Sasha Filipenko in Köln„Du wirst in diesem System immer verlieren“

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Nahaufnahme des Schriftstellers, er schaut in die Kamera. Er hat braune Augen und dunkle Haare,die bereits ergrauen.

Der belarussische Schriftsteller Sasha Filipenko war zur Vorstellung seines Buches in Köln

Exil-Autor Sasha Filipenko stellt bei der lit.cologne seinen Roman „Kremulator“ vor. Das Buch zeigt die Absurdität des Stalinismus, verweist aber auch auf das heutige Russland.

Sasha Filipenko lebt im Exil in der Schweiz. Als Regimekritiker musste er sowohl seine Heimat Belarus als auch seinen späteren Wohnort in St. Petersburg verlassen. Für die lit.cologne ist Filipenko nach Köln gekommen und stellt sein Buch „Kremulator“ vor. Auch wenn es darin um den Stalinismus geht, liest man es zwangsläufig im Hinblick auf die gegenwärtige Situation in Russland.

Das ist so auch gewollt. Im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ beschreibt Filipenko starke Parallelen zwischen Stalins Sowjetunion und Putins Russland: der Imperialismus, die Zensur, die Propaganda. „Putin und seine Leute versuchen alle zehn Jahre die Geschichte neu zu schreiben und dabei ändert er auch seine Rolle. Heute ist er ein Mann des Volkes, morgen ist er ein neuer Zar. Sie zerstören auch viele alte Museen. Es gibt heute nur noch ein Museum, dass sich mit den Gulags beschäftigt.“

Sasha Filipenko kam für die lit.cologne nach Köln

Während der Veranstaltung der lit. Cologne im Comedia Theater ist die Gegenwart in Russland allerdings nur ein Randthema. Der Schauspieler Peter Lohmeyer leiht den Figuren von „Kremulator“ seine Stimme, während Olga Mannheimer moderiert und dolmetscht. Mannheimer muss dabei immer wieder mit ihrem Husten kämpfen, zwischendurch gibt es auch Ärger mit der Technik. Sie geht souverän damit um, kann daraus sogar Kapital schlagen und das Publikum immer wieder zum Lachen bringen.

Auch Filipenko kennt sich mit Comedy aus, er hat sogar für Wolodymyr Selenskyj Witze geschrieben, als der ukrainische Präsident noch Fernsehmoderator war. Im Gegensatz zum russischen Schriftsteller Solschenizyn, der als Zeitzeuge über die Gulags berichtete, macht Filipenko in seinem Buch nur stellenweise das grauenhafte Leid unter Stalin greifbar. Vielmehr zeigt er die Absurdität des autoritären Systems. „Ein Journalist hat mich mal gefragt, ob ich Monty Python mag, da gäbe es viele Parallelen zu meinem Buch. Es ist nicht so, dass ich sie mag, aber die Sowjetunion war absurd wie ein Monty-Python-Sketch.“

„Kremulator“ beschreibt den Autoritarismus unter Stalin ohne Pathos

Deswegen sei es ihm wichtig gewesen, das Ganze ohne Pathos anzugehen. Der Humor helfe ihm dabei, diese Geschichte zu erzählen und seine Leserinnen und Leser auf diesem Weg zu unterstützen. So ist „Kremulator“ bei aller Schwere des Themas ein sehr humorvoller, leicht lesbarer Roman. Darin geht es um Piotr Nesterenko, der in einem Moskauer Krematorium arbeitet. Als Anlaufstelle für die stalinistische Geheimpolizei, die bei ihm ermordete „Volksfeinde“ entsorgt, begegnet er dem Tod wie am Fließband.

Doch als Nesterenko 1941 selbst verhaftet wird, fällt in seiner Vergangenheit vieles auf, was nicht zum Leben eines treuen „Sowjetmenschen“ passt. In der Oktoberrevolution stand er auf der Verliererseite, musste ins Exil und soll dort allerlei Kontakte zu ausländischen Agenten gehabt haben. Trotzdem ist Nesterenko überzeugt davon, dass er nicht sterben kann und wieder durchkommen wird, denn er hat den Tod geübt. Er ist Moskaus Charon. Selig erzählt er dem Ermittler Perepeliza beim Verhör seine Geschichte.

Filipenkos Roman basiert auf einer wahren Geschichte

Sein Leben wird anhand von Tagebucheinträgen, Gedankeneinschüben und dem Dialog mit dem Ermittler nacherzählt. Manche dieser Beschreibungen beruhen auf wahren Quellen, denn Nesterenko ist wie viele andere Figuren im Roman eine historische Persönlichkeit. Auch die originalen Verhörprotokolle standen dem Autor zur Verfügung, die Ausgestaltung der Figur und ihr Tagebuch sind aber Filipenkos Fantasie geschuldet.

