„Künstler sind nie nur Künstler“Sasha Marianna Salzmann über Kultur in Kriegszeiten

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Salzmann

Sasha Marianna Salzmann

Sasha Marianna Salzmann, zurzeit gibt es sehr viele Solidaritätsveranstaltungen für die Ukraine, Sie werden bei der zum Auftakt der lit.Cologne auftreten. Was können solche Abende jenseits von Spendensammlungen bewirken? Sasha Marianna Salzmann: Ich glaube, es geht um eine Vergewisserung dessen, wofür man einsteht. Es lässt sich sehr schnell mitschreien auf einer Demo oder ein Like absetzen auf Instagram, aber solche Präsenz-Veranstaltungen verlangen von uns immer noch mal eine andere Verantwortlichkeit, dazu zu stehen, was wir wollen, nochmal in Worte zu fassen, worum es geht. Und durchaus auch zu merken, dass wir nicht in allem einer Meinung sind und darüber in eine Diskussion zu kommen. Das funktioniert nicht nur als Symbolpolitik, sondern ist für unsere Gesellschaft noch mal ein Vergewisserungsmoment.

Müssen sich Künstlerinnen und Künstlern in einer solchen Situation politisch positionieren? Oder ist es legitim, sich auf den Standpunkt zu stellen: Ich bin Künstler und nicht in erster Linie politisch?

Ich habe schon vor dem Ukraine-Krieg nie daran geglaubt, dass Künstler nur Künstler sind. Ich halte das für Nonsens. Wir sind immer politische Körper, selbst wenn wir das nicht wollen. Wenn man Künstler ist und nicht für die eigene Schublade produziert, ist man eine Person der Öffentlichkeit, und dieser ist man eine Meinung und eine Positionierung schuldig. So funktioniert das Spiel. Man muss das nicht mögen, aber sobald man damit Geld verdient, an eine Öffentlichkeit zu appellieren, kann man nicht empört sein, dass sie Fragen stellt.

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Aber ist es richtig, dass gerade von russischen Künstlern diese Positionierung nun vehement eingefordert wird?

Ja, ich finde das richtig. Auf einem anderen Zettel steht, ob Leute deshalb ihren Arbeitsplatz verlieren sollten, und ich bin sehr froh, als Arbeitgeber:in nicht solche Entscheidungen treffen zu müssen. Aber mit jedem Pass geht eine Verantwortung einher. Jeder Pass bedeutet eine Zugehörigkeit zu einem Land, in dem man bestimmte Privilegien hat. Ich habe einen deutschen Pass, das heißt, für das, was Deutschland tut, stehe ich mit gerade. Ich will bei politischen Entscheidungen mitsprechen. Wenn man einen russischen Pass hat, geht es nicht, sich nicht zu positionieren. Es gibt einen Angriffskrieg gegen ein anderes Land.

Zur Person und zum Start der lit.Cologne

Sasha Marianna Salzmann ist eine nonbinäre Schriftsteller:in und Dramatiker:in. Sie wurde 1985 in Wolgograd geboren und kam 1995 mit ihrer Familie als jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland. Ihr Roman „Im Menschen muss alles herrlich sein“ ist bei Suhrkamp erschienen.

Salzmann tritt am Dienstag, 19.30 Uhr, im Theater am Tanzbrunnen bei der Solidaritätsveranstaltung für die Ukraine auf, die in Kooperation mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ den Auftakt der lit.Cologne bildet. Tickets kosten 15 Euro, mit der Option, mehr zu spenden. Alle Einnahmen werden zu gleichen Teilen an PEN Zentrum Deutschland und Blau-Gelbes Kreuz Deutsch-Ukrainischer Verein e.V. gespendet.

Auch wenn schon zahlreiche Veranstaltungen ausverkauft sind, gibt es nach Freischaltung neuer Kontingente noch Tickets für spannende Lesungen. Eine Auswahl: Die gefeierte amerikanischen Autorin Hanya Yanagihara stellt ihren Roman „Paradies“ vor (17.3., 18 Uhr, Oper im Staatenhaus). , „Bjarne Mädel und Sven Stricker folgen Sörensen bis ans Ende der Welt“ (19.3., 18 Uhr, Theater am Tanzbrunnen), „»Ich bin eine Leseratte!« Ein Abend mit Alexander Kluge. Zum 90sten. Mit Lesungen, Filmen und Svenja Flaßpöhler“ (19.3., 19.30 Uhr, Schauspiel Köln)

Alle Infos zu weiteren Lesungen und dem Ticketkauf: www.litcologne.de 

Sie haben für Ihren jüngsten Roman Frauen in der Ost-Ukraine interviewt und kürzlich in einem Artikel in der NZZ über Ihre Beziehung zur Ukraine geschrieben, aus der Ihre Verwandten stammen. Darin gehen Sie auch darauf ein, dass sich vor diesem Krieg niemand so recht für dieses Land und den Konflikt mit Russland interessiert hat. Wie sehr schmerzt es Sie, dass wir uns in Deutschland erst jetzt damit beschäftigen?

Das schmerzt mich sehr. Es hat mich schon 2014 sehr geschmerzt. Und es hat mich sehr geschmerzt, als ich mein Buch rausgebracht habe, weil ich das Gefühl hatte, die Leute hier wissen noch nicht mal, dass die Ukraine nicht ein Teil Russlands ist. Die Unkenntnis der Leute ist niemals zu unterschätzen. Aber so ist es nun mal. Sie wissen ja auch über andere Länder wenig. Die Unkenntnis der Politik ist das Problem. Das finde ich verstörend, weil wir ihr genug zahlen, damit sie sich informiert. Wie unwissend unsere Politiker:innen beim Ausbruch des Krieges waren, halte ich für erschreckend.

