Doku „Schwarze Adler“ über Rassismus im Fußball„Das lässt dich nicht los"

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32 Gerald Asamoah - Copyright BROADVIEW Pictures

Gerald Asamoah 

Köln – Es ist eine von vielen Szenen, die gleichsam verstören und überraschen. Beverly Ranger wurde im Juli 1975 von den Zuschauern der ARD-„Sportschau“ für das Tor des Monats ausgezeichnet. 22 Jahre alt war die in Jamaika geborene Sportlerin damals, und ihr Auftritt im Studio wurde eingeleitet mit Vico Torrianis Hit, in dem er singt „Schön und kaffeebraun sind alle Frauen aus Kingston Town“. Ernst Huberty strahlt, besser kann ein Lied ja gar nicht passen zu einem Gast, scheint er zu denken.  Die Sportlerin steht an seiner Seite, es wird live gesendet. Sie nimmt höflich die Medaille entgegen, ein wenig schüchtern vielleicht, aber nicht weiter betroffen. Und beim Zuschauen denkt man: Mensch, was für Zeiten.

Dann erscheint die 45 Jahre ältere Beverly Ranger. Die leise Hoffnung, der Rassismus im deutschen Fernsehen sei damals nicht zu ihr vorgedrungen, löst sich auf, als die bald 70-Jährige  sagt: „Mir gefiel nicht, wie ich da beschrieben wurde“. Doch ohne Bitterkeit fügt sie hinzu: „We live and learn“.

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Leben und lernen – es ist eines der Motive des abendfüllenden Films über schwarze Fußballerinnen und Fußballer, für den Regisseur Torsten Körner große Namen des Spiels aus 70 Jahren um ihre Geschichten gebeten hat. Ranger spielte zwar nicht für Deutschland, erlebte aber die Frühphase des deutschen Frauenfußballs, die auch für weiße Spielerinnen geprägt war von Ressentiments. Im „aktuellen Sportstudio“ des ZDF weist der Kommentator eines Fußballspiels darauf hin, dass man sich nicht sorgen müsse – „die Frauen waschen ihre Trikots selbst“.

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Kein munteres Potpourri

Doch geht es in „Schwarze Adler“ nicht um ein munteres Potpourri aus alten Zeiten, über das man nun lachen darf, weil es ja überstanden ist, weil die Gesellschaft das alles hinter sich gelassen hat. Im gesamten Film kommt nicht ein Weißer zu Wort. Die Betroffenen berichten, was all das mit ihnen gemacht hat. Beverly Ranger eben.

Oder Erwin Kostedde. Kostedde war der erste schwarze Fußballer, der den deutschen Adler trug. Der Vater des 1946 in Münster geborenen Mittelstürmers war ein US-Soldat, die Mutter Deutsche. Auch der kantige Westfale erlebte sein Anderssein als Belastung. „Ich war ein harter Hund, aber das lässt dich nicht los“, sagt er. Bei seinem Debüt im DFB-Team konnte er  kaum einen klaren Gedanken fassen. „Was sollen die Leute denken im Wohnzimmer?“, ging ihm durch den Kopf. „Ich habe gespielt wie ein Eimer Wasser.“

Dümmliche Witze

Es gibt eine Szene aus einem Dokumentarfilm der Nachkriegszeit, in der es um Kinder afroamerikanischer Soldaten geht. Diese Kinder haben „drei Makel“, postuliert der Erzähler: Ihre Väter seien erstens Besatzungssoldaten, sie seien zudem unehelich. Und dann auch noch „farbig“. Im Bild erscheint ein Mann mit Mikrofon, der eine Mutter fragt: „Und Sie wollen ihr Kind nicht weggeben? Warum nicht?“ Das ist dann etwas grauenvoller als ein paar dümmliche Witze.

