Sascha Lobo über Antisemitismus„Toxisches Mosaik der Menschenverachtung“

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Sascha Lobo

Sascha Lobo

  • Der Blogger beschäftigt sich in einem Vortrag in Köln mit Judenhass im Internet.

Köln – Sascha Lobo, Sie beschäftigen sich mit rechter Vereinnahmung sozialer Netzwerke und vor allem mit Antisemitismus im Netz. Der nimmt auch im Internet vielfältige Formen an, oder?  Ich nehme auch den islamistischen Antisemitismus nicht aus. Gerade erst haben wir im Zusammenhang mit den terroristischen Angriffen auf Israel erleben müssen, wie stark diese Ausprägung im Netz präsent ist.

Der vielzitierte „importierte Antisemitismus“?

Ich würde diesen Begriff vermeiden, weil er suggeriert, es habe diesen Antisemitismus vorher nicht gegeben. So ein bisschen wie „importierte Mango“ – das ist natürlich falsch. Es geht hier mitunter um Menschen mit einem Migrationshintergrund in dritter Generation, da kann von Import keine Rede mehr sein. Aber auch, wenn ich den Begriff nicht sinnvoll finde, spare ich ihn absichtlich nicht aus, denn ich halte nichts davon, so zu tun, als gäbe es bei Menschen mit Migrationshintergrund speziell aus dem arabischen und türkischen Raum diesen Antisemitismus gar nicht - das wird auf der linken und linksliberalen Seite häufig ignoriert. Dieser Antisemitismus kommt aber zum klassischen, knalldeutschen ergänzend dazu. Das macht es so toxisch, dass so viele Formen in diesem Mosaik der Menschenverachtung zusammenwirken.

Muss dazu nicht auch der linke Antisemitismus gezählt werden?

Unbedingt! Es gibt diesen linken Antisemitismus in der Geschmacksrichtung „Antiisraelisch“, „Antizionistisch“, es gibt einen Vulgärantikapitalismus, der einen eindeutigen antisemitischen Einschlag hat, und es existiert gerade in Deutschland eine lange Tradition des linken Antisemitismus, indem man sich mit den vermeintlich unterdrückten Palästinensern verbünden möchte. Wenn man diese allerdings fragt, leiden sie zu einem guten Teil eher unter der Hamas.

Also wirklich ein breites Spektrum …

Ich sag’s mal so: Wir haben in Deutschland nicht an vielen Dingen Mangel. Das ist ein reiches, wohlhabendes Land, und ebenfalls im Überfluss haben wir die verschiedensten und buntesten Formen von Judenhass. Da ist für jeden was dabei, und im vergangenen Jahr mussten wir erleben, wie ein esoterischer Judenhass neu aufgeblüht ist – als makabre Verharmlosung des Holocaust, wenn sich Leute einen gelben Stern mit dem Wort „Ungeimpft“ anheften.

Nun gibt es gerade im Zusammenhang mit den sozialen Medien eine intensive Diskussion um Redefreiheit: Inwieweit darf man Hate Speech zulassen, ist Holocaust-Leugnung tatsächlich eine Meinung, der man zuhören sollte? Wie ist Ihre Haltung?

In anderen Ländern gilt Holocaust-Leugnung als Meinung, die nicht verboten ist; ich finde aber richtig, sie in Deutschland zu verbieten. Inzwischen hat sich die Diskussion etwas entschärft, weil Facebook nicht mehr der Auffassung ist, dass Holocaust-Leugnung zwar falsch ist, aber als Meinung zugelassen werden sollte. Nach wie vor finde ich aber, dass gerade auch im Hinblick auf soziale Medien bestimmte Linien nicht überschritten werden dürfen. Und da bin ich ein Freund davon, dass der Straftatbestand Holocaust-Leugnung auch in den sozialen Medien wirksam ist. Die Gesetze reichen aus, aber wir haben Probleme bei der Wahrnehmung und bei der Durchsetzung.

Woran liegt das?