Ein Krieg zwingt Menschen auf brutale Weise, sich mit dem Verhältnis zum eigenen Land zu beschäftigen. Wie nehmen Sie dieses Verhältnis in der Ukraine wahr?

Ich glaube, das verändert sich gerade radikal im Vergleich zu der Zeit, als ich meine Interviews geführt habe. Ich kenne die Diskussion schon seit 2014: Sind wir prorussisch? Sind wir Ukrainer? Was soll das eigentlich sein? Was jetzt mit dem Erstarken der ukrainischen Nation einhergeht, ist die klare Grenzziehung zwischen Nationen. Das habe ich, als ich die Interviews geführt habe, nicht so wahrgenommen. Da war niemand ideologisch klar auf einer Seite. Jetzt sind die Menschen in einer solchen Ausnahmesituation, dass sie nicht diskutieren können. Das finde ich auch in Ordnung. Die Menschen, mit denen ich heute spreche, sind Geflohene, die sind um ihr Leben gerannt, mit denen werde ich keine Diskussion zur Nationalität führen.

Und wie ist Ihr eigenes Verhältnis zur Ukraine?

Ich und meine Mutter sind in Russland geboren, aber meine Verwandten kommen aus der Ukraine. Das ist eine normale sowjetische Biografie, weil Familien dort ständig über Ländergrenzen hinweg gewandert sind. Nicht immer freiwillig, aber die Wenigsten blieben über Generationen auf einem Fleck. Bei uns stand die jüdische Identität im Vordergrund, nicht die sowjetische, russische oder ukrainische. Wir hatten ohnehin kein Land. Wir hatten eine Sprache: Jiddisch, die habe ich noch teilweise gehört als ich aufwuchs. Und unser ganzer Stolz auf unsere Herkunft war Odessa: Eine jüdische Stadt mit eigener Kultur, Musik, Witzen, einem eigenen Lebensgefühl.

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Sie wollten mehr wissen über dieses Land?

Ich wusste so wenig über die Ukraine, ich habe irgendwann angefangen zu fragen. Ich habe nach einem Land gefragt, das in der Erzählung meiner Familie so nicht vorkam, denn Generationen vor mir haben in diesem Staatenverbund Sowjetunion gedacht. Sie sind mit einem anderen Denken großgeworden. Meine Fragen waren für sie neu. Wenn wir heute auf die Ukraine, Russland, Belarus schauen, müssen wir beachten, dass wir einzelne Länder betrachten, aber meine Generation ist die erste, die so überhaupt denken kann. Ich stoße oft auf Unverständnis bei ehemaligen Sowjetbürger:innen, wenn ich mit meinen westeuropäischen Fragen komme.

In Westeuropa dachte man nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion lange, der Kalte Krieg sei vorbei und alles sei nun gut. Haben wir uns etwas vorgemacht?

Oh ja, aber nicht der Westen, auch der Osten hat sich etwas vorgemacht. Swetlana Alexijewitsch hat kürzlich in einer Dokumentation gesagt, dass die Intelligenzija in ehemaligen Sowjetblockländern ja auch dachte, dass die Vergangenheit der Vergangenheit angehört. Wir haben uns alle etwas vorgemacht, aber in guter Hoffnung. Das war der vielbesungene Wind of Change, für den waren viele bereit die Augen zu schließen. Man hat die Massen nicht gefragt, wie es ihnen ging. Die Intelligenzija sprach mit sich selbst, die Politik sowieso. Sie haben die Rechnung ohne die Millionen von Menschen gemacht, die ihre Vergangenheit nostalgisch verklärt haben, weil ihnen ihre Heimat weggebrochen ist.

Man hat das Gefühl des Heimatverlustes nicht ernst genug genommen?

Ich habe null Verständnis für eine Nostalgie der Sowjetunion gegenüber, ich finde sie grob fahrlässig, aber ich verstehe, dass die die Sowjetunion für Menschen eine Heimat war, die zerstört worden ist. Die Schlüsse, die sie daraus ziehen, sind hanebüchen, aber den Schock verstehe ich. Der ist so vielen Menschen so tief in die Knochen gefahren. Es gab ja keine Aufklärung über die Verbrechen der Sowjetzeit. Die wissen gar nicht, was das Problem mit ihrer Heimat war. Umso leichter lässt sie sich verklären.

Was erwarten Sie nun von der deutschen Politik?

Es ist klar, dass der Kuschelkurs mit Russland vorbei ist. Das habe ich mir sehr lange gewünscht. Ich möchte nie wieder Lügen von Politkern hören, die gestern noch für Geschäfte mit Russland waren, wie Christian Lindner, beispielsweise. Ich möchte keinen Weltkrieg, aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich keine deutschen Soldaten in anderen Ländern sehen möchte. Ich möchte nicht, dass wir zuschauen, wie russische Soldaten ukrainische Zivilisten abschlachten. Und ich bin gegen die Verdopplung des Militäretats. Wir bräuchten die Milliarden im Bildungsbereich, im humanitären Bereich. Der Klimakrise sollten wir mit diesem Geld trotzen, das ist auch eine fatale Bedrohung. Doch zurück zur jetzigen Kriegssituation: Wenn ich heute Männer in Bundeswehr-Uniformen im Zug sehe, schaue ich sie anders an. Ich war gleich für Waffenlieferungen. Und das ist seltsam für mich: Wer ist dieser Mensch, der plötzlich dafür ist, dass Deutschland Waffen liefert? Ich bin ein vollständig anderer Mensch als vor dem 24. Februar.

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