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Kölner PhilharmonieIrritierender Jubel beim Gastspiel von Teodor Currentzis

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Teodor Currentzis im Jahr 2019

Köln – Als „Missa in tempore belli“, als Messe in Kriegszeiten, bezeichnete Haydn 1796 sein später „Paukenmesse“ genanntes Werk. Aktuell ist alle Musik, die Traditionsmusik wie die neukomponierte, naheliegend „Musica in tempore belli“ – und kann sich diesem Ein- und Zugriff eines verstörenden Außerkünstlerischen auch gar nicht entziehen.

Dieses schlägt – wie jetzt beim Kölner Sonntagskonzert des SWR Symphonieorchesters unter Teodor Currentzis – zunächst auf das Programm durch: Es war komplett ausgewechselt worden. Statt Brahms’ erster Sinfonie erklang Schostakowitschs Fünfte, und statt des neuen Bratschenkonzerts von Marko Nikodijević Jörg Widmanns Viola Concerto von 2015.

Teodor Currentzis wurde in Russland sozialisiert

Vorangestellt wurde Alexander Shchetynskys Orchesterwerk „Glossolalie“ von 1989. Die Idee dahinter: Im friedlichen Miteinander dreier Werke eines russischen, eines deutschen und eines ukrainischen Komponisten zeigt sich jene Grenzen überschreitende, Völker verbindende und Feindschaften auflösende Kraft der Musik, die von der politischen Wirklichkeit dieser Tage grausam dementiert wird. Die Idee gerät zur Utopie.

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So oder so nimmt man das Statement zumal dem Dirigenten ab: Der Grieche Currentzis wurde musikalisch in Russland sozialisiert, ist von der Kultur des Landes tief durchdrungen. Er studierte dort, führte als Leiter der Oper und des Balletts in Perm eine Musikprovinz zu phänomenaler Höhe, gründete die Formation MusicAeterna. Heute macht er das, was tatsächlich dringend nottut: Er unterscheidet strikt zwischen einem Land und seinem größenwahnsinnigen Diktator.

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Aber es gab am Konzertabend auch Irritationen: Die betrafen weniger die zu Beginn verordnete Schweigeminute, mit der die Kölner Kulturbürger ihre Solidarität mit den Kriegsopfern in der Ukraine bekunden sollten, mehr die spontane Jubelreaktion gleich nach dem bombastischen Schluss der Sinfonie.

Sicher, als Anerkennung einer überragenden Orchesterleistung – gleichermaßen beredt ins Ohr und Mark dringend mit ihren schmerzhaften Zuspitzungen und verstörten Idyllen, wunderbar plastisch in der Verlaufsformung – war der Beifall gerechtfertigt. Aber auch, wer dem Quellenwert von Solomon Volkovs Schostakowitsch-Memoiren misstraut, kommt nicht umhin, den finalen Triumph als schal, ironisch, „uneigentlich“ zu empfinden.

Die Fünfte entstand in der Hochzeit des Terrors, der den Künstler akut gefährdete – Julian Barnes’ gefeierter Roman „Lärm der Zeit“ vergegenwärtigt noch einmal eindringlich, was es hieß, unter Stalin zu leben und zu komponieren. Aufgefasst als Verherrlichung des damaligen Diktators ohne doppelten Boden, verlöre diese Sinfonie im Kontext der Konzert-Agenda und ihres ideellen Hintergrunds auch brutal ihren Sinn. Aber wird da – die Frage muss erlaubt sein – der allzu schnelle Applaus nicht missverständlich?

Antoine Tamestit setzt Widmanns Musik großartig in Szene

Brecht nannte ein Gespräch über Bäume „fast ein Verbrechen“ – weil es „das Schweigen über so viele Untaten“ einschließe. Dennoch kommt der Rezensent nicht umhin, den Auftritt der Gäste insgesamt als rein künstlerisch in höchstem Maße bewegendes Ereignis zu beschreiben. Dies betrifft die Darstellung von Shchetynskys klangfarblich raffinierter „Glossolalie“, vor allem aber Widmanns nicht zuletzt vom Solisten Antoine Tamestit großartig in Szene gesetztes Widmann-Konzert. Dass der Klarinettist Widmann „es mit der Bratsche hat“, liegt übrigens angesichts der Klangfarbenaffinität beider Instrumente auf der Hand.

Die Rede von der „Szene“ ist wörtlich zu nehmen, denn als Wanderer durch das Orchester, der dabei auch auf das Desinteresse, ja die Feindseligkeit (Tuba!) seines Konterparts stößt, stellt der, diesmal in allen Belangen überragende, Solist in der „Klangerweckung“ der Bratsche vom Klopfen über das Zupfen hin zum Streichen gleichsam das Drama einer Ich-Werdung vor.

Am Schluss nimmt der an Mahler erinnernde Klagegesang der Viola sogar tonale Züge an – die Assoziation an ein Requiem lag im Kontext des Konzerts auf der Hand. Ein nachdrückliches Beispiel dafür, dass und wie Einwirkungen von außen den Aussagewert von Musik verändern kann.

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