Gerade in den vergangenen Wochen haben wir wieder gesehen, dass zu Gewalt gegen Juden, jüdische Einrichtungen und Israel aufgerufen wurde – doch wenn man sich erst durch eine juristisch gehaltene Landschaft klicken muss, in der es Begriffshürden wie Netzwerkdurchsetzungsgesetz gibt, dann schrecken Laien vor einer Meldung dieser Straftatbestände zurück. Bin ich denn Anwalt?

Wie werden sozialer Netzwerke von Antisemiten gekapert – immer nur durch Hassrede, oder geht es auch geschickter zu?

Es gibt ein breites Spektrum an Kritik und Abwertung in einer Form, die – auch zu Recht – nicht verboten ist. Wir müssen im Netz meiner Meinung den Begriff der freien Meinungsäußerung weiter fassen, als viele das gewohnt sind. Es geht nicht darum, sofort Verbote auszusprechen, schon weil in den meisten Fällen die Gesetze ausreichen. Wir sollten eher etwas freier werden und die Grenze des Zumutbaren nach außen schieben, dafür dann aber offensiver reagieren, wenn die Grenze eindeutig überschritten wird.

Zur Person und zur Veranstaltung

Sascha Lobo ist Blogger, Buchautor, Journalist und Werbetexter. In seinen Texten konzentriert er sich auf Internet, virtuelle Realität und digitale Technologien und behandelt deren Auswirkungen auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen.

Im Rahmen der „Woche der Brüderlichkeit“ der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit hält Sascha Lobo am 9. Juni um 19 Uhr einen Vortrag. Die Veranstaltung findet aufgrund der Coronavirus-Pandemie online statt.

Was bedeutet das im Hinblick auf Antisemitimus?

Es gibt auch da eine subtile Form des Hasses, da wird nicht geschrien und gepöbelt, sondern zum Beispiel gegen eine Finanzelite polemisiert, die ihren Lohn schon noch bekommen werde – das kann bis hin zu Morddrohungen geben. Oder wie oft habe ich in letzter Zeit gelesen, dass Bill Gates zum Juden erklärt worden ist, als ginge alles vermeintlich Böse von den Juden aus. Dennoch bin ich an diesem Punkt für Differenzierung: Wo sollte man dieser Form von Antisemitismus mit der Schärfe des Gesetzes begegnen, und wo sollte man besser diskursiv reagieren?

Es gibt also Fälle, die bestraft werden müssen, und solche, denen man nur widersprechen sollte?

Es gibt ja auch in der akademischen und kulturellen Landschaft Formen von distinguiertem Judenhass, wie ich das nennen würde – zum Beispiel, was die Zustimmung zu BDS angeht. Das kann man schlecht verbieten, wenn jemand wohlgesetzte Worte wählt, aber wie kann man damit auf den Plattformen umgehen? Kann man BDS in seiner Wirkung einschränken und beschneiden, indem die Plattformen auf den Antisemitismus von BDS schärfer reagieren, gerade auch, wenn seine Äußerungen nicht direkt gesetzeswidrig sind?

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Wie groß ist die Chance, innerhalb der sozialen Medien selbst korrigierend einzugreifen?

Das ist nur eingeschränkt möglich, unter anderem deswegen, weil hier In-Groups existieren. Da haben alle mehr oder weniger die gleiche Meinung; auch geschlossene Facebook-Gruppen kommunizieren untereinander anders als öffentliche Gruppen. Was zum Beispiel Volksverhetzung betrifft, so spielt die Öffentlichkeit eine starke Rolle, wenn ich entsprechende Äußerungen aber in einer geschlossenen Gruppe loswerde, liegt der Fall anders. Ich glaube zwar, dass es sinnvoll ist zu widersprechen, und ich rufe auch immer dazu auf, doch man darf sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass man damit nur ein klitzekleines Publikum erreicht. Wichtig scheint mir, im eigenen Umfeld beginnenden Antisemitismen sofort und eindeutig zu begegnen.

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