Doch gab es unterschiedliche Charaktere, die unterschiedlich mit dem Rassismus umgingen. Guy Acolatse tritt auf, der in den Sechzigern aus Togo nach Deutschland kam und beim FC St. Pauli spielte. Die Menschen nahmen ihn vor allem als Kuriosum wahr. „Mir hat das gefallen“, sagt er. Seinen Gegenspielern habe er gedroht: „Ich bin ein echter Neger! Ich werde dich beißen!“

Die Aufgabe, „Farbe reinzubringen"

In den Achtzigern betrat  ein Spieler des 1. FC Köln die Bundesligabühne, Anthony Baffoe, gebürtiger Bonner ghanaischer Herkunft, vertrat das rheinische Element. Im „Sportstudio“ des ZDF plauderte er darüber, wie er seinem Gegenspieler einen Job auf seiner Plantage angeboten habe, „du wirst doch eh bald arbeitslos“. Es sei seine Aufgabe, „Farbe reinzubringen“ in den deutschen Fußball. Das fühlt sich nach Entspannung an, man kann das dem glücklichen Gesicht des Moderators ablesen. Als sei eine neue Stufe erreicht: Man begegnet einander auf Augenhöhe, lacht mit- und übereinander.

Aber Souleymane Sané wird weiter wie selbstverständlich „Schwarze Perle“ genannt, und Anfang der Neunziger rollt eine Welle aus Fremdenhass durch das Land und die Stadien. Otto Addo und Gerald Asamoah berichten von verstörenden Erlebnissen bei einem Spiel mit Hannover 96 in Cottbus, als ihnen offener Hass entgegenschlug.

In die Mitte der Gesellschaft

Doch zeichnet der Film auch einen Bewusstseinswandel nach. Als Asamoah in den Nullerjahren für Deutschland spielt, feiern ihn die Tribünen. Bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika erzielt Cacau, der in Brasilien geborene Stürmer, das 4:0 für Deutschland gegen Australien – und liegt sich anschließend mit Mesut Özil in den Armen. „Ich als Christ schieße das Tor, und Mesut als Moslem feiert mit mir. Das ging!“, sagt Cacau.

Als Deutschland 2014 die Weltmeisterschaft gewinnt, steht Jérôme Boateng nach dem Triumph von Rio am Brandenburger Tor und brüllt: „Ich bin stolz, Berliner zu sein“. Doch vor der Europameisterschaft 2016 wird auch Boateng Opfer einer Kampagne. AfD-Mann Alexander Gauland sagt in der „FAZ“ über den Sohn einer Deutschen und eines Ghanaers: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ Das hat eine andere Qualität als die Beschimpfungen der Neunziger oder der Biertischhumor der Siebziger. Doch ist es nicht weniger schlimm, denn mit einer solchen Parole dringt er viel weiter vor in Richtung Mitte der Gesellschaft.

Es hat sich also durchaus einiges getan, zumindest an der Oberfläche. Doch wer den Film als Weißer sieht, als einer, der keine Ahnung davon hat, was Rassismus ist, weil er nie Opfer davon geworden ist, der bekommt es dann doch noch um die Ohren gehauen: „Es sind dieselben Probleme wie vor 20 Jahre, so viel hat sich nicht verändert“, sagt etwa Otto Addo, heute im Trainerstab von Borussia Dortmund. Und Beverly Ranger, die Torschützin des Monats Juni 1975, ergänzt: „Wir sind weit gekommen. Aber ist es weit genug?“

Shary Reeves beginnt zu weinen

Am Ende sitzt Shary Reeves im Kölner Stadion. Die  Kölnerin spielte in der deutschen Jugendnationalmannschaft und später in der Bundesliga. Bekannt wurde sie als Journalistin, Autorin, Schauspielerin – und für ihr gesellschaftliches Engagement. Sie hat viel erlebt mit dem Fußball. „Ich liebe dieses Land“, hebt sie an, „aber manchmal denke ich…“. Weiter kommt sie nicht, sie beginnt zu weinen. Und wahrscheinlich ist dieses „Aber“ die wichtigste Botschaft des Films.

„Schwarze Adler“ ist seit dem 15. April bei Amazon Prime Video zu sehen. Am 18. Juni feierte er im ZDF Free-TV-Premiere. Produziert wurde der Film von der Kölner Firma Broadview TV.

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