die eigene Migrationsroute geändert hat. „Das heißt, es gibt ein ökologisches Thema über das Flugverhalten von Schmetterlingen, aber es fängt an mit dem Fluchtverhalten einer Person. Und der Roman versucht die ganze Zeit diese verschiedenen Ebenen miteinander zu verbinden, also Ökologie, Biologie, Soziales. Es fängt an mit dem eigenen Haushalt, dann geht es um die Community. Plötzlich geht es ums Land, plötzlich geht es ums planetarische.“

Die Zukunft verliert ihren Charakter als Raum der Möglichkeiten

Bartosch stellt auch einen Trend weg von Katastrophenszenarien wie in „Der Riss“ fest. „Sehr viele Romane aus den letzten Jahren sind eher traurig als apokalyptisch.“ Das wachsende Bewusstsein dafür, dass es nicht den ganz großen Knall geben werde, sondern eher einen fortschreitenden Zerfall, führe zu einem anderen Ton. Besonders im Gespräch mit jungen Menschen bemerke er ein Gefühl davon, dass man bereits in der Zukunft lebe, diese aber immer weniger als Möglichkeitsraum wahrnehme.

Dabei gibt es durchaus Autoren, die eine gesellschaftliche Verwandlung hin zum Positiven erzählen. Diese versuchen teilweise auf komplexe Weise die Mechanismen darzustellen, die dafür ineinandergreifen müssten. Das geschieht dabei durchaus auch mal mit aktivistischer Absicht. Bartosch sieht darin aber keinen Widerspruch zum Kunstsinn. „Man kann ja mit großem Sendungsbewusstsein ästhetisch und literarisch anspruchsvolle Texte schreiben.“

Erst die Vielfalt der Werke wird dem Klima gerecht

Trotzdem steht für Bartosch fest: Er würde nicht nach dem großen Klimaroman suchen. „Ich würde versuchen zu akzeptieren, dass verschiedene Texte sehr viele Dinge verschieden machen. Und dass das Lesen eben dieser verschiedenen Texte am Ende ein Mosaik entstehen lässt.“

Sich laufend mit dem Klima auseinanderzusetzen, kann belastend sein. Die Überforderung mit einem Problem, dass man nicht alleine lösen kann, führt bei Vielen zu Apathie. Bartoschs Tipp gegen dieses Ohnmachtsgefühl ist es, sich nicht selbst die Lösung der Weltprobleme aufzubürden. „Wenn man sich von diesem Stress freimacht, das lösen zu wollen, sondern eher fragt: Wie möchte ich in dieser Situation möglichst sinnvoll und bedeutungsvoll leben? Ich glaube, das ist schon ein ganz, ganz wichtiger Schritt.“

Thilo Winter: Der Riss. Lübbe Belletristik, 384 Seiten, Paperback 16€, eBook 4,99€.

Thilo Winter: Der Riss

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