So plaudert Nesterenko in „Kremulator“ mit viel Witz darüber, wen er alles schon eingeäschert hat. Daraus bezieht er seine provokante Selbstsicherheit. In seiner Geschichte wendet er sich nicht nur an den sowjetischen Ermittler, sondern auch an seine große Liebe Vera, die er trotz Jahrzehnten der Trennung nicht zu lieben aufgehört hat. „Ich weiß es nicht mehr ganz genau, meine Liebe, aber ich glaube, es waren an die vierhundert hochrangige Militärs, elf stellvertretende Volkskommissare, rund siebzig Mitglieder des Obersten Kriegssowjets, einige Admiräle und ein Dutzend Generäle. Ich habe ein ganzes Land eingeäschert …“

Die Absurdität des Buchs erinnert an an „Jojo Rabbit“ und „1984“

Trotz allen Leids, das ein autoritäres System wie das unter Stalin verursachen kann, bleibt da etwas zutiefst Lächerliches, Entlarvendes. Eine Ambivalenz, wie sie auch Regisseur Taika Waititi in seinem Film „Jojo Rabbit“ darstellt. Da sind die Folterungen, die Entwürdigungen und die Gewalt, die bereits am Einzelschicksal schwer zu ertragen sind und in ihrer Gänze eine Grausamkeit beschreiben, die alle Muster sprengt.

Und da ist auf der anderen Seite diese Absurdität, das sture Festhalten an Normen, die scheinbar willkürliche Verdrehung von Fakten oder der ständige Versuch, die Geschichte umzuschreiben, selbst wenn sich alle noch daran erinnern, wie es wirklich war. Die Wahrheit wird so stark der Ideologie unterworfen, dass Unsinnigstes zusammengereimt wird, um das eigene Denken zu bestärken. Das erinnert an George Orwells „1984“. Selbst hochrangige Revolutionsführer werden früher oder später zu „Unpersonen“ oder „Volksfeinden“ und landen in Nesterenkos Krematorium, als hätten sie nie existiert.

Der belarussische Autor sieht keine Zukunft für Putin

Wenn man das alles gesehen hat, zudem noch als ehemaliger Weißgardist und Gegner der Roten Armee, geht einem jedwede Naivität verloren. „Ich habe versucht zu zeigen, dass Nesterenko der sowjetischen Propaganda nicht traute“, sagt Filipenko. „Aber er war trotzdem Teil dieser Maschine, weil es ein Weg war, um zu überleben. Er ändert seine Gefolgschaft wie ein Fähnchen im Wind und denkt immer die richtige Entscheidung treffen zu können. Ich möchte zeigen, dass es diesen richtigen Weg nicht gab. Du wirst in diesem System immer verlieren.“

Trotz allem ist der belarussische Autor hoffnungsvoll, dass sich die Dinge in Russland ändern werden, wenn auch nicht in absehbarer Zeit. „Ich glaube, Putin weiß, dass er in der Zukunft keinen Platz hat. Deswegen versucht er, die Geschichte umzuschreiben. Er will wieder zurück, weil er weiß, wie die Dinge in der Vergangenheit funktioniert haben. Er kämpft nicht nur mit Russen oder Ukrainern, er kämpft gegen die Zeit.“

Eine Zeit hat Filipenko alle zwei Monate seinen Wohnort gewechselt, jetzt hat er in der Schweiz endlich ein eigenes Haus, in das er zurückkehren kann. Doch wie seine Figur Nesterenko zieht es ihn auch in die alte Heimat. Bei seinem Besuch in Köln erzählt er den Gästen der lit.Cologne: „Ich hoffe, dass ich auch eines Tages zurück nach Minsk kann. Und dass ich hier dann als Gast aus Minsk zu Ihnen kommen darf.“

Zum Buch

„Kremulator“ von Sasha Filipenko. Aus dem Russischen von Ruth Altenhofer. Hardcover, 256 Seiten, 25€. Erschienen am 22. Februar 2023.

Bild in der Mitte zeigt die weiße Silhouette eines Mannes, dahinter die Silhouette des Gesichts einer Frau, die wie hinter Gitterstäben durch schwarze Streifen abgedeckt wird. Aufschrift: Sasha Filipenko. Kremulator. Roman. Diogenes.

Buchcover von Sasha Filipenkos „Kremulator“

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