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Sommerblut-Festival in KölnZwei begeisternde Premiere aus dem Off

Lesezeit 4 Minuten
Mehrere Menschen stehen oder sitzen auf einer Theaterbühne.

Szene aus „Durch lila Nebel“ auf dem Sommerblut-Festival in Köln

Mit „Cola Lemon 30 Cent“ und „Durch lila Nebel“ gab es gleich zwei Höhepunkte des diesjährigen Sommerblut-Festivals in Köln.

Es ist ein ganz besonderer Ort, an dem das Theater im Bauturm beim diesjährigen Sommerblut Festival sein neues Stück „Cola Lemon 30 Cent“ aufführt. Im zurzeit stillgelegten Subbelrather Hof trifft der Gast schon beim Eintreten auf zwei Glücksritter von der traurigen Gestalt. Traumverloren stehen die beiden Männer als menschliches Strandgut an der Theke der Vorstadtkneipe, die unter der Regie von Frederik Werth in eine glitzernde Spielothek verwandelt wurde. Hier wird multiperspektivisch die Chronik eines Spielsüchtigen verhandelt.

Schauspieler Thomas Kaschel spielt den Süchtigen auf seinem Weg in der Abwärtsspirale mal als menschliche Marionette, die wie eine Puppe in unsichtbaren Seilen hängt, mal angespannt bis in die Haarspitzen, wenn es darum geht, beim Kampf gegen den Automaten dem ultimativen Kick entgegenzufiebern. Ihm gegenüber gibt Bernd Schlenkrich den leutselig daherkommenden Glücksspielonkel, der als „Mephisto der Spielautomaten“ das Abgründige hinter einem loriothaften Humor verbirgt.

Bernd Schlenkrich spielt den Mephisto der Spielautomaten

Die dritte Akteurin im Stück, Lisa Sophie Kusz, ist nur auf den vier Monitoren zu sehen und hören. Sie gibt in dieser Inszenierung, die halb als Videoinstallation und halb als Theaterperformance daherkommt, der Lebensgefährtin, die durch den Süchtigen zur Co-Abhängigen wird, Gesicht und Stimme.

Es herrscht ein buntes Treiben auf der kleinen Bühne, auf der Thomas Kaschel und Bernd Schlenkrich auch noch weitere Rollen einnehmen. Letzterer liefert als Therapeut im weißen Kittel die nötigen wissenschaftlichen Erklärungen zum Phänomen der Spielsucht, während Kaschel als Stoffhase, Aubergine oder im Gewand der bekannten Glücksspielsonne ins Spiel um den Spieler eine surreale Note einbringt.

Die Reizüberflutung, die durch das dramaturgische Wechselspiel der vielen Rollen und dem Nebeneinander von Bühne und Monitoren entsteht, ist Teil der Inszenierung. Vermittelt sich doch so das Ambiente der Automatenwelt, in die der Spieler eintaucht. Neben der atmosphärisch spannenden Inszenierung und dem stimmigen Spiel der Akteure, wissen vor allem die literarischen Passagen im Text zu überzeugen. Die stammen von Robert G., der hier anonym seine eigene Spielsucht in einem ebenso authentisch-kraftvollen wie poetischen Text schildert. „Automatisch“ verloren heißt es am Ende für den tragischen Helden. Der Vorhang fällt und kein Freispiel ist drin.

Acht Menschen erzählen von persönlichen Angsterfahrungen

Über Ängste und wie man sich gegen sie wappnet, ging es in „Durch lila Nebel“, dem Stück von Regisseurin Svetlana Fourer und einem achtköpfigen Ensemble aus Menschen, die auf ebenso persönliche wie eindringliche Art und Weise von ihren Angst-Erfahrungen erzählten. Dafür war die Bühne in der Alten Feuerwache in ein Labyrinth aus weißen, transparenten Stoffen gekleidet (Bühnenbild Hannah Beeck). Mittels Licht und Videoinstallationen (Lisa Domin) tauchten die Personen im Labyrinth unter und kamen wieder zum Vorschein.

Der Inszenierung von Svetlana Fourer gelang es, die einzelnen, sehr unterschiedlichen Geschichten zu einem stimmigen Ganzen zu bündeln. Dazu trug neben der feinfühlig akzentuierten Livemusik von Matthias Bernhold vor allem die einfühlsame Choreografie von Ilona Pászthy bei, die den Erzählungen durch tänzerische Elemente einen sanften Flow gab und so ein fließendes Miteinander erzeugte.

Aus der Menge, die sich in Choreografien immer wieder gegenseitig Halt gab, tauchen Einzelpersonen und ungewöhnliche Paarkombinationen auf, die, in den Fokus gerückt, von ihren Angsterfahrungen erzählten. Wie der Schauspieler Erwin Aljukić, durch seine Glasknochenkrankheit auf den Rollstuhl angewiesen, der mit schelmischem Charme von seiner schwierigen Kindheit erzählte, mit einem lieblosen Vater und einer Mutter, die ihn fast mit Fürsorge erstickte.

Wie der aktuelle Krieg in der Ukraine Ängste befeuert, davon wussten die beiden Schauspielerinnen Maryna Bilova und Alina Skoryk zu berichten. Das Trauma der ersten Kriegstage, als auf Kiew die ersten russischen Bomben fielen, spielt da ebenso eine Rolle, wie ein unterschwelliges Schuldgefühl, nun im sicheren Ausland zu sein, während daheim noch der Krieg tobt.

Die Brücke von den Bombennächten des Zweiten Weltkrieges zu den lebensgefährlichen Umständen der Flüchtlinge im Mittelmeer schlugen der junge Jad Bik und die Rentnerin Anne Stötzel-Rindel. Die Schauspielerin Regina Welz wusste mit einem sehr persönlichen Schicksal zu berühren. Gleich zwei Schlaganfälle im Jahre 2011 beeinträchtigen ihren Bewegungsradius beträchtlich. Wenn sie hier auf der Bühne kleine große Sprünge wagt, stockt einem fast der Atem.

Die junge Schauspielerin Nastassja Pielartzik verteidigt kindlichen Ungehorsam gegen die Normen der Erwachsenenwelt und predigt das kreative Chaos, das Flügel verleiht. Wie sehr persönlicher Mut und Willenskraft einen Weg zu ebnen vermag, das demonstrierte Florian Lintz, der anfangs als Mensch mit Handicap in einer Behindertenwerkstatt gearbeitet hatte und mittlerweile als Dozent an der Kölner Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften die Inklusion im akademischen Alltag voranbringt. Gerade auch seine mit viel Charme und Witz erzählte Geschichte wird zur eindrucksvollen Ermutigung, sich immer wieder seinen Ängsten zu stellen und im Austausch mit anderen Resilienz zu entwickeln.

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