Schlau wie BarbieMattel gießt Astrazeneca-Forscherin in Puppenform

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Sarah Gilbert an ihrem Schreibtisch in Oxford mit ihrer Barbie

Sarah Gilbert an ihrem Schreibtisch in Oxford mit ihrer Barbie

Köln – In Olivia Wildes Highschool-Komödie „Booksmart“ versuchen zwei hoffnungslose Streberinnen, in der Nacht vor ihrer Abschlussfeier ebenso über die Stränge zu schlagen wie ihre partyfreudigen Klassenkameraden. Nach einem schlechten Drogentrip verwandeln sie sich in Barbie-artige Plastikpuppen. Angesichts ihrer unrealistischen Proportionen können sie sich anfangs kaum auf den Beinen halten. Doch nachdem sie ihre neue Figur länger im Spiegel betrachtet hat, beschließt eine der Streberinnen: „Ich muss mein Gehirn nicht mehr einsetzen, ich muss nur schön beweglich bleiben.“

Mattels Modepuppe Barbie hat die 60 längst überschritten, doch sie muss sich immer noch als Dummerchen beschimpfen lassen, das kleine Mädchen zu einem Leben zwischen Boutiquen und Bulimie verführt. Am rückständigen bis schlicht sexistischen Image ist die kalifornische Spielzeugfirma freilich nicht ganz unschuldig. Noch in den 1990ern brachte sie eine sprechende Barbie heraus, die Sätze von sich gab wie: „Ich liebe Shopping!“ und „Mathe ist schwer!“

Seit einigen Jahren bringt Mattel „Role Model Barbies“ heraus

Um dem schlechten Leumund entgegenzusteuern, bringt Mattel seit einigen Jahren so genannte „Role Model Barbies“ heraus, geformt nach historischen Vorbildern wie der Malerin Frida Kahlo oder der Flugpionierin Amelia Earhart, aber auch nach lebenden Leitbildern wie der Paralympics-Gewinnerin Madison de Rozario oder der „Wonder Woman“-Regisseurin Patti Jenkins. Freilich könnte man mit gleichem Recht behaupten, Mattel presse kluge und willensstarke Frauen in seine brustlastigen Gussformen: Endlich müssen sie ihr Gehirn nicht mehr einsetzen. Der Barbie-Kopf ist im Gegensatz zu ihrem restlichen Körper bekanntlich weich und hohl.

Die neue Barbie in voller Größe

Die neue Barbie in voller Größe

Man kann also Sarah Gilberts anfängliches Befremden verstehen, als diese vor kurzem mit ihrer biegbaren Plastik-Doppelgängerin – lange rote Haare, strenge, schwarz umrandete Brille, schwarzer Hosenanzug – konfrontiert wurde. Die Vakzinologin von der University of Oxford gilt als Hauptentwicklerin des Astrazeneca-Impfstoffes, für ihre Verdienste im Kampf gegen die Pandemie wurde sie bereits geadelt. Ihre Verpuppung erscheint dagegen als eher zweifelhafte Ehre: „Very strange“, kommentierte die Wissenschaftlerin in einer ersten Reaktion. Und freundete sich schließlich doch mit ihrem idealisierten Ebenbild an: Sie hoffe, ließ eine versöhnliche Gilbert gegenüber der Presse verlauten, dass Kindern durch diese Barbie klar werde, „wie wichtig Karrieren in der Wissenschaft sind, um der Welt um uns herum zu helfen. Ich wünsche mir, dass meine Puppe Kindern Berufe aufzeigt, von denen sie vielleicht noch nichts wissen – wie Impfstoffforscherin.“

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Jetzt wüssten wir allerdings noch gerne, mit welchen Accessoires die Sarah-Gilbert-Barbie in die Geschäfte kommen wird – Mikroskop, Maske und Spritze? Und außerdem: in welcher Auflage? Gibt man bei einem großen Versandhandel schlicht „Barbie“ ein, werden dem potenziellen Käufer immer noch zuerst Puppen empfohlen, die sich um Traumvillen, Einkäufe und Hundebabys kümmern, oder die, ausgestattet mit regenbogenfarbenem Meerjungfrauschwanz, ins wissenschaftsferne Lalaland abtauchen.

Und noch ein kleines Problem bleibt – so es denn überhaupt eines ist: Die forschenden Überflieger-Barbies degradieren Ken endgültig zum Boytoy. Sollte man ihnen nicht einen ebenbürtigen Partner gönnen? Uğur Şahin, zum Beispiel, würde sich doch sicher über ein Plastik-Sixpack freuen.

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