T.C. Boyle auf der lit.Cologne„Warum lernen wir nicht die Affensprache?“

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T.C. Boyle

T.C. Boyle

Köln – Der Interviewer in Berlin; der (von einer Kopfbedeckung zwischen Baskenmütze und Pfarrerhut bekrönte) Interviewpartner daheim in Kalifornien, in dem Raum, wo auch seine Bücher entstehen; das Interview selbst (vom 1. Juni an mit deutschen Untertiteln) als Ereignis der heuer nur digital stattfindenden lit.Cologne: Die Corona-Restriktionen schaffen eine Entgrenzung, eine Globalität eigener Art, die irgendwie auch dann fasziniert, wenn der „Besucher“ das Ende solcher erzwungenen Kommunikationsformen herbeisehnt.

Und immerhin: Der Stream gestattet einen Blick auch in das Haus, das der von Philipp Schwenke befragte US-Starautor T.C. Boyle bewohnt. Es wurde seinerzeit ebenfalls von einem Star erbaut: dem Architekten Frank Lloyd Wright, einem Erotomanen, dem Boyle mit „Die Frauen“ einen eigenen Roman gewidmet hat.

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Im Zentrum des von Philipp Schwenke geführten Gesprächs stand aber Boyles spektakulärer neuer Roman „Sprich mit mir“. In ihm geht es um einen zweijährigen, von seinen Betreuern „Sam“ getauften Schimpansen, der sich in einem fürsorglich-empathischen Umfeld zu einem gleichsam menschlichen Individuum entwickelt. Das Design, das an Kafkas Erzählung „Ein Bericht für eine Akademie“ erinnert, wirkt märchenhaft, indes hat der Autor die fiktive Handlung, wie betont wurde, in einem genau recherchierten historischen Umfeld situiert: unter Primatenforschern der ausgehenden 70er Jahre, die der Frage nachgingen, ob und inwieweit Tiere ein menschliches Bewusstsein entwickeln können. Ihnen fuhr seinerzeit der Linguist Noam Chomsky wirksam in die Parade: Nur Menschen sei die Universalgrammatik der Sprache zugänglich. Woraufhin die beschriebene Primatenforschung zum Erliegen kam.

Boyle hält Chomskys These für falsch

Boyle hält ausweislich des Interviews Chomskys These für falsch: Ohne Zweifel spreche und fühle, kommuniziere und denke Sam, und er könne auch lieben, wenn auch nicht unbedingt auf menschliche Weise. Der Autor führt es in seinem Roman performativ vor, wenn er ganze Kapitel aus der Sicht des Schimpansen erzählt. „Er hatte keine Wort für Worte, noch nicht jedenfalls, aber trotzdem kannte er Worte“ – so beginnt das von Boyle vorgelesene zweite Kapitel, in dem Sam seine Erfahrungen mit einem sadistischen Forschungsleiter reflektiert.

Zentral geht es Boyle allerdings um die Frage, warum ein Affe überhaupt die Menschensprache lernen solle: „Warum lernen wir nicht die Affensprache? Warum können wir nicht von den Tieren und ihrer Sprache lernen?“ Dies zielt auf den kritischen Subtext des Romans, auf jene Selbstermächtigung der Spezies Homo sapiens, deren Treiben drauf und dran ist, das Leben auf diesem Planeten überhaupt unmöglich zu machen.

So oder so jedenfalls lässt Boyle die Membran zwischen humaner und tierischer Existenz beunruhigend durchlässig werden. Mit gewinnender Vitalität und Eindringlichkeit wirbt der 72-jährige, der gar nichts dagegen hat, wenn die Lektüre dem Leser auch mal „das Herz bricht“, für sein Thema und seine Sicht der Dinge. Das tut er auch, wenn Schwenke ihm seine Allerweltsfragen nach dem Schriftstellerleben unter Corona, nach der Ökokatastrophe, nach dem Zustand der amerikanischen Demokratie „post Trump“ (an dessen Namen sich der Autor partout nicht erinnern will) stellt.

Trump-Roman „in hundert Jahren“

Wird er den Ex-Präsidenten mal zu einem Roman verarbeiten? „Das wollen doch alle, bei mir können Sie hundert Jahre warten.“ Biden habe wenigstens eine politische Agenda, sagt Boyle, der sich selbst trotz der düsteren Aussichten als „Optimist“ bezeichnet: „Der Tod kommt für uns alle – das ist doch eine gute Nachricht.“ Und die Pandemie? Ihr hat Boyle eine noch nicht veröffentlichte Erzählung gewidmet: Auf einem Kreuzfahrtschiff bricht die Seuche aus – was es dazu verdammt, über die Meere zu irren, weil kein Hafen es aufnehmen will.

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