So war der „Tatort“ aus StuttgartDer Verbrecher als Protagonist

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt (6)

Nicholas Reinke in „Der Mörder in mir“

Der Fall

So fährt wahrlich nur jemand, der sich für unbesiegbar hält. Nachts und bei strömenden Regen brettert Ben Dellien durch die Straßen, telefoniert (mit Lautsprecheranlage) und will nur kurz einen Vertrag von den hinteren Sitzen holen, da rummst es. Er hat einen Mann erwischt. Doch statt dem Opfer zu helfen, fährt er einfach davon.

Am nächsten Tag ist der Radfahrer tot. Ben Dellien ist erfolgreicher Anwalt und steht kurz vor einer Beförderung. Seine Ehefrau ist mit dem dritten Kind schwanger. Familie, Karriere und soziales Ansehen soll er aufs Spiel setzen für jemanden, den er nicht mehr lebendig machen kann, nur „ein armer Hund“, obdachlos, der nicht mal von seiner Familie betrauert wird. Gleichzeitig ist das Opfer ein Mensch, der zum Geburtstag seines toten Sohnes 100km aus Heidelberg pilgert, um an seinem Grab stehen zu dürfen.

Für „Tatort“-Fans

tatort Logo 031218

An Weihnachten gibt es mehrere neue „Tatort“-Folgen

„Tatorte“ gibt es viele: klassisch, experimentell, spannend oder doch eher langweilig? In unserer Vorschau erfahren Sie immer bereits ab Samstag, wie der kommende „Tatort“ werden wird.

Direkt im Anschluss an jede Sendung am Sonntagabend folgt dann unsere „Tatort“-Kritik.

www.ksta.de/kultur

Die Schuld nagt sich in Delliens Gewissen, mischt sich mit der Furcht durch die Bedrohung vieler Spuren, die zu ihm führen. Die Delle am Auto. Ein Blitzerfoto in der Mordnacht. Ein gemeldeter „Wildschaden“. Jede Spur zu beseitigen birgt ein Risiko. Und am schlimmsten: Die Carwash-Mitarbeiterin Laura Rensing, die die Mütze des Opfers findet und zurückhaltend auf die Versuche reagiert, ihr Schweigen zu erkaufen.

Die Auflösung

Da die Spuren alle ausliegen, wird die Spannung nicht durch den Weg zur Aufklärung des Falls getragen. Es ist keine Sternstunde des Ermittlerduos, das wenig zur Lösung beiträgt und so Bootz Geständnis, er habe manchmal „einfach keine Lust mehr“, direkt umsetzt. Immerhin im Hintergrund können sie glänzen, etwa bei dem Gespräch mit den Angehörigen des Opfers, und natürlich im Finale, wo sie Delling und Rensing in die Mangel nehmen. Wichtige Impulse zur Lösung des Falls können sie getrost Rechtsmediziner Dr. Daniel Vogt überlassen. In seinem übernatürlichen Genie kommt er sogar darauf, dass die Mütze des Opfers an den Scheibenwischern der Heckscheibe stecken geblieben ist.

Neuer Inhalt (6)

ARD/SWR Tatort: „Der Mörder in mir" am Sonntag (18.09.22) um 20:15 Uhr im ERSTEN.

Spannend ist es, wie Delling als Mensch im Niedergang mit sich selbst lebt und auch noch die alleinerziehende Mutter Rensing mit in seinen Ruin stürzt. Ein Mann, der selbst in Anwesenheit seiner hochschwangeren Frau zur Zigarette greift, und seine Frau, die die Schuld des Mannes herunterredet – das Opfer sei ja nur ein Obdachloser gewesen – haben sich gegenseitig sicher verdient. Aber Laura Rensing, die hart im Carwash arbeitet und dabei den nicht ganz so beiläufigen Sexismus am Arbeitsplatz für einen miserablen Lohn ertragen muss; die auch ihrem Sohn gesteht, dass es manchmal nicht leicht ist, zu wissen, was das Richtige ist. Die aus einer „Das geht mich nichts an“-Haltung schweigt, um sich nicht zu gefährden und sich dann doch kaufen lässt. Das schmerzt und ist gelungen inszeniert.

Fazit

Es lief vieles zusammen in diesem Tatort. Wie schwer es ist zu ermitteln, wenn das gesamte Umfeld mauert, sehen die Zuschauer spätestens am offenen Ende, an dem sie unsicher darüber verabschiedet werden, ob die Beweismittel genügen oder nicht. Nicholas Reinke (Ben Dellien) und Tatiana Nekrasov (Laura Rensing) haben mit ihrem ausdrucksstarken Spiel die Spannung hoch gehalten.

Das könnte Sie auch interessieren:

Was die Moral angeht, so ist sie sicher wenig subtil in die Folge eingeschrieben worden. Das heißt aber nicht, dass sie Fehl am Platze ist. Man fühlt stark mit Lannert, wenn er die schweigende Rensing mit der Frage konfrontiert: „Was meinen Sie, wie diese Welt aussieht, wenn jeder wegsieht, sich niemand einmischen will und alle nur sagen: Mich geht das nichts an?“

Im Interview zur Folge sagte Regisseur und Autor Niki Stein: „Ich finde, dass im Krimi sehr leichtfertig Gewalt gezeigt wird. Ich finde, wenn man Gewalt zeigt, muss man auch immer zeigen, was Gewalt bewirkt, nämlich dass es Menschen zerstört. Und nicht nur den unmittelbar Betroffenen, sondern auch Familie, alles, was daran hängt.“ Dieser Philosophie ist er in seiner neuesten Tatort-Folge treu geblieben.

KStA abonnieren